Die besten Copthriller und Polizeifilme der 70er Jahre I – Poliziotteschi aus Italien

Ich habe schon in der letzten Liebesfilm-Retrospektive darauf hingewiesen, dass es für mich in den 70ern etliche Filmlücken gibt, die ich gerade dabei bin peu à peu zu füllen. Eine dieser Lücken betrifft das Genre des Polizeithrillers, insbesondere das des Poliziottesco. Vor einem Jahr noch hatte ich praktisch keine Ahnung davon, dass dieses Genre überhaupt existiert, und umso spannender war es, für diese erste Bestenliste in diesen kurzlebigen cineastischen Trend hinabzutauchen. Was sind also Poliziotteschi? Im Grunde genommen handelt es sich dabei erst einmal um alle Polizeifilme, die in den 70ern in Italien gedreht wurden und deren Handlung auch im Italien dieser Zeit spielt. Es sind zumeist raue, rohe und ungefilterte Actionthriller, in denen ermittelnde Polizisten ihrem Tagesgeschäft nachgehen, und dabei oft von einer zu humanistischen Politik, Presse und Öffentlichkeit daran gehindert werden, mit der notwendigen Härte gegen Verbrecher vorzugehen. Gerade retrospektiv fällt oft die kaum zu ignorierende rechte Schlagseite dieser Filme auf. Weil vom schwachen System mit Verbrechern zu lasch umgegangen wird, sind die aufrichtigen, bodenständigen Cops gezwungen gleichsam zu Richtern und Henkern zu werden. Gewalt und Selbstjustiz werden in den italienischen Poliziotteschi oft legitimiert, in den schlimmsten Fällen gar glorifiziert. Wie so oft in den 70ern gilt auch in diesem Genre, mehr Masse als Klasse. Zwischen Ende der 60er und Mitte der 80er Jahre entstanden unzählige brutale, oft simple und eindimensionale Polizeiballaden, die schon damals durch ihre reaktionäre Attitüde negativ aufgefallen und umso schlechter gealtert sind. Nachdem sich das Genre fast zwei Jahrzehnte ausgetobt hatte, verschwand es – ähnlich wie der Giallo – ziemlich abrupt von der cineastischen Bildfläche und wurde erst Jahrzehnte später im Rahmen breiter Retrospektiven und filmhistorischen Abhandlungen wiederentdeckt.

Wir wollen versuchen, aus dem großen Berg an ähnlichen Filmen die Perlen herauszufiltern: Das Syndikat, alias La polizia ringrazia, muss als Prototyp dieses Genres erwähnt werden, nicht zuletzt auch, weil er im Gegensatz zu vielen anderen Poliziottesco-Filmen kritisch, reflektiert mit dem Thema Selbstjustiz umgeht. Die Viper von Umberto Lenzi und Straße ins Jenseits beziehungsweise Tote Zeugen singen nicht tuen dies nicht im geringsten, können aber als spannende actionreiche Genreblaupausen überzeugen. Und neben diesen wirklich dreckigen, geschliffenen Pulp-Filmchen finden sich auch bei den Poliziotteschi doch die leichten Genredekonstruktionen: Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger kommt als bissige Satire auf die Unantastbarkeit der Polizei daher und Suspicious Death of a Minor schließlich gelingt gar eine Kreuzung aus Giallo und Poliziottesco. Trotz seiner geschmacklosen, politisch fragwürdigen Seiten gehören die Poliziotteschi zur DNA des 70er Jahre Thriller- und Actionkinos, auch über die Grenzen Italiens hinaus.

Das Syndikat [Steno / Stefano Vanzina]

(Italien 1972)

…Und eigentlich könnte die Liste hiermit schon zu Ende sein. La polizia ringrazia, der international unter dem Titel Execution Squad firmierte und in Deutschland primär unter dem Titel Das Syndikat bekannt ist, beinhaltet alles, was das Genre ausmacht: Ein raubeiniger, isolierter Cop, der verzweifelt gegen die Übermacht des Verbrechens in der italienischen Gesellschaft kämpfen muss, eine ohnmächtige Politik und Öffentlichkeit, und zu guter Letzt eine brutale Form der Selbstjustiz, die auf diesem verfaulten Nährboden gärt. Im Gegensatz zu seinen Nachfolgern und Plagiaten zeichnet Das Syndikat in diesem Rahmen aber keinen brutalen Exploitationreißer mit fragwürdiger Moral. Stattdessen setzt er sich durchaus reflektiert mit Themen wie Selbstjustiz, Rachsucht und Verantwortung auseinander und weckt dabei sogar Mitleid mit den Tätern, die schließlich zu Opfern werden. Eine subtile Sozialstudie sollte man hier aber dennoch nicht erwarten. La polizia ringrazia ist roh, gewalttätig, pessimistisch und zieht die Daumenschrauben peu à peu weiter an, um sowohl Protagonist als auch Publikum ordentlich zu zermartern. Nebenbei gibt es hier noch auffällige, deutsche Beteiligung. Mario Adorf als Staatsanwalt und (no shit!) Jürgen Drews, der als verkommener Verbrecher eine erstaunliche Figur macht. Ob man ihn nun ironisch als bärbeißigen Pulp-Actioneer, nachdenklich als düstere Reflexion über Verbrechen und Strafen oder historisch als Dokument seiner Zeit und seines Genres sehen will, an diesem Film kommt man nicht vorbei, wenn man sich mit dem italienischen Polizeifilm der 70er Jahre auseinandersetzt.

Die Viper [Umberto Lenzi]

(Italien 1975)

Bei einem so zur Exploitation einladenden Genre wie das des Poliziottesco, war es natürlich nur eine Frage der Zeit bis Pulp-Ikone, Kannibalen-, Höllenhund- und Zombiezähmer Umberto Lenzi mitmischen würde. In der Tat hat der italienische Trashmaestro in den 70ern eine ganze Reihe knüppelharter, sich ziemlich stark ähnelnder Polizeifilme verbrochen. Roma a mano armata, im englischen Sprachraum als The Tough Ones und in Deutschland unter dem Titel Die Viper bekannt, sticht vor allem durch seine munteren Actionsequenzen aus dem Genreeinerlei heraus. Inhaltlich und ästhetisch hat der episodisch gestaltete Actionthriller jedenfalls nicht viel beizutragen: Einsamer Cop, rohe Gewalt, eine fragwürdige Moral, die mit ihrem eindimensionalen Blick auf kriminelle Dynamiken ordentlich im rechten Fahrwasser fischt… wenn man das Genre kennt, findet sich hier nichts Überraschendes. Aber der Film hat im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen ordentlich Tempo, es fliegen ne Menge Fäuste und Kugeln durch die Luft, und bei all seiner halsbrecherischen Action hat der Film Gott sei Dank nicht viel Zeit, sich mit Politischem auseinanderzusetzen. Außerdem überzeugen Maurizio Merli als dreckiger und zugleich überengagierter Cop und Tomás Milián als nahezu comichaft überzeichneter Bösewicht. Der Rest ist Exploitationkost vom Feinsten… beziehungsweise vom Billigsten. Macht Spaß, tut auch manchmal weh und funktioniert perfekt als Trash-Actioneer. Wer danach davon wirklich mehr braucht, findet es in den ähnlich gelagerten Cop-Actioneers Umberto Lenzis, Der Berserker, Camorra – Ein Bulle räumt auf oder Die Gewalt bin ich.

Tote Zeugen singen nicht [Enzo G. Castellari]

(Italien, Spanien 1973)

Oh, immer diese Titelverwirrungen… also räumen wir erst einmal auf: La polizia incrimina la legge assolve, so der Originaltitel lässt sich in Deutschland auch unter dem Titel Straße ins Jenseits finden, und als englische Version mit dem Namen High Crime. Ähnlich wie Umberto Lenzis Viper hebt sich Castellaris Thriller vor allem durch seine halsbrecherischen Actionsequenzen von der Konkurrenz ab. Mehr noch, in einigen Momenten seiner fantastischen Verfolgungsjagden und Kampfszenen kommt Tote Zeugen singen nicht fast schon experimentell daher, spielt mit Kamera, Schnitt und Ton auf so virtuose Weise, dass das ästhetische und technische Talent, das hier demonstriert wird, fast schon verschwendet wirkt in einem solch stereotypen Genre. Ansonsten ist High Crime vor allem eine italienische Dirty Harry Variante, komplett frei von Ironie, roh, fast paced und mit einem guten Gespür für Geschwindigkeit und Montage. Tote Zeugen singen nicht ist inhaltlich prototypisch und wenig originell, dramaturgisch und inszenatorisch jedoch so wild, technisch so versiert und atmosphärisch so dicht, dass er definitiv zu den Klassikern des Genres gezählt werden kann.

The Suspicious Death of a Minor [Sergio Martino]

(Italien 1975)

Ohje, noch mehr Titelverwirrung! Es ist aber auch wirklich eine Crux mit diesen italienischen Filmen, die mehrmals unter unterschiedlichen Titeln synchronisiert und neu herausgegeben wurden. Morte sospetta di una minorenne firmiert international auch unter dem Titel Too Young to Die und wurde aber erst kürzlich in Großbritannien als Blu Ray unter dem Titel The Suspicious Death Of A Minor veröffentlicht. Eine deutsche Version oder Synchronisation gibt es anscheinend gar nicht, aber zumindest bei Moviepilot wird der Film als Suspected Death of Minor gelistet. In diesem Fall hört die Verwirrung jedoch nicht beim Titel auf. Darüber hinaus liefert The Suspicious Death of a Minor auch ein ordentliches Genreverwirrspiel ab. Zu Beginn noch als eiskalter, düsterer Giallo inszeniert, wandelt er sich schnell zum derben Copthriller mit einer gewissen Mystery- und Horrorattitüde, ironischen Exploitationmomenten und und so mir nichts dir nichts voll von alberner Situationskomik bis hin zu astreiner Physical Comedy. Und so bleibt am Ende nur die Frage, was zur Hölle ist Morte sospetta di una minorenne? Poliziottesco? Giallo? Actionkomödie? Thriller? Vielleicht sogar Spoof? Definitiv ein Film, der sich nicht zu ernst nimmt und den man auch selbst nicht zu ernst nehmen sollte. Dann kann man verflucht viel Spaß haben mit einer der irrsten Genrekuriositäten des Italiens der 70er Jahre.

Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger [Elio Petri]

(Italien 1970)

Im Grunde genommen haben wir es bei Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto nicht mit einem Poliziottesco zu tun. Im Grunde genommen gab es das Genre noch gar nicht wirklich, als diese dreckige Copthriller-Satire zu Beginn des Jahrzehnts veröffentlicht wurde. Umso beeindruckender, wie dieser bösartige Film Prinzipien der Poliziotteschi auseinandernimmt, bevor diese auch nur einen Schuss abgeben können. Im Mittelpunkt steht ein amoralischer, sadistischer Polizeiinspektor, der machen kann was er will: Er gerät nicht mit dem Gesetz in Konflikt. Und so wird er zum Mörder, Vergewaltiger, Erpresser und dabei immer dreister in seinem Vorgehen, bis zu dem Punkt, an dem ihn eigentlich jeder verknacken müsste, unabhängig von seinem gesellschaftlichen Rang und Status. Diese Geschichte erzählt Regisseur Petri mit viel gehässigem Humor, einem pessimistischen Blick auf Staats- und Polizeiapparate und der notwendigen Brutalität, weniger in dem was er darstellt, als viel mehr in dem, was er aussagt. Und so ist Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger der perfekte Gegenentwurf zu all den ihm folgenden Polizei und Selbstjustiz verherrlichenden Poliziotteschi; ein prototypischer ACAB-Film wenn man so will, ebenso radikal wie seine Antagonisten, allein auf weiter Flur in einer repressiven Gesellschaft und dadurch umso wertvoller. Ein starkes, gehässiges und politisch subversives Meisterwerk, und frankly der beste italienische Polizeifilm der 70er Jahre, obwohl und gerade weil er im Rahmen des Poliziottesco-Trends ein solcher Außenseiter ist.

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