Die besten Drogenfilme der 90er Jahre

Wir gehen weiter in unserer 90er Retrospektive zu einem wahrscheinlich nur vermeintlich kleinen Subgenre, das in diesem Jahrzehnt omnipräsent war. Drogen waren der Pop dieses Jahrzehnts. Auf die eher düsteren 80er folgte eine hedonistische Dekade, in der möglichst lange, euphorisch und ekstatisch gefeiert wurde. Ectasy wurde schnell zur Modedroge Nummer eins, und ebenso wie sich LSD auf das Wirken vieler Filmemacher der 60er auswirkte, hatten die 90er-Rauschmittel Einfluss auf die Filme ihrer Zeit. Es gab den Heroin-Chic, es gab die Ecstasy-Coolness und die Kokain-Dekadenz. Doch genau wie es in den Kriegsfilmen der Dekade nur selten wirkliche Gewinner gab, sind auch die hier nominierten Filme kein affirmatives Statement für Drogen, sondern spiegeln in ihren besten Momenten all jene Ambivalenz wider, die der Kultur des Rausches seit jeher anhaftet.

Trainspotting (Danny Boyle)

(Großbritannien, 1996)

Trainspotting dürfte ohne Zweifel zu den die Dekade definierenden Filmen gehören: Veröffentlicht so ziemlich genau in der Mitte des Jahrzehnts, basierend auf einem Roman aus den frühen 90er Jahren, besetzt mit Schasupielern, die zum Ende der Dekade noch großen Ruhm erreichen sollten (vor allem Ewan McGregor), ausgestattet mit einem perfekten 90’s Score zwischen Punk, Electro und Brit Pop… und sowohl in seinem hedonistischen Narrativ als auch seiner exzessiven Ästhetik das perfekte Destillat aus Rave/Alternative/Indie und Pop. Unabhängig davon ist Trainspotting aber auch ein herausragender Film, der ohne erhobenen Zeigefinger genau die richtige Mischung aus Immersion, ethnologischer Begeisterung, naivem Exzess und kritischer Reflexion findet. Nicht nur ein definierender Film für seine Epoche, sondern ganz allgemein einer der definitivsten Drogenfilme überhaupt.

Friday (F. Gary Gray)

(USA,1995)

Ganz anders als die Dekade zu definieren oder gar ihrer Definition zu folgen, arbeitet Ice Cubes und Felix Gary Grays Friday gegen cineastische Motive seiner Zeit. In den frühen 90er Jahren waren Filme, die in der so genannten Hood spielten ein beliebtes Thema. Das New Black Cinema entdeckte in ihnen den Raum für Milieustudien, düstere Gangsterepen und pessimistische Sozialdramen. Friday ist ein Gegenentwurf zu dem nihilistischen Blick auf Gegenden wie die Bronx oder in diesem Fall South Los Angeles. Die Gewalt wird nie zum ausweglosen Fegefeuer, stattdessen beweist Friday, dass auch das Leben zwischen Gangstern und sozialen Randgruppen, umgeben von Verbrechen, Arbeitslosigkeit und Drogen verflucht viel Spaß machen kann. Klar, das ganze ist mehr als nur ein Drogenfilm, aber durch seine entspannte Ader und das Dauergekiffe in Kombination mit einem fetten Augenzwinkern wird er zu einem hervorragenden Stoner-Film, der weder sich noch sein Sujet zu ernst nimmt und ihm dennoch und gerade deswegen größten Respekt erweist.

Jim Carroll – In den Straßen von New York (Scott Kalvert)

(USA, 1996)

Anders funktioniert da doch die Verfilmung der Basketball Diaries des Autoren, Künstlers und ehemaligen Junkies Jim Carroll. Hier wird nicht mit den Augen gezwinkert und auch nicht entspannt gekifft. Stattdessen porträtiert – der noch junge aber bereits überragende – Leonardo DiCaprio eine mitreißenden Abwärtsspirale, in der die Droge mehr und mehr zum alles entscheidenden Lebensinhalt wird. Behutsam zieht der Film seinen auf wahren Begebenheiten beruhenden Inhalt aus den 60er Jahren hinaus, direkt hinein in das New York der 90er Jahre. Mag darunter ein wenig die Werkstreue leiden, so gewinnt der Film doch erheblich an immersiver Kraft und Eindringlichkeit und darf darüber hinaus auch noch beweisen, wie zeitlos das Drogenthema ist und auch dargestellt werden kann.

Human Traffic (Justin Kerrigan)

(Großbritannien, 1999)

Wenn Trainspotting der definitive Drogenfilm der Dekade ist, so ist Justin Kerrigans Human Traffic der Film, der die Dekade im Rausch beendet. Angesiedelt in der britischen Drogen- und Raveszene des ausgehenden Jahrzehnts ist Human Traffic ein faszinierendes, hedonistisches und ekklektisches Ensemblestück zwischen Lust for Life, Deep Depression, Teenage Angst und Teenage Zorn… ein Composite Film, der wie sein Sujet auf jede stimmige Fokussierung verzichtet und sich stattdessen der Leidenschaft der Nacht und dem Rausch des Wochenendes hingibt. Das ist wild, oft neben der Spur, gerne auch nervig, manchmal ein wenig apokalyptisch, am Ende aber auch vor allem hoffnungsvoll und sogar versöhnlich. Ein irrer, sehr zeitgemäßer – und damit mittlerweile auch ein wenig anachronistischer – Schlusspunkt unter ein desorientiertes, ja, doch ziemlich verdrogtes Jahrzehnt.

Fear and Loathing Las Vegas [Terry Gilliam]

(USA, 1995)

Aber es muss nicht nur zeitgemäß sein. Es geht auch zeitlos, selbst in so einem spezifischen, speziellen Jahrzehnt wie den 90ern. Fear and Loathing in Las Vegas krallt sich eine Erzählung von Hunter S. Thompson aus dem Jahr 1971 – A Savage Journey to the Heart of the American Dream – deren Handlung in den 1960er Jahren angesiedelt ist und übergibt das Regiezepter einem 80er-Jahre Virtuosen, nämlich Terry Gilliam von Monty Python. Heraus kommt ein wilder Ritt durch die Jahrzehnte: Ein Motiv aus den 60er, im Narrativ der 70er, mit stilistischen Mitteln der 80er, transferiert in die Ästhetik der 90er. Fear and Loathing Las Vegas ist ein durchgeknallter, antizyklischer Trip in das Herz der amerikanischen Finsternis, ein außergewöhnlicher Spagat zwischen Konsum, Exzess, Subversion und wilder Romantik: Mit Mut zur Hässlichkeit, Mut zur Schönheit, Mut zum Surrealen und Mut zum allzu Realen. Ein großartiges Meisterwerk, in dem der Film selbst zur Droge wird, und damit wahrscheinlich der Beitrag hier, der am ehesten die Bezeichnung Drogenfilm verdient.

Naked Lunch – Nackter Rausch [David Cronenberg]

(Kanada 1991)

Wo wir gerade bei grotesken Literaturverfilmungen sind, darf eine nicht fehlen. David Cronenbergs Interpretation von William S. Burroughs Kultroman beschäftigt sich nicht einfach mit dessen Handlung, sondern ebenso mit dessen Entstehung, mit der fiebrigen Mentalität des Autoren der Beat Generation und vor allem mit der Verkettung von Realität, Traum, Rausch und Metaphorik. Wo der Horror beginnt, wo der Drogenrausch aufhört, wo sich die Geschichte komplett von ihrer Narration löst und auf Metaebenen und parabolischen Nebengleisen arbeitet, ist hier nie offensichtlich… aber der Rausch diktiert das Geschehen, treibt es voran, lässt ´Schreibmaschinen zum Leben erwachen, Kakerlaken mit der Politik interagieren und den grandios spielenden Peter Weller langsam in den Wahnsinn abdriften. Ein perverser, satirischer, erschreckender Bodyhorror/Drogen/Surrealismus-Bastard, der es in sich hat.

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Erstveröffentlichung: 2011