Die besten surrealistischen Filme der 80er Jahre II

Surrealismus, Nummer zwei. Man kann durchaus die Behauptung vertreten, dass nach der goldenen Ära des surrealistischen Films der Surrealismus ziemlich tot war. Genuin surreal waren schon die Filme der ersten 80er-Liste kaum, viel eher Genrehybriden, Experimentalfilme oder vom Surrealismus inspirierte Werke. Das ist auch im zweiten Artikel kaum anders. Mit Jodorowskys Santa Sangre hat sich zumindest eine unbestreitbare Ikone des surrealen Kinos hineingemogelt, wenn auch mit einem Film, der die meiste Zeit über anderen Vorbildern huldigt. Abgesehen davon gibt es Surrealismus im Gewand des Bodyhorrors (Videodrome), Surrealismus im Gewand des Mystery (Angel Heart) und Surrealismus im Gewand des fantastischen Avantgardekinos (Alice). Ist das Genre tot? Vielleicht, aber die Frucht aus diesem Schoß ist äußerst lebendig.

Videodrome (David Cronenberg)

(Kanada 1983)

Mit Filmen wie Rabid oder Scanners hatte sich Cronenberg als Bodyhorror-Spezialist unter Genrekennern schon in den späten 70ern einen Namen gemacht. Dass er weitaus mehr drauf hat, als Körper in ihre Einzelteile zu zerlegen beweiste er dem Mainstream-Publikum zum ersten Mal mit Videodrome… und danach immer wieder mit den klassischen cineastischen Konventionen komplett entsagenden Meisterwerken. Videodrome ist ein düsterer Alptraum: Zum Teil bissige Gesellschaftskritik, zum Teil Abrechnung mit einer außer Kontrolle geratenen Medienwelt, zum Teil brutaler Bodyhorror und zum Teil hermetisches, parabolisches Surrealismus-Epos. Cronenberg verzichtet auf eine geradlinige Erzählung oder Motiverklärung und wirft den Zuschauer stattdessen in ein dunkles Gemälde aus Andeutungen, Symbolen und zutiefst verstörender Körpererfahrung. Damit fickt er zugleich Körper und Geist und hinterlässt in allen Genres, in denen er sich austobt, verbrannte Erde. Eine wegweisende Monstrosität von einem Film.

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Santa Sangre (Alejandro Jodorowsky)

(Mexiko, Italien 1989)

Alejandro Jodorowskys vorletzter Film vor einer langen (Regie-)Schaffenspause Santa Sangre ist alles andere als ein gewöhnlicher surrealer Trip, wie man sie von dem chilenischen Regisseur (El Topo) kennt. Die Geschichte eines Zirkusjungen, der Obsession zu seiner Mutter und einer kruden Mordserie ist beinahe so etwas wie eine Verbeugung vor der Horrorfilmgeschichte: Hier trifft Freaks auf italienischen Giallo-Horror auf Psycho auf den amerikanischen Slasherfilm. Das Resultat ist eine exquisite Mischung aus Avantgarde und Trash, aus Hochkultur und Gossenkultur, aus schrillem Midnight Movie und experimentellem Arthauskino. Nichts für jedermann und auch sicherlich nicht für alle Jodorowsky-Fans ebenso wenig wie für alle Trashfilm-Freunde; aber gerade mit seinem Sitz zwischen den Stühlen eines der wichtigsten Experimente des postsurrealen Kinos.

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Angel Heart (Alan Parker)

(USA 1987)

Der Mystery/Psychothriller Angel Heart mag auch zwischen den Stühlen der Genres sitzen, kommt dabei aber ungleich anschmiegsamer und massentauglicher daher. Mehr noch, näher an das Mainstreamkino sollte der Surrealismus erst wieder in den späten 90ern und frühen 2000ern mit Filmen wie Lost Highway und Donnie Darko gelangen. Der Neo Noir Thriller mit okkultem Twist bewegt sich permanent in einem alptraumhaften Ambiente, das weitaus näher an Dali und Bunuel ist, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Zugleich nutzt er diese Atmosphäre jedoch um eine mit vielen Referenzen ausgestattete Detektivgeschichte zu erzählen, die Crime und Fantasy auf faszinierende Weise kreuzt, dabei nicht nur das surreale Kino durch und durch angenehm erdet, sondern zugleich den Mystery der 90er Jahrevorwegnimmt. Klar, dass dabei einiges abgeschleift wird, was den Surrealismus sonst so außergewöhnlich macht. Entschädigt wird man dafür mit einem herrlich diabolischen Robert De Niro, einer komplett ekstatischen Lisa Bonet und einem wunderbar abgefuckten Mickey Rourke. Konklusion: Ein düsterer Genrebastard, der seiner Zeit ein gutes Stück voraus ist.

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Alice (Jan Švankmajer)

(Tschechoslowakei 1988)

Bereits die Vorlage Lewis Carrolls – Alice im Wunderland (1865) – ist eine Wundertüte surrealer Ideen, nur folgerichtig also, dass auch eine Verfilmung desselben in dieser Kategorie landen muss, oder? Von wegen. Dass man aus der fantasiereichen Vorlage so ziemlich alles zaubern kann, von Disney-Musical über Horrorgame bis zu Burton-Charade, haben das 20. und 21. Jahrhundert immer wieder unter Beweis gestellt. Jan Švankmajers Alice gehört vielleicht nicht zu den originalgetreusten Verfilmungen des Romans, ist aber mit Sicherheit die, die dem Surrealismus der Vorlage am meisten gerecht wird. Mit zahllosen bizarren Stop-Motion-Kreationen (die titelgebende Alice ist tatsächlich der einzige reale Mensch des Films) und einer durch und durch düsteren Grundstimmung wird hier wohl die verstörendste Umsetzung des Stoffes präsentiert, die es je zu sehen gab: Wo das Wunderland zum buchstäblichen Alptraumland wird und von der Realität immer nur einen Katzensprung entfernt ist, wo Erstaunen immer mit Schrecken einhergeht und die kindliche Fantasie peu à peu dekonstruiert wird. Unangenehm, unheimlich, facettenreich… meisterhaft.

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Erstveröffentlichung: 2015