Die besten Horrorfilme der 70er Jahre XII
Was soll ich sagen…? Die 70er Jahre waren wirklich eine großartige Dekade für den Horrorfilm, vor allem für all jene Zuschauer, die auf schräge, trashige und absonderliche Horrorkost stehen. Aber eben nicht nur. Neben all den blutigen, dreckigen, Low Budget Exploitation- und Gorefesten, bei denen man nicht immer weiß, wie ernst man sie nehmen soll oder wie ernst sie sich selbst nehmen, gab es so manchen nachdenklichen, intelligenten, subtilen, dramaturgisch ausgefeilten Genrefilm. In diesem Artikel kommen diese noch einmal exponiert zur Geltung: Da wäre das ausgetüftelte, makabere Sektendrama The Wicker Man, da wäre die Verquickung von realer Mordserie mit vampirischen Motiven in der Zärtlichkeit der Wölfe, da wäre die Aufarbeitung von Verlust und Tod innerhalb der Kernfamilie in Wenn die Gondeln Trauer tragen und da wäre der Aufschrei gegen politische Unterdrückung im wütend anarchischen Anti-Zombie-Zombiefilm The Crazies. Immerhin ein wüster Hybrid aus Gaga-Exploitation, infantilem Abenteuer und hysterischem Horrorschinken hat sich dann doch noch in die letzte Retrospektive verirrt. Phantasm aka Das Böse nimmt sich irgendwie ernst und irgendwie auch wieder nicht und markiert die Geburt eines der markantesten Monster in der jüngeren Horrorfilmgeschichte.
The Wicker Man [Robin Hardy]
Großbritannien 1973)
Neben dem Christlichen und Satanischen sind heidnische Topoi wohl die religiösen Motive, die für düstere Horrorfilme am besten geeignet sind. Ursprüngliche Naturreligionen, Folkloristische Glaubenssysteme, oder wie auch immer man sie nennen will, konfrontieren uns mit unserem atavistischen Erbe, zeigen deutlich die Grenzen unserer modernen Welt auf und die unserer so vielgeschätzten Aufklärung. The Wicker Man von Robin Hardy ist so etwas wie der Urvater des folkloristischen Horrormärchens, ein makaberes, erzählfreudiges Drama, dass alles gruselig Folkloristische von The Witch bis Midsommar beeinflusst hat. Mit einem hohen Gespür für Mysteriöses und zugleich Erschreckendes führt er den Protagonisten wie das Publikum in die Welt einer isolierten heidnischen Sekte ein, spielt mit dem Gegensatz von puritanischem Christentum und orgiastischer Naturreligion und zieht peu à peu die Daumenschrauben an, bis er bei purem Terror ankommt. Gerade dieser sich allmählich aufbauende Weg vom subtilen Murder Mystery Thriller zum enervierenden Horrorschocker ist die größte Stärke von Wicker Man, bewegt er sich doch wie eine Abwärtsspirale, in der Protagonist wie Publikum von Anfang an gefangen sind. Und wenn er dann schließlich bei seinem determiniert wirkenden Ende ankommt wirkt er trotz und wegen seiner Subtilität deutlich schockierender als so mancher offensive Schocker der damaligen Zeit.
Wenn die Gondeln Trauer tragen [Nicolas Roeg]
(Italien, Großbritannien 1973)
Können wir bitte einmal festhalten, dass wir es hier mit einer der schönsten deutschen Neubetitelungen der Filmgeschichte zu tun haben? Don’t Look Now ist der Originaltitel von Nicolas Roegs Horrordrama, ein harter, extremer Imperativ. Wie passender ist da doch der deutsche Titel: Wenn die Gondeln Trauer tragen fängt genau jene Mischung aus Tragödie, Poesie, Mysterium und Horror ein, die diesen Film auszeichnet. Nicolas Roegs Geschichte um ein Ehepaar, das nach dem Verlust ihrer Tochter in Venedig in eine groteske Mordserie hineingeraten ist so etwas wie die Urform des Post-Horror. Menschliche, emotionale und philosophische Themen werden in einem Slow Burning Horrormanifest sukzessive durchleuchtet, der Terror kommt langsam, dafür aber umso gewaltiger. Lange Zeit wägt man sich in einer Tragödie, zwischendurch in einem surrealen Mysterythriller (von dem David Lynch so manches gelernt haben dürfte) und schließlich in einer absurden Horrorbizarrerie, die mit Mitteln des Giallo, des Surrealismus und des Horrorthrillers arbeitet. Wenn die Gondeln Trauer tragen ist eigentlich viel zu stark, um reiner Genrefilm zu sein, die perfekte Verknüpfung von großem Drama, Arthaus, Experiment und Horrorfest, direkt zwischen den Stühlen, zwischen den Inszenierungsstrategien und gegen jede Publikumserwartung gebürstet. Ein Meisterwerk des 70er Jahre Kinos, dem auch Horrorverweigerer eine Chance geben sollten.
Die Zärtlichkeit der Wölfe [Ulli Lommel]
(Deutschland 1973)
Hier haben wir ihn also, den einzigen erwähnenswerten deutschen Horrorfilm der Dekade. Und dann handelt es sich noch nicht einmal um eine genuine Horrorgeschichte, sondern um eine Verlegung des tatsächlich stattgefundenen Kriminalfalls Fritz Haarmanns in das Deutschland der Nachkriegszeit und eine Abwandlung von diesem in ein obskures Vampirdrama, zwischen Horror, Poesie und Fleischwurst. Ulli Lommel, den man auch unabhängig von seinem 2004er Film Daniel der Zauberer für einen ziemlich beknackten Genreregisseur halten kann, macht es seinem Publikum alles andere als leicht. So ganz kann sich sein Totmacher nie entscheiden, ob er nun poetischer Gruselfilm, psychologisches Thrillerdrama oder blutiger, sexuell aufgeladener Horrorschocker sein will. Aber eins steht fest, er setzt diese unausgeglichenheit mit tödlichem Ernst um. Auch wenn sich in Die Zärtlichkeit der Wölfe eine Menge morbider Humor versteckt, so lässt er doch keinen Zweifel an seinen künstlerischen Ambitionen: Mit Mitteln des Expressionismus, des Neuen Deutschen Films, mit teilweise fast schon soziologischer Beobachtungsgabe und viel historischer Ambiguität gelingt es Ulli Lommel hier Horror als Gesellschaftsatire, oder eben eine Milieustudie als brutales Horrormärchen zu erzählen, je nachdem von welcher Ecke man als Zuschauer gerade kommt. Und, das ist das entscheidende, beides gelingt ihm trotz mancher Stolpereien virtuos. Soziale, dramatische, historisch detaillierte Exploitation made in Germany, allein dafür verdient es die Zärtlichkeit der Wölfe schon, in die Filmgeschichte einzugehen.
The Crazies [George A. Romero]
(USA 1973)
Im Jahre 1973 war George A. Romero noch nicht als der Zombievirtuose bekannt, als den wir ihn heute kennen. Im Grunde genommen ist The Crazies sogar sein zweiter „großer“ Film seit der Nacht der lebenden Toten. Und, wow, sieht man hier bereits, dass der junge Indie-Regisseur nach Größerem strebt! Während sein Zombieklassiker Night of the Living Dead von seiner eingekesselten, klaustrophobischen Atmosphäre lebt, geht The Crazies in die agoraphobischen Vollen. Hier sind es eben nicht nur ein paar isolierte Menschen, die sich gegen eine Zombiehorde wehren müssen, sondern es ist eine ganze Stadt, die sich einerseits gegen langsam wachsenden, ansteckenden Wahnsinn, andererseits gegen das anrückende, schließlich den gesamten Ort okkupierende Militär verteidigen muss. Ähnlich wie er es später bei Dawn of the Dead machen sollte, nutzt Romero dieses Setup um einen apokalyptischen Höllenritt zu inszenieren, irgendwo zwischen darwinistischem Thriller, sozialkritischer Politsatire und enervierendem Exploitation Horror. The Crazies lebt vor allem von seiner paranoiden Atmosphäre, seiner Ambiguität, seiner Anspannung und seinem Kampf mit sich selbst. Gut und böse verschwimmen hier nicht nur, irgendwann gibt es nur noch das Böse, der Mensch wird zum Wolf, die Welt zum Kriegsschauplatz. Dies setzt The Crazies mit einem fast schon heiligen Ernst um (Humor sollte Romero erst ein bisschen später lernen), trifft damit aber genau den richtigen Ton für dieses erschütternde wie erschreckende Gesellschaftsbild.
Phantasm – Das Böse [Don Coscarelli]
(USA 1979)
Kommen wir zur Wildcard dieser Liste: Phantasm, hierzulande bekannt unter dem Titel Das Böse ist die Geburt des Tall Man, des großen unheimlichen Mannes, der als Filmmonster zwar nie die Popularität eines Jason Vorhees oder Freddy Krueger erlangen konnte, dessen Franchise es aber immerhin auch auf stolze fünf Filme schaffte (die allesamt Bullshit sind). Großer Mist ist im Grunde genommen auch sein Geburtsfilm… Aber was für fantastischer, unterhaltsamer und kreativer Mist das ist! Phantasm erzählt von einem monströsen Killer aus einer fremden Dimension, von dessen bizarrer Armee und von einem Jungen, der tapfer gegen das unbekannte Böse kämpft. Eigentlich eine ziemlich alberne Geschichte, hier aber mit derart viel Verve und Spielfreude umgesetzt, dass man ihm so ziemlich jede Infantilität verzeiht. Es geht aber auch wirklich drunter und drüber: Ein bisschen Jugendabenteuer (durchaus auch Antizipation des jugendlichen Fantasyhorrorkinos der 80er Jahre), ein bisschen Slasher, ein bisschen SciFi-Horror, ein bisschen absurder Alptraum, und dazwischen sogar noch ein wenig Coming of Age Psychodrama. Einmal in den Topf geworfen und durchgewirbelt, und am Ende spielt es keine große Rolle mehr, wie die einzelnen Zutaten aussehen. Phantasm ist ein eklektisches Horrormärchen, ein diabolisches Antimärchen, ein düsterer Fantasytrip, der abwechselnd schockt, unterhält und sogar auf eine krude Art und Weise verzaubert. Dank seiner bizarren, unheimlichen und kreativen Art vollkommen zurecht ein Kultfilm, der insbesondere hierzulande ruhig etwas mehr retrospektive Beachtung erhalten könnte.