Les Revenants / The Returned – Review, Staffel 1 (2012)

Seit der ersten Staffel der Sopranos und der daraus resultierenden, tatsächlich überwältigenden, Welle an fantastischen Tripple A Serien aus den USA gehört es vor allem in Deutschland zum beliebtesten Volkssport der Feuilletonisten, über die vor sich hindarbende Serienlandschaft in Europa zu lästern. Mag das angesichts der miserablen Lage im deutschsprachigen Raum seine Berechtigung haben (Oh yeah! Noch ein Tatort-Klon), so haben andere europäische Länder in den letzten Jahren das ein oder andere mal bewiesen, dass auch der alte Kontinent dazu in der Lage ist, mit High Quality Serien zu punkten. Erinnert sei an dieser Stelle nur an die herausragende Roboterserie Real Human, die mittlerweile in die zweite Staffel gegangen ist und die sich weder ästhetisch noch inhaltlich vor den großen US-Serien verstecken muss.

2014: Bühne frei für das nächste, große, potentielle Serienmeisterwerk, fabriqué aux Europe: Les Revenants alias The Returned aus dem französischsprachigen Raum. Ein faszinierender Hybrid aus Drama, Mystery, Grusel und sozialer Parabel, den sich der aufgeschlossene Serienfreund keinesfalls entgehen lassen sollte.

Die erste Staffel von Les Revenants kommt subtil, zurückhaltend daher, und doch wird der Zuschauer gleich von Beginn an in die mysteriösen Ereignisse des kleinen französischen Alpendorfs hineingezogen. Scheinbar wahllos hat sich der Tod dazu entschieden einige Bewohner, die er vor kurzer oder längerer Zeit zu sich genommen hat, wieder auf die Erde zurückzuschicken. Wie Kranke, die gerade aus der Klinik entlassen wurden, wandeln sie desorientiert und verunsichert über die nebeldurchfluteten Straßen in der Nähe des großen Staudamms. Sie sehen aus wie am Tage ihres Todes, selbst wenn dieser über 50 Jahre zurückliegt, können sich nicht erinnern, wie oder dass sie gestorben sind. Aber abgesehen davon scheint es ihnen körperlich und mental gut zu gehen.

Da ist zum Beispiel die 15jährige Camille, die vor vier Jahren bei einem Busunfall ums Leben kam und als Zurückgekehrte das Leben ihrer Eltern und ihrer Zwillingsschwester (die mittlerweile vier Jahre älter ist) auf den Kopf stellt. Da ist der Musiker Simon, der vor zehn Jahren gestorben ist und nun seine damalige Freundin – und ihre gemeinsame Tochter – aufsucht und dabei in Konflikt mit ihrem jetzigen Ehemann gerät. Da ist der Knabe Victor, der nach seiner Rückkehr bei der Ärztin Julie unterkommt. Und da ist Serge, der nach seinem Tod nicht nur seinen Bruder sondern ebenfalls ein dunkles Familiengeheimnis zurückließ. All diese Rückkehrer versuchen sich in der Gemeinschaft wieder zurecht zu finden, ebenso, wie ihre Angehörigen gezwungen sind, sich mit der ungewöhnlichen Situation zu arrangieren.

Im Zentrum der ersten Staffel stehen dann auch tatsächlich weniger die Mysterien um die ungeklärte Rückkehr als viel mehr die gesellschaftlichen Implikationen, die diese mit sich bringt. Dabei wird den Lebenden nicht weniger Aufmerksamkeit gewidmet als den vermeintlich Toten: Die Hin- und Hergerissenheit von Camilles Eltern, die ihre zurückgekehrte Tochter zuerst vor der ganzen Welt verstecken wollen und sich schließlich – gedrängt von einem christlich, fundamentalistischen Sozialarbeiter – dazu entschließen, sie wie eine Reinkarnation Jesu‘ zu behandeln. Der Kampf von Camilles Zwillingsschwester Léna, die ihre zurückgekehrte Schwester wie eine Aussätzige fürchtet und von der Angst vor dem „Ungeheuer“ sowohl seelisch als auch körperlich zerrissen wird. Adèle, die bereits vor Simons Rückkehr diesen einfach nicht loslassen konnte, und nun plötzlich die Möglichkeit sieht, ihre große Liebe wieder leibhaftig vor sich zu haben. Adèles jetziger Verlobter, der als Polizist alles in seiner Macht stehende tut, um Simon von seiner Frau in Spe fernzuhalten. Oder auch Julie, die sich konfrontiert mit dem Wiedergänger Victor mehr und mehr die Frage stellt, ob sie nicht ebenfalls zu den Toten gehört, ohne es bemerkt zu haben.

Hierbei gelingt Les Revenants meist auf sehr geschickte Weise der Spagat zwischen sozialem Panorama, gesellschaftskritischer Parabel, subtiler Satire und düsterer Tragödie. Im Kampf mit dem Untoten werden Fragen nach Leben und Tod aufgeworfen, wird Religiosität von traumatischen Standpunkten aus behandelt, werden Lebenskonzepte radikal in Frage gestellt und Persönlichkeitsbilder immer wieder aufgebrochen. Unterscheidet sich die Würde der Zurückgekehrten von den Dagebliebenen? Was definiert den Menschen? Was definiert „das Lebendige“? Darf das Bild, das die Gesellschaft von einem hat, bewusst eingesetzt werden, um andere Menschen zu manipulieren, sofern es einem vermeintlich moralisch integren Ziel dient? Wie weit geht die Verbindung zwischen Menschen über den Tod hinaus? Wie lange darf man Menschen für ihre früheres Verhalten verantwortlich machen? Stellt der Tod eine Generalreinigung des Menschen dar oder kehrt er viel mehr sein Dunkelstes nach außen? Und wie weit darf Mensch gehen, wenn es darum geht, das Leben gegen den Tod zu verteidigen?

Auch stilistisch macht The Returned vieles richtig: Die ruhige Kamera, die ihre Vorliebe für extreme Totalen nie ganz verhehlen kann, nie ganz verhehlen will, fängt die Trostlosigkeit der gesamten Handlung gekonnt ein und erzeugt – trotz gelackter HD-Bilder – eine angenehm nostalgische Grundstimmung irgendwo zwischen Michael Haneke und Lars von Trier. Kontrastiert wird diese Ruhe durch eine musikalisch monotone, peitschende Postrock-Untermalung, wie man sie eher aus dem zeitgenössischen Zombie-Kino der Marke 28 days later kennt. Auch wenn dieser omnipräsente E-Gitarrensound mitunter durch seine Redundanz nervt, gelingt es ihm dennoch einen spannungsgeladenen Bruch in der ansonsten unterkühlten Atmosphäre zu erzeugen. Der Grundton des gesamten Arrangements bleibt so durchgehend angespannt depressiv, durchbrochen durch manche melancholische auch mal zur Sentimentalität neigende Interruptionen. Das passt. Denn als Zuschauer bekommt man ohnehin immer wieder den Eindruck, als seien nicht die Toten zurückgekehrt, sondern als wäre viel mehr der Hauptort der Handlung in ein Zwischenreich zwischen Leben und Tod hineingesogen worden. Wie eine ansteckende Krankheit überträgt sich die Orientierungslosigkeit der Toten auf die Lebenden. Selbst der körperliche Zerfall, der von einigen Toten Besitz ergriffen zu haben scheint, wandert auch auf einige der Zurückgebliebenen über. Und wenn dann das Wasser des am Dorf gelegenen Stausees langsam absinkt, wenn sich die Nebelschwaden wie ein Totenschleier über die gesamte Stadt legen und es kein Entkommen mehr aus diesem stillstehenden Mikrokosmos zu geben scheint, sind die Grenzen zwischen Leben und Tod längst bis zur Unkenntlichkeit verwischt.

In dieser Verwischung der Grenzen liegen die größten Stärken von The Returned. So lange die Serie ihren Zuschauer so weit wie mögliche im Dunkeln tappen lässt und als surreale Parabel zwischen Impressionismus und Symbolismus daherkommt, kann man sich wunderbar an den tristen Bildern, den ambivalenten Charakterzeichnungen und der unheimlichen Sprachlosigkeit des gesamten Szenarios erfreuen. Das Unbekannte, das Ungewisse, die leeren Stellen zwischen den einzelnen Szenen (tatsächlich arbeitet die Inszenierung immer wieder mit sehr radikalen Zeit- und Handlungssprüngen) erzeugen einen mitreißenden Sog aus Stille und Ungewissheit. Leider jedoch wird genau jener Sog zur Mitte der ersten Staffel sukzessive aufgebrochen. Les Revenants wird dann geschwätziger, orientiert sich stärker an klassischen US-Mystery-Plots und weniger am europäischen Arthaus, wodurch sie zwar nichts an ihrem fesselnden, hypnotischen Grundton verliert, insgesamt aber doch etwas generischer und traditioneller daherkommt. Fortan scheinen ein wenig Ingmar Bergman und M. Night Shyamalan (zu seinen besseren Zeiten) um die Gunst des Plots zu ringen, die Erklärbären und Storyteller drücken das symbolistische Kunstkino zu Boden und entwerfen traditionelle Krimi-, Grusel- und Fantasy-Narrationen, die nicht ganz mit der zuvor aufgeworfenen Dramatik mithalten können.

Trotzdem bleibt Les Revenants faszinierend, eben gerade weil es die offenen Stellen und Auslassungen nie ganz aus den Augen verliert und diese, selbst wenn große Poltpoints viel zu früh offensichtlich werden, meist mit gebührendem Respekt behandelt. Immer wenn die Atmosphäre Gefahr läuft zu sehr Grusel, zu sehr realistischer Horror zu werden, findet sich ein Weg, ganz und gar Unvorhersehbares, mitunter auch Unlogisches oder zumindest höchst Irritierendes zu erzählen. Damit rettet sich das Grusel-Plateau davor, zur Stangenware zu werden, auch wenn die Verführungen in zahllosen Momenten sichtbar werden. Gegen Ende obsiegt der Eindruck des Atmosphärischen, Ungewöhnlichen, des durch seine Grundtraurigkeit in Beschlag nehmenden vor den konstruierten Storylines der sonstigen Serienlandschaft.

Mit dieser Disposition ist die erste Staffel von The Returned mit Sicherheit kein TV-Erlebnis für jedermann: Die dunkle, depressive Stimmung werden viele als artifiziell oder gar prätentiös wahrnehmen, das ambivalente Verhalten der Protagonisten dürfte Freunde straighter Erzählhaltungen abschrecken, die bewusst gegen den Strich gebürstete Dramaturgie mag für manchen Zuschauer zu konfus, zu unlogisch sein. Wer aber auf parabolische, mehrdeutige, uneindeutige Geschichten im Stile von Lars von Triers Geister oder David Lynchs Twin Peaks steht, wem Atmosphäre wichtiger ist als eine klare Plotstruktur, wer sich in den abseitigen europäischen Arthaus-Gesellschaftsporträts eines Francois Ozon wohlfühlt und wer keine Angst vor manchen etwas einfältigen Mystery-Momenten der Marke Shyamalan hat, für den dürfte Les Revenants eines der schönsten Serienerlebnisse 2014 sein. Die ungewöhnliche Rückkehr der Toten sei hiermit wärmstens empfohlen.

The Returned – Die komplette 1. Staffel [3 DVDs] (Amazon-Partnerlink)

Ähnliche Artikel