Die besten Giallo-Filme der 70er Jahre II

Dass der Giallo in den späten 70er Jahren seinem Ende entgegenging, ist bezeichnend für die generelle Entwicklung des Horror-Nischenkinos der damaligen Zeit. Hatten sich die Gialli in ihrer Anfangszeit in den frühen 60er Jahren vor allem als klassische Murder Mystery Variante made in Italy präsentiert, entwickelten sie sich im Laufe der Zeit mehr und mehr zu einem Genrevehikel für Sex und Gewalt jenseits des Mainstreams, dem diesbezüglich damals noch enge Grenzen gesetzt waren. Genau jene Grenzen begannen sich in den 70er Jahren jedoch aufzulösen: Dank New Hollywood und einiger sehr erfolgreicher Terrorfilme amerikanischer Machart, fand die Gewalt im Kino heraus aus der Nische. Und plötzlich schien es die heimliche Gewalt-Nummernrevue nicht mehr zu brauchen (ein ähnliches Schicksal erfuhren auch die Vampirfilme Hammer’scher Prägung). Die Giallo-Filme sind im Grunde genommen an ihrem eigenen Erfolg untergegangen, inspirierten sie doch das aufkommende Slasher-Genre, Gore- und Splatterblockbuster, die Mord und Todschlag endgültig im Mainstreamkino verwurzelten und direkt zu dessen Horroreskapaden in den 80er Jahren führten. Der wichtigste Film in dieser Entwicklung ist wohl Im Blutrausch des Satans, der vollkommen zurecht als Slasher-Prototyp gilt. Im Kampf gegen die eigene Beduetungslosigkeit – und dem Genre immanente Redundanz – versuchten viele Giallo-Ikonen neue Wege einzuschlagen und produzierten dabei die faszinierendsten Filme des Subgenres: Suspiria als dämonische Hexenversion der Giallo-Topoi wurde bereits in der vorherigen Bestenliste erwähnt, Die sieben schwarzen Noten und Il profumo della signora in nero versuchten es dagegen mit spirituellen, übernatürlichen und geisterhaften Topoi. Und dann gibt es noch Pensione paura, der irgendwie komplett aus der Reihe tanzt und aus dem Giallo heraus eine dystopische fast schon feministische Parabel kreiert… alles andere als gewöhnlich für ein Genre, das sonst – leider oft zurecht – für seine Misogynie und seine derbe Exploitation angeprangert wird.

Die sieben schwarzen Noten [Lucio Fulci]

(Italien 1977)

Lucio Fulci dürfte Genrekennern vor allem als italienischer Vertreter des Zombiekinos in der Nachfolge des Klassikers Night of the Living Dead bekannt sein. Wer diese rohen Splatter-Machwerke gesehen hat, dürfte es kaum für möglich halten, zu welchen zurückhaltenden, düsteren und eleganten Tönen der Regisseur in der Lage ist. Sette Note in Nero, international als The Psychic vermarktet, braucht nicht den Holzhammer, den Fulci sonst in seinen Horrorproduktionen mit viel Verve einsetzt: Stattdessen orientiert sich dieser Giallo nicht nur visuell sondern auch narrativ an Edgar Allen Poe, schielt immer wieder Richtung Alfred Hitchcock und wandelt dabei gekonnt zwischen Grusel, Mystery und gediegenem Horrordrama. Insbesondere der gelungene Einsatz von vagen, alptraumhaften Visionen sorgt dafür, dass Die sieben schwarzen Noten durchwegs spannend bleibt, das Publikum stets in einem Gefühl der Unsicherheit wiegt, um dann schließlich gegen Ende mit einem brutalen, effektiven und dennoch plausiblen Plottwist einmal mit dem Rasiermesser durch seine gesamte Handlung zu schneiden. Ein äußerst edles, wohl komponiertes Werk, das weit weg ist von den Reißern, die Fulci in den späteren Jahren auf die Filmwelt loslassen sollte.

Il profumo della signora in nero [Francesco Barilli]

(Italien 1974)

Dario Argento mag der berühmteste, berüchtigste Regisseur des Giallo der 70er Jahre sein, der virtuoseste und mutigste ist indes ein anderer. Francesco Barilli erweitert und dekonstruiert das Genre lange bevor Argento dies mit Suspiria tun sollte. Der international unter dem Titel The Perfume of the Lady in Black vermarktete Gruselthriller aus dem Jahr 1974 ist dabei nicht nur sein beeindruckendstes Werk, sondern einer der stärksten Beiträge des Genres. Hier stimmt einfach alles: Die Kulissen, die zwischen Gothic Horror, modernem Slasher und surrealer Verlorenheit pendeln. Der Rahmen der Mördergeschichte, der mit Versatzstücken des Geisterfilms, des Surrealismus und des Übernatürlichen spielt und dabei viel Rosemary’s Baby Vibes versprüht. Die Unsicherheiten, die Andeutungen, die Auflösung der Handlung in einem obskuren Mix aus Psychothriller, Paranoia-Drama, Sektenhorror und Proto-Slasher… und dann natürlich dieses komplett verstörende Ende, das Horror-Stilmittel antizipiert, die man erst einige Zeit später bei Regisseuren wie David Lynch oder David Cronenberg wiederentdecken sollte. Il profumo della signora in nero ist ein Monster von einem Giallo, ein Meisterwerk des 70er Jahre Horrors und wahrscheinlich mein liebster Giallo überhaupt.

Pensione paura [Francesco Barilli]

(Italien 1978)

Und nochmal Francesco Barilli. Was ich bei den letzten genannten Filmen noch gar nicht erwähnt hatte: Es zeigt sich im 70er Jahre Giallo eine Tendenz, öfter Frauen und deren Wahrnehmung in den Mittelpunkt zu stellen, sie zu echten Protagonistinnen zu machen und nicht bloß zur Fleischschau und attraktiven Beute für den lautlosen Killer zu degradieren. Gerade darin findet sich eine Linie die direkt zum Slasherfilm und zum berühmten Last Girl in diesem führt. Pensione paura geht dabei noch einen Schritt weiter und scheint in seinem Blick auf Weiblichkeit – und in seinem Umgang mit dem männlichen Blick auf diese – fast schon ein subversiver Kommentar zum Slashergenre zu sein, bevor dieser überhaupt richtig geboren wurde. In einer düsteren, nahezu apokalyptischen Umgebung behandelt Pensione paura weibliches Leid, ja ist dabei immer auf der Schwelle zum Exploitativen, stolpert aber nicht über diese Schwelle, weil er einfach konsequent seinem Weg folgt und sich so peu à peu vom klassischen Whodunnit-Thriller zu einer beinahe feministischen Rachefantasie entwickelt. Die Opfer sind dann nämlich bei aller Schwere seiner Thematik gerade nicht die Frauen, sondern die lüsternen, verkommenen Männer, die – man kann es nicht anders sagen – alle das abkriegen, was sie verdienen. So balanciert Pensione paura manchmal etwas zu wagemutig, manchmal etwas zu kopflos, aber immer mit dem Blick nach vorne zwischen deprimierendem Drama, lautem Schocker und parabolischem, symbolbeladenem Thriller, lässt sich viel Zeit für so manche psychologischen Raffinessen und überrascht gegen Ende gekonnt mit einem gehässigen, unfassbar befriedigenden, Plottwist. Ein weiteres eigenständiges, originelles und subversives Meisterwerk von Francesco Barilli, das seine Ausnahmestellung im italienischen Kino der 70er Jahre nochmal untermauert.

Im Blutrausch des Satans [Mario Bava]

(Italien 1971)

Wir schließen mit dem Grand Father of Giallo: Mario Bava. In den 70ern hatte der Wegbereiter und Meister des Genres eigentlich nicht mehr viel neues zu sagen und schon längst an seine Nachfolger Argento und Co. abgegeben. Mit Reazione a catena, international unter A Bay of Blood oder Carnage, Twitch of the Death Nerve firmierend, hinterließ er aber dem Giallo und der restlichen Filmwelt eine Mördergeschichte, deren Einfluss gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Ja, hier haben wir ihn vielleicht, den ersten Slasherfilm überhaupt. Den Großvater von Michael Myers, Jason Voorhees und Ghostface. Gut sieben Jahre bevor Halloween das Licht der Welt erblicken sollte. Aber warum ausgerechnet dieser Film? Morde aus der POV des Killers, mysteriöse maskierte Mörder, konstruierte Plottwists… all das gab es immerhin auch in anderen Filmen. Es mag makaber und morbide klingen, aber das Prototypische an Bay of Blood ist vor allem seine Freude am Morden. Revuehafte Mordaneinanderreihungen gab es zwar auch schon zuvor im italienischen Horrorkino, aber keine war derart kreativ, inspiriert und fantasievoll wie in diesem fiesen Streifen. Das muss man nicht unbedingt toll finden. Die deutschen Prüfstellen zum Beispiel fanden das ziemlich blöd und beschlagnahmten den Film. Man kann ihm aber nicht absprechen, dass er einen ganz neuen, ja fiesen, ja amoralischen, Blick in das Genre bringt, dass er sich dabei wunderbar in seiner verworrenen Story verirrt, und dass er deutlich moderner – näher am 80er Jahre Horror-Kino – ist, als seine Giallo-Schwestern, inklusive aller Stärken und Schwächen, die dies mit sich bringt. Vielleicht kein absolutes Meisterwerk, aber dann doch der wichtigste und einflussreichste Film des Genres.

Ähnliche Artikel