Die besten Gangsterthriller und Mafiafilme der 70er Jahre

In dieser Retrospektive wollen wir uns dem organisierten (und auch weniger gut organisierten) Verbrechen widmen. Obwohl das Genre des Mafiafilms in den 1970er Jahren mit Francis Ford Coppolas Der Pate den Prototypen, den Klassiker, die Blaupause schlechthin vorzuweisen hat, sollte die Glanzzeit dieser Thrillervariation doch erst deutlich später kommen. Mit dem Original und seiner Fortsetzung Der Pate – Teil II ist zur Mafia zumindest in dieser Dekade alles gesagt, was gesagt werden musste. Daneben gibt es viele laue europäische Mafia-Actioneers, ein paar amerikanische Godfather-Klone… und das wars auch schon. Mehr Masse als Klasse. Spannender sind in den 70ern die Filme, die sich mit dem kriminellen Prekariat befassen. Mit Martin Scorseses Hexenkessel gibt es auch in diesem Subgenre ein wegweisendes Meisterwerk zu finden. Außerdem gibt es da noch den dritten großen Thriller-Regisseure dieser Ära: Sam Peckinpah. Dieser hat mit Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia einen der räudigsten Gangsterthriller des Jahrzehnts geschaffen, der vor allem retrospektiv schlicht als Meisterwerk des postmodernen Kriminalfilms gelten kann. Mit Get Carter darf auch ein britischer Knochenbrecher zwischen Noir und Revengethriller in dieser Bestenliste verewigt werden. Und um zumindest einen kleinen Blick über den Tellerrand des westlichen Kinos hinauszuwagen, muss der düstere Yakuzathriller Graveyard of Honor hier erwähnt werden. Nicht zuletzt auch, weil er noch einmal gut auf den Punkt bringt, wie dreckig, brutal und schwindelerregend Gangsterfilme in den 70er Jahren sein konnten.

Der Pate [Francis Ford Coppola]

(USA 1972)

Ja, The Godfather von Francis Ford Coppola muss eigentlich nicht groß weiter vorgestellt werden. Vollkommen zurecht gehört das Mafiaepos mit Marlon Brando und Al Pacino zu den Klassikern der Filmgeschichte. Nie zuvor wurde derart tief und ästhetisch wirkungsvoll in die Welt des organisierten Verbrechens abgetaucht. Der Pate erzählt das Wirken und die inneren Befindlichkeiten der Mafia als elegische Familiengeschichte, als Streben nach Ansehen, Ruhm und Ehre, und pendelt dabei permanent zwischen Thriller, Drama und historischem Epos. Schon damals wurde ihm – ebenfalls nicht zu Unrecht – vorgeworfen, er würde das organisierte Verbrechen glorifizieren, er würde Mord, Raub, Erpressung in ein wunderschönes Gewand kleiden. Das tut er in der Tat. Aber The Godfather ist auch kein didaktisches Lehrstück, kein Dokumentarfilm und auch kein dem Realismus verpflichteter Krimi. Er ist viel mehr ein ästhetisiertes, gewaltiges Melodram, das dem Historical Period Drama und dem Kostümfilm ebenso huldigt wie dem Politthriller der Marke New Hollywood, der dramatische Krimihandlung mit wuchtigem menschlichem Drama kreuzt, dem es gelingt emotional mitzureißen, mit Spannung zu fesseln und dabei alle Sinne anzusprechen. In den kommenden 20 Jahren sollten sich viele Nacheiferer auf diesen Prototypen berufen. Seine Klasse indes konnte kaum einer davon erreichen.

Der Pate – Teil II [Francis Ford Coppola]

(USA 1974)

Zur Fortsetzung des Paten kann ich dann doch einiges sagen, was womöglich noch nicht gesagt wurde. Achtung, kontroverse Meinung: Ich halte den sechsfach mit Oscar ausgezeichneten Film grundsätzlich für etwas überbewertet. War sein Vorgänger zwar hoch angesehen, aber vor allem als Blockbuster gewürdigt worden, so schien das Feuilleton bei der Fortsetzung diese einseitige Betrachtung des Klassikers überkorrigieren zu wollen. Und so wurde The Godfather Part II vor allem als soziales Epos rezipiert, als historische wie aktuell politisches Drama, als der subtilere, intelligentere und gerne auch schlicht als der bessere Film. Ganz sooo viel Lob hat Francis Ford Coppolas Fortsetzung dann doch nicht verdient. Das Pacing ist im Vergleich zum Vorgänger deutlich holpriger, die Geschichte ist an manchen Punkten zu sehr bemüht epochal und monumental zu sein. Und hin und wieder verläuft sie sich auch zu sehr in ihrer Montagefreudigkeit. Aber genug gemeckert, es gibt auch einiges, was für die Fortsetzung spricht: Durch die Erzählung zweier Handlungsstränge – der junge Don Vito im Amerika des frühen 20. Jahrhunderts und sein Sohn und neuer Pate Michael in den 50ern – wird Der Pate – Teil II zu einem ein halbes Jahrhundert umfassenden Epos. Da er auch darüber hinaus deutlich generöser mit Handlungsorten und Charakteren umgeht, wirkt er größer, komplexer und in vielen Punkten auch ambivalenter, weniger glorifizierend als Teil Eins. It’s a mixed bag: Auch die Fortsetzung ist ein guter Film, ein sehenswerter Film, aber gegen seinen überirdischen Vorgänger kann er nicht anstinken. Und die überschwängliche Rezeption, die er in den letzten 45 Jahren erhalten hat, ist … naja… dann doch ein bisschen zu viel.

Hexenkessel [Martin Scorsese]

(USA 1973)

Martin Scorseses Independent Drama Hexenkessel (Gute Übersetzung des Originaltitels Mean Streets) ist der radikale Gegenentwurf zum ästhetisch hochkarätigen Blockbuster Der Pate. Hier glänzt nichts und hier schimmert nichts. Wir erhalten keinen Einblick in die High Society des organisierten Verbrechens, sondern erleben den Überlebenskampf einfacher Kleinkrimineller auf den Straßen von Little Italy. Mean Streets ist im Grunde genommen die sozialdemokratische Antwort auf den elitären Godfather, er zeigt nicht nur das Prekariat, sondern lebt mit ihm und leidet mit ihm. Er hat einen genauen Blick auf und ein Herz für die kleinen Leute. Er zeigt ihren Alltag als chaotische, hektische oft tragische sozialdarwinistische Farce. Dabei wirkt er die gesamte Zeit über naturalistisch, roh und dokumentarisch, die Dialoge und Handlungen der Akteure sind teilweise improvisiert, manchmal schluderig und unvollkommen. Aber bei Gott entfaltet dieser Film mit seinen einfachen Mitteln eine emotionale Wucht. Mean Streets ist unfassbar pointiert in der Herausarbeitung der Tragik des kleinen Ganoven auf den New Yorker Straßen. Er ist dabei nicht nur roh und dreckig, sondern auch dionysisch, gewaltig und gewalttätig. Eine kriminelle Oper aus Staub und Dreck, ein Zusammenspiel von Gewalt und Mord, besungen von einem klassischen tragischen Chor, der die heruntergekommenen Straßen zur Bühne eines großen Dramas werden lässt.

Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia [Sam Peckinpah]

(USA 1974)

Einen ganz anderen Weg geht die schmutzige Gangster-Farce Bring Me the Head of Alfredo Garcia von Sam Peckinpah. Er ist weder realistisches Gangsterdrama noch epische Ballade. Stattdessen haben wir hier fast so etwas wie den Prototypen eines tarantinoesken Films vor uns. Die Geschichte um eine Leiche, hinter der gleich eine ganze Reihe von Gaunern und Banditen her ist, ist ein schwarzhumoriger, eklektischer Pulp Streifen, in dem Gangster aus Mexiko auf Gangster aus Amerika treffen, die kriminelle Oberschicht mit der kriminellen Unterschicht konfrontiert wird, und in dem munter diverse Genres vermixt werden. So hat Alfredo Garcia keine Angst davor auch mal einfach nur wirklich bewegender Liebesfilm zu sein, mutiert dann urplötzlich zum bizarren Road Trip, nur um kurz darauf realistisch und dreckig vom Kampf eines einfachen Ganovens ums Überleben zu berichten. Warum? fragt sich da nicht nur ständig der partiell nachvollziehbare, partiell irre Protagonist, während Leichen seinen Weg pflastern. Warum? fragen sich auch ständig die Zuschauer, wenn ihnen diese übergroße Crime Portion vor die Füße geworfen wird. Alfredo Garcia ist so ziemlich der räudigste Thriller seiner Epoche, oft brutal, oft albern, oft pathetisch, oft dreckig, und immer von allem viel zu viel. Damals wurde der Film verkannt, und auch heute noch wird er selten bei den besten Peckinpah-Werken mitgelistet. Zumindest in manchen Kreisen hat er mittlerweile Kultfilmstatus. Genau diesen hat er auch durch und durch verdient. Jeder Tarantino-Freund, jeder Pulp-Liebhaber, jeder Fan von etwas anderen, durchgeknallten Filmen darf sich dieses räudige, degenerierte Meisterwerk nicht entgehen lassen.

Get Carter [Mike Hodges]

(Großbritannien 1971)

Nicht ganz so bizarr, dafür aber umso härter, um so brutaler ist der britische Gangsterstreifen Get Carter, der in Deutschland zeitweise unter dem dummen Titel Jack rechnet ab veröffentlicht worden war. Zeitweise, weil er dank der BPjM seit 1984 auf der Liste der jugendgefährdenden Medien steht, und ein derart gebrandmarkter Film hierzulande eher nicht als DVD oder Blu Ray vertrieben wird. So ganz nachvollziehbar ist die Indizierung dieses hard boiled Streifen nicht, insbesondere wenn man ihn gegen jüngere, freigegebene Gewaltorgien hält. Ja, Get Carter ist zwischendurch ziemlich brutal, sein Protagonist ist eiskalt und hat einen Hang zum Sadismus, aber der Film ist dennoch mehr als eine reine brutale Rachemär. Gerade in seiner ersten Hälfte kommt er sogar eher als sehr britischer, sehr eleganter und ziemlich unterkühlter Noir Krimi daher und entwickelt sich erst im letzten Drittel zum gewalttätigen Revengethriller. Dies gelingt ihm aber durch eine durch und durch nachvollziehbare Motivik, indem er den hier ermittelnden Gangster (herausragend gespielt von Michael Caine) emotional deutlich tiefer in die mysteriöse Geschichte involviert, als dies klassische Detektivfilme in der Regel tun. So wird Rachsucht nicht nur zum tragenden Motiv des Films sondern auch zum Eckfeiler der Persönlichkeit dieses raubeinigen, geradezu Amoklaufenden Jack Carter. Der kommt dann tatsächlich mitunter ziemlich kaltschnäuzig und sadistisch daher und wird in seinem brutalen Tun auch wenig hinterfragt. Gerade in seiner pessimistischen Weltsicht, seiner Amoralität und seiner nahezu apokalyptischen Verzweiflung ist Get Carter aber eine herausragende Gangsterballade um Zorn, Verzweiflung und den unbedingten Willen, keine Schuld ungesühnt zu lassen.

Graveyard of Honor [Kinji Fukasaku]

(Japan 1975)

Ähnlich wie Get Carter zeigt auch der japanische Yakuza-Thriller Jingi no hakaba (wörtlich ins Deutsche übersetzt: Friedhof der Yakuza-Regeln) einen Protagonisten, dessen Sadismus und Kaltschnäuzigkeit ihn nicht unbedingt zum Sympathieträger taugen lassen. Kinji Fukasaku geht sogar noch ein ganzes Stück weiter als die Konkurrenz aus dem Ausland: Der im Zentrum seines Films stehende Rikio Ishikawa ist ein nicht nur unsympathischer sondern auch beängstigender Psychopath, ein radikaler, unberechenbarer Killer, der ab einem gewissen Punkt selbst der Yakuza suspekt wird. Folgerichtig gibt es in dieser Gangsterballade wirklich gar nichts, woran man sich festhalten könnte. Die traditionellen Regeln der japanischen Mafia scheinen außer Kraft gesetzt. Dort wo der Protagonist auftaucht, herrschen Chaos und Misstrauen. Er ist ein Anarchist unter Kriminellen, der weder Regeln noch Ehre oder Moral kennt. Fukasaku inszeniert das Biopic dieses Wahnsinnigen als fesselnden Blick auf eine fremde Welt, die von innen heraus erodiert. Die Kamera ist immer ganz nah an ihrem verkommenen Sujet, oszilliert zwischen semidokumentarischen Eindrücken und im wahrsten Sinne des Wortes schwindelerregenden Actionszenen, die mit viel Gewalt und Blut garniert sind. Dabei unterstützt der hektische, vieles auslassende Montagestil die Grundatmosphäre des Films, die das Publikum durch eine raue und brutale Welt irren lässt. Graveyard of Honor schildert ein Einzelschicksal in einer erschreckend fragilen Unterwelt, er ist aber auch Postkriegsfilm, Gesellschaftsporträt und exploitative Gewaltorgie. Ein schwerer Brocken, ein fieses Biest von einem Film und eine enervierende Reise in eine kaputte, beängstigende, aber nichtsdestotrotz faszinierende Welt.

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