Horrorfilme der 70er Jahre: Ein Überblick

Zwölf Horrorbestenlisten der 70er Jahre haben wir jetzt hinter uns, Zeit noch einmal kurz zusammenzufassen, was das unheimliche Kino der Dekade auszeichnet. Natürlich wohnt der Kategorisierung eines Kinojahrzehnts immer ein wenig Willkür inne. Filmische Trends haben sich nie beim Wechsel von einer Dekade zur nächsten einfach so geändert. Und auch wenn bestimmte Kunstzeiträume bestimmte Charakteristika aufweisen, so gibt es doch ebenso viele Charakteristika, die diesen entgegenstehen, ihnen widersprechen oder sie herausfordern. Die Filmgeschichte steckt wie die Kunstgeschichte allgemein voller Ambivalenzen, holprigen Entwicklungen und sich widersprechenden Trends. Gerade im Horrorkino der 70er Jahre wird dies offensichtlich. Das unheimliche Filmjahrzehnt ist ein Jahrzehnt der ästhetischen, dramaturgischen und narrativen Umbrüche, aber auch ein Jahrzehnt der Traditionspflege. Selbst wenn sich damals dezidiert neue filmische Phänomene entwickelten, so findet man doch zu jeder vermeintlichen Revolutionierung des Genres mindestens zehn andere Filme, die äußerst konservativ daherkommen, zu jedem neuen Topos findet man mindestens fünf ganz klassische Topoi. Wir wollen trotzdem versuchen, so gut es geht herauszuarbeiten, was die damalige Dekade auszeichnet, was die Themen, Motive und Stilmittel des 70er Jahre Horrorfilms waren.

Beginnen wir doch mit den Traditionslinien des Horrorfilms, die in den 70er Jahren gekappt wurden oder zumindest einen langsamen Tod starben. Die offensichtlichste ist die des Gothic Horrors. Vor allem Dank der britischen Hammer Films waren die traditionellen Filmmonster und Gruselgeschichten in den 60er Jahren ausgesprochen lebendig: Dracula, Frankensteins Monster, die Mumie, klassische Hexen… sie alle erhielten zahllose filmische Adaptionen, zwischen Glanz und Trash. Eines der Markenzeichen der Hammer Filme war es immer, dass sie viktorianische Horrorthemen, Kostümfilm und edlen Grusel mit viel Blut, Sex und Gewalt kombinierten. Sie waren auch ein wenig immer Ausrede, um brutale, blutige Szenen auf die Leinwand zu bringen und diese gleichzeitig als gehobenen, traditionellen Grusel zu verkaufen. Gegen Ende der 60er Jahre und mit den beginnenden 70er Jahren geht dieser Zweck verloren. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass die Gewalt einerseits im Mainstreamkino ankommt (vor allem durch die Filme des New Hollywood), zum anderen, dass Gewalt im Independent Kino neu und expliziter gedacht wird. Bedeutet graphic Violence in den 60ern noch vor allem das literweise Verschütten von Blut, so entdecken die Enfants Terribles des Horrorkinos in den 70ern – man kann es nicht anders sagen – eine neue Vielfalt, menschliche Körper zu zerlegen. George A. Romeros Die Nacht der lebenden Toten (1968) ist diesbezüglich eine Initialzündung, aber auch Herschell Gordon Lewis‘ Splatterorgien The Wizard of Gore (1970) und noch mehr The Gore Gore Girls (1972) zermatschen Köpfe, reißen Augen heraus und wühlen in den Organen ihrer Opfer. Der frühe Splatterhorror der 70er Jahre ist nicht nur blutig, sondern chirurgisch, er erkundet auf grausame, bisher nie gesehene Weise den menschlichen Körper und lässt die Hammer Filme dagegen ziemlich bieder aussehen.

Die britischen Traditionalisten sind zwar noch äußerst fleißig in dieser Dekade, produzieren mit Circus der Vampire (1972) sogar einen ihrer visionärsten Vampirfilme. Andere Versuche den Gothic Horror neu zu denken wie Captain Kronos – Vampirjäger (1972), Hände voller Blut (1971) oder – ja wirklich – der Kung Fu Horrorstreifen Die 7 goldenen Vampire (1974) finden jedoch weder bei Publikum noch Kritik großen Anklang. Anders als beim Gothic Horror, dessen Glanzzeit sich in den 70ern dem Ende neigt, sieht es beim Giallo aus. Dieser wird in den 70er Jahren überhaupt erst zu einem immanenten Bestandteil des Horrorkinos und leitet damit quasi sein Ende ein. Waren Gialli zuvor vor allem Murder Mystery Geschichten, orientieren sie sich in den 70ern sukzessive stärker an Horrortopoi, spielen mit surrealen Okkultmomenten (Rosso – Farbe des Todes (1975)), dem Spukfilm (Il profumo della signora in nero (1975)) und legen mit makaberen Mördergeschichten – vor allem in dem Klassiker Im Blutrausch des Satans (1971) – den Grundstein für das sich in den USA parallel entwickelnde Slashergenre. Den Höhepunkt der Giallo-Transformation stellt ohne Zweifel Dario Argentos Suspiria (1977) dar, der kaum noch was mit dem klassischen Giallo gemein hat und stattdessen eine morbide Hexenhorrorgeschichte erzählt.

Wo Gothic Grusel stirbt und Giallo sich im Flirt mit dem Horrorfilm selbst verliert, erblicken neue Subgenres das Licht der Welt. George A. Romeros bereits erwähnte Nacht der lebenden Toten zieht eine ganze Reihe an Zombiefilmen nach sich. Vor allem Spanien und Italien sind gut dabei, wenn es darum geht, das Genre mit zweit- und drittklassischen B-Movies zu füllen: Die Nacht der reitenden Leichen (1971) und dessen Fortsetzungen, Lucio Fulcis Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies (1979) oder Das Leichenhaus der lebenden Toten (1974), um nur einige wenige zu nennen. Richtig in Fahrt kommt das Genre aber erst gegen Ende des Jahrzehnts mit Romeros Fortsetzung zur Nacht der lebenden Toten, Dawn of the Dead (1979), die noch einmal eine ganze Welle an Untoten-Horrorfilmchen auslöst, die schließlich die 80er Jahre überfluten. Wie die Splatterfilme eines Herschell Gordon Lewis sind auch die Zombiefilme äußerst ambitioniert dabei, menschliche Körper auf alle erdenklichen Arten und Weisen auseinanderzunehmen. Dennoch ist es nicht nur die Grafik der Gewalt, die im Horrorkino der 70er Jahre einen zwischenzeitlichen Höhepunkt erreicht. Mindestens ebenso signifikant ist die Atmosphäre, unter der Gewalt stattfindet. Die 70er markieren die Geburt des Terrorfilms. Insbesondere Wes Cravens Das letzte Haus links (1972) und Tobe Hoopers Blutgericht in Texas (1974) gelten als Klassiker dieser Horrorstoßrichtung, deren Ziel es ist, durch Gewalt nicht bloß Spannung zu erzeugen, sondern viel mehr, dass Publikum zu quälen, zu foltern und wie der Name schon sagt zu terrorisieren. Der Terrorfilm lebt vor allem davon, dass er mitunter unerträglich immersiv ist, dass er die Gewalterfahrung im Film zu einer real wirkenden Gewalterfahrung werden lässt. Dieser Umgang mit Brutalität wird auch in den noch dreckigeren Geschwistern des Terrorfilms, den Mondo-Filmen widergespiegelt. Mondo Cannibale (1972) von Umberto Lenzi zieht eine ganze Reihe unappetitlicher, pseudodokumentarischer Kannibalenfilme nach sich und der Ruf des Pseudo-Snuff-Films Gesichter des Todes (1978), das krasseste Filmerlebnis überhaupt zu sein, hält sich wacker durch die gesamten 80er Jahre bis in die 90er hinein. Hier wird Brutalität dann in der Tat zum Selbstzweck, eine Tradition, die sich auch im Horrorkino der 80er Jahre fortführen sollte.

Aber, und das sollte nicht vergessen werden, dabei haben wir es primär mit den Rändern des Genres zu tun. Parallel zu der Gewaltspirale in der Nische passiert mit dem Horrorfilm in den 70ern was ganz außergewöhnliches. Er wird Mainstream für den gehobenen Geschmack, flirtet mit Arthaus, Surrealismus und produziert schließlich ganz unerwartet einen gewaltigen, von Publikum und Kritik geliebten, Blockbuster. Der weiße Hai (1975) ist schon ein außergewöhnlicher Film, gelingt es ihm doch Popcornkino, Abenteuer und Tierhorror so zu kreuzen, dass das Publikum nicht nur gethrillt sondern auch unterhalten ist. Der beste Science Fiction Horrorfilm der 70er Jahre Alien (1979) von Ridley Scott geht vielleicht sogar noch ein bisschen weiter, besitzt er doch neben seinen zweifellos vorhandenen Blockbusterqualitäten noch einen ausgesprochen intelligenten, philosophischen Subtext, den er mit heiligem Ernst in seine Mixtur aus Monsterhorror, SciFi und Slasher hineingibt. Daneben ist es vor allem der okkulte Horror, der es dem größeren 70er Jahre Publikum angetan hat: Rosemary’s Baby (1968) im vorherigen Jahrzehnt ist eine Initialzündung für die Beschäftigung zahlloser Regisseure mit dämonischen, okkulten, teuflischen Kräften. Sowohl Der Exorzist (1973) als auch Das Omen (1976) sind der Auftakt zu großen Franchises (deren Fortsetzungen aber allesamt Grütze sind) und gefühlt jeder zweite Film der damaligen Zeit, egal ob Tierhorror, Slasher oder Zombieflick, besitzt wenigstens eine übersinnliche, esoterische Komponente.

Nun lässt sich bei so was natürlich die Warum-Frage immer leichter stellen als beantworten. Woher kam diese Begeisterung am Okkulten in den 70er Jahren. Warum war es ausgerechnet dessen satanische Komponente, die das Publikum so in ihren Bann zog. Spirituelle Momente – insbesondere durch Spukhausgeschichten – gab es immerhin schon vorher. Warum plötzlich dieser Fokus auf die dunklen Kehrseiten und den Antagonisten des Christentums? Ein Grund dürfte sein, dass sich das Christentum seit Ende der 60er Jahre in einer zuerst unausgesprochenen, später immer ausgesprocheneren Krise befand. Das Zweite Vatikanische Konzil aus dem Jahr 1965 hatte zu einer merkwürdigen Spannung innerhalb des Katholizismus geführt. Von Papst Papst Johannes XXIII eigentlich einberufen, um das Christentum, das bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts unter Säkularisierung und Kritik zu leiden hatte, zu modernisieren, hatte es zum einen zu Widerständen und Häresien von katholischen Traditionalisten geführt, zum zweiten die Erosion des Katholizismus nicht aufhalten können. Der Papst soll sogar davon gesprochen haben, dass „der Rauch Satans“ in den göttlichen Tempel eingedrungen sei, um das Modernisierungsbemühen des zweiten vatikanischen Konzils zu sabotieren („da qualche fessura sia entrato il fumo di Satana nel tempio di Dio„). Wohlgemerkt damit waren nicht äußerliche Kräfte gemeint sondern Widerstände innerhalb des katholischen Christentums. In den 70er Jahren fühlte sich das Christentum nicht nur von Philosophie, Wissenschaft und Politik, von Nietzsche, Darwin und Marx bedroht, sondern mindestens genau so aus den eigenen Reihen: Die Piusbruderschaft (gegründet 1970) als Bedrohung von rechts, Hans Küng und seine Schrift Unfehlbar? — Eine Anfrage aus dem selben Jahr als Bedrohung von links sind nur zwei Beispiele für den inneren Kampf des Christentums.

So ist der christliche Glaube im Gegensatz zu vorherigen Horrorjahrzehnten auch nicht mehr Garant für den Sieg gegen das Böse. Postmoderne Vampire wie Martin (1977) machen sich über die Symbole des Christentums lustig, in Der Exorzist werden Symbole und Ikonen des Christentums gar in das teufliche Spiel integriert; man denke nur an die gewalttätige wie schockierende Kreuzszene aus diesem Film. Nicht nur das Christentum fühlte sich in den 70ern von innen wie von außen bedroht. Ein wesentliches Moment des Horrorfilms der Dekade ist, dass er die Bedrohung der Kernfamilie thematisiert. Selbst das klassischste Horrorgenre überhaupt, der Spukfilm, nimmt keine Rücksicht auf den familiären Verband. Sowohl das Landhaus der toten Seelen (1976) als auch The Amityville Horror (1979) kreuzen die Bedrohung von geisterhaften Erscheinungen von außen mit der Erosion der Familie, die sich scheinbar allzu leicht von dämonischen Mächten gegeneinander aufwiegen lässt. Eine Entwicklung, die kurz darauf zu Beginn des folgenden Jahrzehnts mit Stanley Kubricks The Shining (1980) ihren Höhepunkt erreichen sollte. Auch jenseits des Geisterhorrors wird die Familie in ihrem Kern angegriffen: David Cronenbergs Die Brut (1979) verquickt Sorgerechtsstreit mit monströsen Gestalten, die direkt aus der Psyche ihrer Mutter gezeugt werden (ja, es macht Sinn, auch wenn es konfus klingt) und in Die Wiege des Bösen (1974) entpuppt sich ein Neugeborenes als mörderisches Monster. Ja, der Schrecken, den „die lieben Kleinen“ im Horrorkino der 70er Jahre verbreiten, ist direkter Ausdruck der Angst vor einer Zerstörung der Familie von innen. Diese kommt Angst kommt allerdings noch ohne die konservative Stoßrichtung der Reagan-80er daher. Selbst wenn es sich um externe Gefährdungen handelt wie bei Wes Cravens Hügel der blutigen Augen (1977) , so ist diese Bedrohung doch ein direktes Ergebnis der sozialen Umstände, in der diese existiert.

Der Schrecken in den 70er Jahren ist oft nicht nur eine Herausforderung für die Gesellschaft, sondern wird als direktes Ergebnis ihrer Schattenseiten inszeniert. Am deutlichsten wird dies in Deathdream (1974), indem die Bedrohung der Familie von innen und das Vietnamtrauma einer ganzen Generation eine unheimliche Melange eingehen. DER Zombie-Klassiker der 70er Jahre Dawn of the Dead (1978) nutzt sein apokalyptisches Szenario, um eine bissige Konsum- und Gesellschaftskritik abzufeuern und Das Omen (1976) spart nicht an gehässigen Tönen gegen die ökonomische und politische Elite. Im Gegensatz zum Horrorkino der 80er Jahre, das sich oft in Splattereskapismus flüchtete oder politisch extrem konservativ war, liefern die 70er Jahre einen pessimistischen und zugleich subversiven Blick auf soziale und politische Wirklichkeiten ihrer Zeit. Vor allem der noch junge Slasher ist noch nicht so Prüderie-getrieben wie seine Nachfolger: In Halloween – Die Nacht des Grauens (1978) ist der Mörder kein perverser Außenseiter wie Freddie Krueger, kein Zombie wie Jason Vorhees, sondern der Sohn einer vermeintlich glücklichen Mittelschichtfamilie. Der Schrecken der Vorstadt kommt nicht von außerhalb, sondern wird direkt in ihr erzeugt.

Das alles sollte sich im folgenden Jahrzehnt ändern. Der Pessimismus weicht einem Arrangement mit den Umständen, der Horror wird sozial externalisiert, und da, wo er subversiv daherkommt, geschieht dies primär im ästhetischen Gewand. Die 70er Jahre sind im Grunde genommen das erste und zugleich letzte Jahrzehnt des tragischen, pessimistischen Horrorfilms, eine Genrestoßrichtung, die erst durch die New French Extremity zu Beginn des neuen Jahrtausends und den Post-Horror unserer Zeit in der Quantität und Qualität wieder aufleben sollte. Dieser Pessimismus ist ein Spiegel seiner Zeit: Der scheinbar festgefahrene kalte Krieg, das Ende des Hippie-Optimismus, der Schock der Tate-Morde im Jahr 1969, die Erosion des Glaubens… die 70er hatten allen Grund pessimistisch in die Zukunft zu blicken, und das Horrorkino hat – wie es seine Aufgabe ist – das beste getan, um diesen Pessimismus in übernatürlichen wie natürlichen Schrecken zu transferieren. Kunst als Katharsis, Horror als Verarbeitung des realen Schreckens, nicht in der Flucht sondern der direkten Konfrontation. Vielleicht ist es am Ende vor allem das, was dieses Horrorfilmjahrzehnt so großartig macht, weit über seine Grenzen hinaus.

Die besten Horrorfilme der 70er Jahre:

Die besten SciFi-Horrorfilme der 70er Jahre
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Die besten Vampirfilme der 70er Jahre I
Die besten Vampirfilme der 70er Jahre II
Die besten Giallo-Filme der 70er Jahre I
Die besten Giallo-Filme der 70er Jahre II

Die besten Horrorfilme der 70er Jahre VII
Die besten Horrorfilme der 70er Jahre VIII
Die besten Horrorfilme der 70er Jahre IX
Die besten Horrorfilme der 70er Jahre X
Die besten Horrorfilme der 70er Jahre XI
Die besten Horrorfilme der 70er Jahre XII

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