Stagnation of the Dead? – Grenzen und Möglichkeiten des aktuellen Zombiefilms

Das große Horrorrevival des letzten Jahrzehnts war neben der Kommerzialisierung des Torture Porns durch Remakes wie „The Hills have Eyes“ und Neuschöpfungen wie Hostel vor allem die Renaissance des Zombiefilms. Diese brachte einige sehr gute, einige gute und sehr viele schlechte Filme hervor. Gerade die unzähligen B-Movie-Massenprodukte lassen es mitunter so erscheinen, als sei das Genre erneut – wie schon in den 80ern – mittlerweile zu Tode getrampelt, beziehungsweise, wenn man den klassischen Zombiefans folgt, zu Tode gerannt. Aber gibt es nicht auch Lichtblicke? Ist tatsächlich der rennende Zombie an der Stagnation Schuld? Ist alles aus diesem Horrorbereich ausgeschlachtet? Das Subgenre zu Ende definiert? Und welche Filme beweisen ganz oder in Ansätzen das Gegenteil? Eine Bestandsaufnahme.

Ein Zombiefilm neuen Typs?

Als der Zombiefilm in den 00er Jahren ausgehend vom Erfolg von 28 Days later (2002) sein großes Comeback feierte und zugleich auch das Mainstreamkino eroberte, ging dies mit einigen Variationen und neuen Motiven einher. Dass ausgerechnet der britische Film von Danny Boyle der erste einer Reihe zahlloser Post-Zombiefilme war, hatte gleich zwei Einschnitte zur Folge. Als erstes wurde der Begriff des Zombie-Kinos ausgeweitet. Die Infizierten in 28 Days later und der Fortsetzung 28 Weeks later (2007) etablierten die Komponente des Nicht-Zombies, der infizierten unmenschlichen Bestie im Zombiekino. Das zweite neue Moment war das – weitaus umstrittenere – stilistische und narrative Mittel des rennenden, sprintenden und übermenschlich starken Zombies. Aber nur beinharte Anhänger des 80er Jahre Films bestehen noch darauf, dass die beiden Filme nicht zum Zombiekino gehören. Denn obwohl die „Wesen“ in diesen keine echten Untoten – sondern durch einen Virus zu Bestien mutierte Menschen – sind, folgen beide Filme und auch viele folgende  Infiziertenwerke den klassischen Regeln des Genres.

Gerade bei der 28-Reihe ist dies mehr als evident: So gibt es bei den Filmen dieser Franchise wie schon bei den 70er und 80er Klassikern das typische postapokalyptische Szenario, das mit Urängsten der Menschen spielt. Hinzu kommt die alles andere als subtile Gesellschaftskritik. Was in Romeros Dawn of the Dead (1978) der Konsumterror war, ist bei Boyles 28 Days later die Angst vor dem postmodernen Terror und beim Nachfolger schließlich die Blindheit der Supermächte im Kampf gegen den selben. Tatsächlich arbeitet die Renaissance des Zombiefilms mit den gleichen Trademarks wie ihre Vorbilder. Selbst ein auf Unterhaltung getrimmter, Regeln des Hollywood’schen Horrorkinos angepasster Streifen wie das Dawn of the Dead Remake (2004) befindet sich mit seiner klaustrophobischen Atmosphäre, dem viralen Horror und der – verkürzten – Konsum- und Dekadenzkritik ganz im Geiste seines Vorbilds. Es scheint fast so, dass sich die Frage nach der Variation des Genres an einer Sache aufreibt, die zur existenziellen Stellvertreterfrage des Konflikts „Alte Zombiefilme versus neue Zombiefilme“ wurde: Die Geschwindigkeit der Untoten.

Die Übertragung des Zombiemotives auf eine sich ausbreitende Seuche, die aus den Menschen keine Untote sondern blutrünstige Bestien macht, erlaubte es Boyle seinen Wesen in 28 Days later ungeheure Kräfte und vor allem eine ungeheure Geschwindigkeit zu geben, die durch die hektischen Schnitte – hier unterscheidet sich der Epigone tatsächlich immens von seinen langsam erzählten Vorbildern – noch potenziert wurde. Die „Zombies“ der meisten 00er Horrorfilme schlurfen nicht: Sie gehen, rennen gar, in den extremsten Fällen weitaus schneller als ihre Opfer. Wo die 70er- und 80er Jahre Beklemmung durch die blosse Masse an Untoten ausgelöst wurde, kann bei den 00er-Vertretern schon ein einzelner Zombie zur existenziellen Bedrohung werden. Was bei Infizierten durchaus Sinn macht, wirkt befremdlich, wenn mit traditionellen Untoten gearbeitet wird. Dementsprechend bildete sich eine große, aus Romero-Fans bestehende Kritikerschar, die Dawn of the Dead in der Luft zerriss und 28 Days later im selben Atemzug den Status als Zombiefilm aberkannte. In Folge der Möglichkeiten der sprintenden Gefahr griffen weitere Regisseure auf den Virus zurück, um ihre Untoten zu erklären. Mit den klassischen, schlurfenden Zombies arbeiten seitdem nur noch wenige Regisseure wie zum Beispiel auch George Romero, der mit Land of the Dead (2005) einen würdigen vierten Teil seiner Zombie-Reihe vorlegte, in dem er ebenfalls ganz traditionell Splatterhorror mit ätzender Gesellschaftskritik vermengte.

Soweit also der Stand des aktuellen Zombiefilms, der sich tatsächlich nur durch wenige Merkmale von den Vorbildern der 70er und 80er unterscheidet, im Kern deren Prinzip aber treu bleibt. Trotz ordentlicher Einspielergebnisse dieser Filme und trotz großer Akzeptanz in Horrorfilmkreisen ließe sich also ohne weiteres von einer kreativen Stagnation des Genres sprechen. So zeitlos effektiv die Idee einer viralen Apokalypse, eines viralen Horrors und die damit verbundene Thematisierung menschlicher Urängste auch ist, so schleicht sich doch sehr schnell Langeweile bei einer redundanten Ausschlachtung des Motives ein, vor allem wenn – wie derzeit – der B-Film und Direct to DVD Markt von schlampigen und billigen Horrorfilmchen überschwemmt wird, die nicht einmal ansatzweise mit den großen Produktionen geschweige denn den B-Movie-Klassikern mithalten können. Steckt der Zombiefilm in einer Krise, in die er sich selbst hineinmanövriert hat?

Der realistische Zombiefilm

Es gibt Lichtblicke. Ein paar Filme der letzten Jahre ist es gelungen, der Thematik und dem Genre neue Einfälle zu entlocken und neue Impulse zu geben. Dass einer davon ausgerechnet ein deutscher Vertreter ist, kann getrost als Überraschung verbucht werden, waren die einheimischen Genreproduktionen doch bis dato eher billige Splatterfilme der Marke Ittenbach, die selbst im DVD-Regal neben amerikanischen B-Movie-Produktionen eine jämmerliche Figur abgaben. Aber Rammbock (2010) macht vieles richtig, was seine einheimischen aber auch amerikanischen Kollegen falsch machen und so schaffte es der gerade mal 60minütige Horrorfilm gar zum kleinen Fernsehspiel beim ZDF. Marvin Krens Horror unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt vom klassischen und neoklassischen Zombiefilm. Im Gegensatz zur prototypisierten Gesellschaftskritik Romeros ist er ein über alle Maßen realistischer, naturalistischer Film. Beim Zombiefilm wird üblicherweise mit stereotypen Figuren gearbeitet. Romero nutzte in den 80ern dieses Stilmittel ganz bewusst um bissige, satirische und gesellschaftskritische Elemente in seine Zombie-Reihe einzubauen: Wissenschaftler gegen Militär, Anarchisten gegen Bürger, Schwarze gegen Weiße… Die Prototypisierung war bei Romero immer Mittel zum Zweck. In die neueren Horrorfilme haben sich diese Prototypen auch eingeschlichen, oft genug jedoch ohne den sozialkritischen Hintergrund des 80er Kinos. Auch bei Snyder gibt es die aggressiven Rednecks, den verantwortungsbewussten Umweltschützer, den arroganten Snob; auch bei Boyle gibt es die aggressiven Milizen, die zerstörte Familie, den wahnsinnig Liebenden…

Bei Rammbock ist das anders. Kren zeichnet seine Figuren nicht besonders stark aus, lässt ihre gesellschaftlichen Rollen im Angesicht der Katastrophe fast vollkommen verschwinden. Ebenfalls verzichtet er auf den prototypischen Kampf gegen Horden von Infizierten (auch bei ihm sind die Zombies keine wirklichen Untoten). Es war selten ein Zombiefilm im Kino oder Fernsehen zu sehen, in denen so wenige Zombies verletzt oder getötet wurden, in denen die überlebenden Menschen so wenig Heldenmut beweisen mussten und wollten. Bei Rammbock wird die Apokalypse nicht zum Schlachtfeld sondern zur existenziellen Bedrohung. Folgerichtig spielt das Geschehen komplett in einem Berliner Mietshaus, folgerichtig sind die Opfer hier tatsächlich Opfer, die sich eingeschüchtert und hilflos in ihren Wohnungen verbarrikadieren. Rammbock subtrahiert vom Zombiefilm die Überzeichnung, um dadurch zum apokalyptischen beängstigenden Kern zu gelangen.

Der Zombiefilm als Kammerspiel

Nicht nur bei dem deutschen Vertreter sondern auch bei einem Kanadier kommt das Mittel der Reuktion zum Tragen, um dem Zombiefilm eine neue, interessante Seite abzugewinnen. Pontypool (2010) spielt die ganze Zeit über in einer kleinen lokalen Radiostation im kanadischen Nirgendwo. Auch hier sind die bedrohlichen Horden keine klassischen Untoten sondern infizierte und Regisseur BruceMcDonald nutzt ebenso wie die klassischen und zeitgenössischen Zombiefilme die Motive des Genres, um eine bissige Gesellschaftskritik im Hintergrund zu platzieren. In diesem Fall Kritik am Sprachüberfluss, Sprachüberdruss und der Leere postmodernder Sprache. Viel wesentlicher ist allerdings der Punkt der Inszenierung, der Pontypool deutlich von seinen Genrekollegen abhebt. Hier findet die Apokalypse visuell praktisch nicht statt, sondern wird passend zum Aufhänger auditiv übertragen. Lange wird der Zuschauer im Unklaren darüber gelassen, was vor sich geht, wie die Zombieapokalypse in diesem konkreten Fall aussieht. Stattdessen gibt es Informationshäppchen, sprachliche Verwirrungen, Desinformationen und überforderte Informationsvermittler. Vieles stimmt nicht an Pontypool: Der Erzählstil ist oft genug holprig, einige Plottwists sind eher unfreiwillig komisch und die absurde Erzählung der Geschichte steigert sich schließlich in ein furioses – vollkommen überzogenes Finale – das die zuvor etablierte Kammerspielästhetik untergräbt und beinahe verhöhnt. Dennoch funktioniert der Radiozombiefilm vor allem zu Beginn erstaunlich gut als Zombiefilm ohne Zombies und vor allem als beklemmendes Kammerspiel, dass die Apokalypse komplett anders vermittelt als üblich.

Der Zombiefilm ohne Zombies

Noch konsequenter verfolgt Carriers (2009) den Ansatz des Zombiefilms ohne Zombies. Auch dieser hat erhebliche Schwächen und auch dieser wird wohl von den meisten Genrefans nur ungern ins Genre eingeordnet; dabei besitzt er genau alle Trademarks, die dieses auszeichnen. Auch hier sind es keine Untoten sondern Infizierte. Weitaus gewichtiger: Diese Infizierte legen nicht im Geringsten das aggressive, mordlüsterne Verhalten der Infizierten oder Untoten der anderen Genrevertreter an den Tag. Sie sind einfach nur krank und sterben, wie es in klassischen Virusthrillern der Marke Outbreak der Fall ist. Der große Kunstgriff von Carriers ist es, dass er dennoch sämtliche Inszenierungsmittel des Genres nutzt und die Infizierten so ebenfalls zur existenziellen Bedrohung wie Zombies werden lässt: Kamerafahrten in dunklen Gängen, Scarejumps, menschliche Verwahrlosung… Carriers ist handwerklich ein Horrorfilm mit allen Stärken und Schwächen. Wie bereits gesagt hat er von Zweiterem mehr als genug zu bieten: Dünne Dialoge, uninteressante Charaktere, voraussehbare Schockeffekte. Aber was diesen Film ungemein auszeichnet, ist die Ernsthaftigkeit, mit dem er sich dem apokalyptischen Thema nähert. Vor allem die humanistische Ernsthaftigkeit. Was in Rammbock bereits mit einem kurzen Nebensatz – „Das sind doch immer noch Menschen“ – angedeutet wird, macht Carriers zum Thema. Die Infizierten sind Menschen, leiden und haben Angst, genau wie die Gesunden, die sich vor ihnen auf der Flucht befinden. Als Zombiefilm ohne Zombies (im wahrsten Sinne des Wortes) liefert Carriers so ebenfalls wichtige Impulse für das Genre.

Der selbstreferenzielle Zombieifilm

Ein weiterer wesentlicher Impuls kommt vom wohl derzeit populärsten aktuellen Genrevertreter. Zombieland (2009) besitzt alle Zutaten eines klassischen Genrewerks. Auch hier sind die Untoten keine Untote sondern Infizierte, auch hier bewegen sie sich schneller als in den 80er Jahre Filmen – aber angenehm langsamer als bei vielen aktuellen Werken -. Traditionell ist bei Zombieland vor allem das Geschehen: Flucht vor Untoten, Jagd auf Untote, Überlebende, die sich misstrauen, zu Feinden werden, sich verbünden… Alles andere als traditionell dagegen ist die selbstreferenzielle Note, die den Film auszeichnet. Zombieland ist eine Horrorkomödie, mehr Comedy als Horror, wenn auch nicht so parodistisch überspitzt wie das britische Meisterwerk Shaun of the Dead (2004). Der Comedyfaktor von Zombieland speist sich hauptsächlich aus seiner Metaebene. Es ist schon mehr als erstaunlich, dass es noch keinen reinrassigen selbstreferenziellen Zombiefilm gibt, und auch Ruben Fleischers Zombieinterpretation verzichtet auf allzu klare Metaebenen. Erstaunlich ist dies vor allem, da zum Beispiel die Slasherwelle der 90er mit Scream (1996) aber auch das Superheldenrevival der 00er mit einer überdeutlichen selbstreferenziellen Note einherging. Die Teenager in Scream kannten Horrorfilme, kannten Halloween und Freitag den 13. und hatten kein Problem damit, ihr Wissen im Kampf gegen die Bedrohung einzusetzen.

Im Gegensatz dazu sind die Überlebenden in Horrorfilmen bis dato cineastisch ungebildet. Niemand von ihnen hat Night of the living Dead (1968) gesehen, nie hat jemand von George Romero gehört, nie hat jemand durch klassische Zombieifilme gelernt, wie er sich bei einem Angriff der Untoten verhalten muss. Zombieland schlägt in diese Kerbe, wenn der nerdige Protagonist dem postapokalyptischen Amerika den Namen Zombieland gibt und gleich eine ganze Liste von Regeln aufstellt, die auf klassische Tode in den Genrefilmen referiert. Dieser Nerd-Faktor hat für viele begeisterte Kritiken gesorgt, und vollkommen zurecht gilt Zombieland dadurch auch als einer der besten Genrevertreter der letzten Jahre. Hier ließe sich noch weitaus mehr rausholen. Es wäre Zeit für ein Scream/Zombie-Mashup, in dem die Überlebenden die Filme kennen, diese zitieren und vielleicht auch feststellen müssen, dass die Realität ganz anders aussieht, als die Splatterfantasien des Kinos und der Videotheken.

Neben dieser Selbstreferenzialität ist die Humanisierung, die zweite Möglichkeit dem Genre neue Impulse zu geben. Was bei Rammbock und Carriers bereits mitschwingt, aber auch partiell in Komödien wie Fido (2006) – der leider ansonsten eher zu den misslungenen Genrevertretern gehört –  angedeutet wurde, könnte noch weiter gehen. Warum nicht mal einen Zombiefilm aus der Sicht eines Untoten erzählen? Romero hat hier schon vielversprechendeAnsätze geboten: In Day of the Dead (1985) ist der heimliche Protagonist, der Zombie Bub derart menschlich, dass man sich mit ihm freut und mit ihm leidet. Noch stärker kommt dieses Motiv in Land of the Dead (2005) zur Geltung, in dem die Zombies sich nicht nur intelligenter verhalten, sondern schließlich sogar eine Art Waffenstillstand mit den überlebenden Menschen schließen. Es wird Zeit für einen sympathischen, „menschlichen“ Untoten oder Infizierten, vielleicht sogar einen, der mit seiner eigenen Rolle als Bestie hardert. Immerhin musste auch der Protagonist in I am Legend (1954) – nicht der misslungenen Verfilmung – feststellen, dass er als letzter Mensch das eigentliche Monster ist, während die Mutanten die neue Menschheit verkörpern. Viel Luft nach oben also für ein Genre, das alles andere als tot ist. Wenn mutige Filmemacher sich den Impulsen der hier genannten Filme annehmen und diese konsequenter und konkreter umsetzen, können wir uns noch auf viele herausragende Genrebeiträge freuen.

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