Oscar Nominierungen 2011 – Der immer wieder überraschende Traditionalismus der Academy

And the Winner is…. wird sich zeigen. Wie jedes Jahr liefern aber bereits die Nominierungen (und noch mehr die Nicht-Nominierungen) genug Stoff für Tratsch über aktuelle Filmtrends und vor allem darüber, wie die Academy aktuelle Filmtrends einschätzt und bewertet. Und wie so ziemlich jedes Jahr offenbart diese auch 2011 unverhohlen ihren Hang zum Traditionalismus.

Denn während David Finchers postmoderndes Sozialdrama und Biopic über  Facebook-Gründer Marc Zuckerberg auf so ziemlich allen Filmfestivals ordentlich abgestaubt hat, geht er bei der Oscarverleihung 2011 nur als „weiterer Kandidat“ ins Rennen. Mit nur acht Nominierungen hinkt der Feuilletons- und Publikumserfolg seinem ärgsten Rivalen deutlich hinterher. Und dieser ist das britische Historiendrama „The King’s Speech“ von Tom Hooper. Ja, es kann ruhig nochmal gesagt werden: Die Academy liebt historische Stoffe, die die Persönlichkeit und das menschliche Drama rund um tatsächlich geschehene Ereignisse in den Mittelpunkt rücken. Von Calvacade (1933) über Casablanca (1943), Ben Hur (1959) und Gandhi (1982) bis hin zu Schindlers Liste (1993), Braveheart (1995) und Gladiator (2000) lässt sich eine Linie deutlicher Präferenz von klassischen, epischen bis realistischen historischen Stoffen ziehen, die große (universelle) menschliche Dramen ins geschichtsreflektierende Korsett packen.  Mit zwölf Nominierungen geht nun also  „The King’s speech“ – der auch schon bei den Satellite Awards 2010 und den Golden Globes 2011, wenn auch nur in ‚unbedeutenden‘ Kategorien abräumen durfte – als Favorit ins Rennen um die 83. Academy Awards.

Den meisten deutschen Zuschauern dürfte der Film bis zu seinen Nominierungen noch kein Begriff gewesen sein, was auch wenig verwundert, immerhin startet die Geschichte von King George VI (1895 – 1952) erst im Februar bei uns im Kino, während seine US-Kinopremiere auch erst im Dezember war. Übrigens noch ein Punkt, der für den Historienstreifen spricht. Denn neben einer beeindruckenden Persönlichkeit, einem hochgelobten Colin Firth und Nazis hat der Film noch etwas zu bieten, was ihn für die Academy ungemein interessant macht: Er ist jung, frisch gestartet und ihn hatten vor der Nominierung nur wenige auf dem Plan. Die Academy liebt Spätreinrutscher – sowohl bei den Nominierungen als auch der eigentlichen Verleihung. Davon können gerade deutsche Zuschauer ein Liedchen singen, räumen doch oft genug Filme ab, die hier noch gar nicht im Kino zu sehen waren. Umso besser natürlich für den hiesigen Filmverleih, wenn der Film mit Oscarnominierung oder gar gleich Trophäe mit stolzgeschwellter Brust seinen Deutschlandstart antreten darf.

Während die Königsgeschichte eine sehr traditionelle Nominierung und ein klassischer Favorit ist, überrascht der zweite große Nominierungsgewinner doch ein wenig. Es handelt sich um nichts geringeres als „True Grit“, den epischen und düsteren Spätwestern der Coen-Brüder (ebenfalls ein junger Kandidat, ebenfalls noch nicht im deutschen Kino zu sehen). Während die beiden mit „No country for old men“ bereits 2008 mit vier Auszeichnungen (unter anderem für den besten Film) überraschenderweise das viel „oscartauglichere“ Epos „There will be blood“ hinter sich lassen durften, scheinen die zehn Nominierungen für „True Grit“ ein weiteres, kleines Zugeständnis der Academy an die Innovation zu sein. Bei näherem Hinsehen, wird dieser Eindruck aber ein wenig aufgeweicht: Immerhin mag es die Academy durchaus, Oscargewinner vergangener Jahre noch einmal zu beehren – und sei es nur mit einer Nominierung. Des weiteren ist auch True Grit ein „Spätdurchstarter“ (Release in Deutschland ebenfalls im Februar) und zudem noch die Umsetzung eines großen amerikanischen Romans von Charles Portis, dessen erste Verfilmung „Der Marshal“ bereits 1970 bei den Academy Awards dem Hauptdarsteller John Wayne einen Oscar einbrachte. Der große amerikanische Stoff von „No Country for old men“ (Cormac McCarthy) dürfte auch 2008 ein Mitgrund für die Auszeichnung gewesen sein. Insofern darf auch „True Grit“ durchaus zur traditionellen Nominierungsriege gezählt werden.

Neben diesen drei großen Favoriten gibt es dann immerhin noch Black Swan (5 Nominierungen), der zumindest Natalie Portman zur heißesten Favoritin um den Oscar für die beste Hauptdarstellerin ins Rennen schickt, Chris Nolans Mystery Heist Movie Inception, der sich wohl eher mit einer Abspeisung in den technischen Kategorien abfinden muss und Toy Story 3, der irritierenderweise sowohl für den besten Film als auch den besten animierten Film nominiert ist. Kandidaten wie „172 Hours“  und „The Fighter“ dürften dagegen eher zu den klassischen Mitnominees zählen, die in den großen Kategorien wohl nur bedingt Chancen haben. Erfreulich jedenfalls ist noch die Nominierung von Alejandro González Iñárritus „Biutiful“ als bester fremdsprachiger Film, sowie damit verbunden die Nominierung Javier Bardems als bester Hauptdarsteller. Zumindest in der ersten Kategorie ist Iñárritu ein starker Mitfavorit, durfte er die Academy (wie uns alle) doch bereits mit seinen vergangenen Episodenfilmen begeistern. Weiterhin erfreulich: Die Nominierung für den Banksy-Dokumentarfilm „Exit through the gift shop“ sowie die Nominierung von Trent Reznor und Atticuss Ross für die beste Filmmusik (The Social Network). Ebenso schön sind die klassischen Ehrenoscars dieser Saison besetzt. Nouvelle Vague Enfant Terrible Jean-Luc Godard erhielt seinen bereits im November 2010 (in Abwesenheit), ebenso ausgezeichnet wurden Francis Ford Coppola (wurde auch mal langsam Zeit) und der Filmhistoriker und Stummfilmliebhaber Kevin Brownlow.

Bis zur tatsächlichen Oscarverleihung dürfte es spannend bleiben, liebt doch die Academy auch hier Überraschungen und weniger erwartete Gewinner. Gerade auch weil der Favorit „The King’s Speech“ bereits bei den Golden Globes die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte, ist hier noch lange nichts entschieden. Am 27. Februar werden wir alle schlauer sein…

Hier nochmal die Nominierten im Überblick

(Quelle: Wikipedia)

Bester Film

127 Hours – Christian Colson, Danny Boyle und John Smithson
Black Swan – Mike Medavoy, Brian Oliver und Scott Franklin
The Fighter – David Hoberman, Todd Lieberman und Mark Wahlberg
Inception – Christopher Nolan und Emma Thomas
The Kids Are All Right – Gary Gilbert, Jeffrey Levy-Hinte und Celine Rattray
The King’s Speech – Iain Canning, Emile Sherman und Gareth Unwin
The Social Network – Scott Rudin, Dana Brunetti, Michael De Luca und Ceán Chaffin
Toy Story 3 – Darla K. Anderson
True Grit – Ethan Coen, Joel Coen und Scott Rudin
Winter’s Bone – Anne Rosellini und Alix Madigan

Beste Regie

Darren Aronofsky – Black Swan
Ethan Coen, Joel Coen – True Grit
David Fincher – The Social Network
Tom Hooper – The King’s Speech
David O. Russell – The Fighter

Bester Hauptdarsteller

Javier Bardem – Biutiful
Jeff Bridges – True Grit
Jesse Eisenberg – The Social Network
Colin Firth – The King’s Speech
James Franco – 127 Hours

Beste Hauptdarstellerin

Annette Bening – The Kids Are All Right
Nicole Kidman – Rabbit Hole
Jennifer Lawrence – Winter’s Bone
Natalie Portman – Black Swan
Michelle Williams – Blue Valentine

Bester Nebendarsteller

Christian Bale – The Fighter
John Hawkes – Winter’s Bone
Jeremy Renner – The Town – Stadt ohne Gnade (The Town)
Mark Ruffalo – The Kids Are All Right
Geoffrey Rush – The King’s Speech

Beste Nebendarstellerin

Amy Adams – The Fighter
Helena Bonham Carter – The King’s Speech
Melissa Leo – The Fighter
Hailee Steinfeld – True Grit
Jacki Weaver – Animal Kingdom

Bestes Originaldrehbuch

Another Year – Mike Leigh
The Fighter – Scott Silver, Paul Tamasy und Eric Johnson
Inception – Christopher Nolan
The Kids Are All Right – Lisa Cholodenko und Stuart Blumberg
The King’s Speech – David Seidler

Bestes adaptiertes Drehbuch

127 Hours – Danny Boyle und Simon Beaufoy
The Social Network – Aaron Sorkin
Toy Story 3 – Michael Arndt, John Lasseter, Andrew Stanton und Lee Unkrich
True Grit – Ethan und Joel Coen
Winter’s Bone – Debra Granik und Anne Rosellini

Bester Animationsfilm

Drachenzähmen leicht gemacht (How to Train Your Dragon) – Dean DeBlois und Chris Sanders
L’illusionniste – Sylvain Chomet
Toy Story 3 – Lee Unkrich

Bester fremdsprachiger Film

Biutiful – Alejandro González Iñárritu (Mexiko)
Kynodontas – Giorgos Lanthimos (Griechenland)
In einer besseren Welt – Susanne Bier (Dänemark)
Incendies – Denis Villeneuve (Kanada)
Hors-la-loi – Rachid Bouchareb (Algerien)

Bester animierter Kurzfilm

Day & Night – Teddy Newton
The Gruffalo – Jakob Schuh und Max Lang
Let’s Pollute – Geefwee Boedoe
The Lost Thing – Shaun Tan und Andrew Ruhemann
Madagascar, carnet de voyage – Bastien Dubois

Bester Kurzfilm

The Confession – Tanel Toom
The Crush – Michael Creagh
God of Love – Luke Matheny
Na Wewe – Ivan Goldschmidt
Wish 143 – Ian Barnes und Samantha Waite

Bestes Szenenbild

Alice im Wunderland – Robert Stromberg und Karen O’Hara
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes: Teil 1 – Stuart Craig und Stephenie McMillan
Inception – Guy Hendrix Dyas, Larry Dias und Douglas A. Mowat
The King’s Speech – Eve Stewart und Judy Farr
True Grit – Jess Gonchor und Nancy Haigh

Beste Kamera

Black Swan – Matthew Libatique
Inception – Wally Pfister
The King’s Speech – Danny Cohen
The Social Network – Jeff Cronenweth
True Grit – Roger Deakins

Bestes Kostümdesign

Alice im Wunderland – Colleen Atwood
I Am Love – Antonella Cannarozzi
The King’s Speech – Jenny Beavan
The Tempest – Sandy Powell
True Grit – Mary Zophres

Bester Dokumentarfilm

Exit Through the Gift Shop – Banksy
GasLand – Josh Fox
Inside Job – Charles Ferguson
Restrepo – Tim Hetherington und Sebastian Junger
Waste Land – Lucy Walker

Bester Dokumentar-Kurzfilm

Killing in the Name
Poster Girl
Strangers No More – Karen Goodman und Kirk Simon
Sun Come Up – Jennifer Redfearn und Tim Metzger
The Warriors of Qiugang – Ruby Yang und Thomas Lennon

Bester Schnitt

127 Hours – Jon Harris
Black Swan – Andrew Weisblum
The Fighter – Pamela Martin
The King’s Speech – Tariq Anwar
The Social Network – Kirk Baxter und Angus Wall

Bestes Make-Up

Barney’s Version – Adrien Morot
The Way Back – Edouard F. Henriques, Greg Funk und Yolanda Toussieng
Wolfman – Rick Baker und Dave Elsey

Beste Filmmusik

127 Hours – A. R. Rahman
Drachenzähmen leicht gemacht – John Powell
Inception – Hans Zimmer
The King’s Speech – Alexandre Desplat
The Social Network – Trent Reznor und Atticus Ross

Bester Filmsong

127 Hours – A. R. Rahman, Rollo Armstrong und Dido (If I Rise)
Country Strong – Tom Douglas, Hillary Lindsey und Troy Verges (Coming Home)
Rapunzel – Neu verföhnt – Alan Menken und Glenn Slater (I See the Light)
Toy Story 3 – Randy Newman (We Belong Together)

Bester Ton

Inception – Lora Hirschberg, Gary Rizzo und Ed Novick
The King’s Speech – Paul Hamblin, Martin Jensen und John Midgley
Salt – Jeffrey J. Haboush, William Sarokin, Scott Millan und Greg P. Russell
The Social Network – Ren Klyce, David Parker, Michael Semanick und Mark Weingarten
True Grit – Skip Lievsay, Craig Berkey, Greg Orloff und Peter F. Kurland

Bester Tonschnitt

Inception – Richard King
Toy Story 3 – Tom Myers und Michael Silvers
Tron: Legacy – Gwendolyn Yates Whittle und Addison Teague
True Grit – Skip Lievsay und Craig Berkey
Unstoppable – Außer Kontrolle – Mark P. Stoeckinger

Beste visuelle Effekte

Alice im Wunderland – Ken Ralston, David Schaub, Carey Villegas und Sean Phillips
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes: Teil 1 – Tim Burke, John Richardson, Christian Manz und Nicolas Aithadi
Hereafter – Michael Owens, Bryan Grill, Stephan Trojanski und Joe Farrell
Inception – Paul Franklin, Chris Corbould, Andrew Lockley und Peter Bebb
Iron Man 2 – Janek Sirrs, Ben Snow, Ged Wright und Daniel Sudick

Ähnliche Artikel