Die besten Tarantinoesken Filme der 90er Jahre

Allzu sehr unterscheiden sich die Tarantinoesken Filme der 90er nicht von denen der 00er Jahre. Auch hier gibt es die Tarantino-Instantklassiker, auch hier gibt es die Epigonen und auch hier gibt es die Filme, die irgendwie in das ‚Genre‘ reinrutschen, ohne dass sie es je darauf angelegt hätten. Und doch sind die 90er vor allem als das Jahrzehnt in die Filmgeschichte eingegangen, in dem die Tarantinoesken Filme ihren Siegeszug antraten. Fraglich, ob dafür ganz allein der Mainstreamerfolg von „Pulp Fiction“ verantwortlich gemacht werden kann… Vielleicht lag es  viel mehr daran, dass es nach der Grabenziehung der 80er zwischen Pop, Kunst und Midnightmovie Zeit für eine (für alle erfreuliche) Versöhnung war. Vielleicht war es für die Postmoderne einfach Zeit, nachdem die 80er alles Intellektuelle dekonstruiert hatten, sich auch ans Popcorn ranzumachen… Vielleicht war es auch einfach nur die plötzlich aufkeimende Freude kleiner Jungs, Geekfilme zu produzieren, die – warum auch immer – vom Feuilleton zur großen Kunst erklärt werden…  Anyway: 90er Jahre Pop-Exploitation, Gangsterromantik, Comicstilisierung, 70er Hommagen und Dekonstruktionen… nach dem Klick.

Reservoir Dogs [Quentin Tarantino]

(USA 1992)

JA! Natürlich müssen die besten Tarantinoesken Filme der 90er Jahre mit dem Regiedebüt Quentin Tarantinos eingeleitet werden. Da führt kein Weg daran vorbei. Ebenso wenig führt irgendein Weg an diesem gottverdammten Bastard aus Heist-Movie, Thrillerdrama und popkulturellem Comic vorbei. „Reservoir Dogs“ ist vollkommen zurecht der Film, der Tarantino den Weg in den Mainstream ebnete. Ein kompromissloser, bitterböser und makaberer Hybrid aus Pop- und Subkultur, ein infames Mashup aus coolen, vollkommen irrelevanten Dialogen, markigen Charakteren und deftiger Leinwandbrutalität. Bereits damals schon mit einem ungeheuren Gespür für Stil und Coolness inszeniert, perfekt verschachtelt erzählt, anekdotisch, bunt, laut und as cool as it gets. Ein Meilenstein des postmodernen Thrillerkinos.

From Dusk Till Dawn [Robert Rodriguez]

(USA 1996)

Machen wir gleich weiter mit Tarantinos Busenfreund Robert Rodriguez. In dem kurzweiligen und poppigen Mashup aus Gangsterthriller, Road Movie, ironisch überspitzter Exploitation und genüsslichem Splatter/Gorefest sind die beiden Kinovirtuosen einträchtig vereint. Tarantino schrieb hier nicht nur das Drehbuch sondern übernahm auch gleich eine wesentliche Hauptrolle und drückt dementsprechend dem raubeinigen Genrehybriden seine unverkennbare Note auf. Ohnehin riecht hier alles nach ‚Rodriguez trifft Tarantino‘: Coole Gangsteroptik und tarantinoeske Gewalt kombiniert mit der Spätwesternatmosphäre des kreativen Mexikaners, charismatische Typen von beiden Seiten der amerikanischen Grenze und nicht zuletzt ein ungemein kaltblütiger Plottwist und 180° Genreturn gegen Mitte des Films. Selbstverständlich ist „From Dusk Till Dawn“ eher flach, ergötzt sich gegen Ende nur noch an aufplatzenden und explodierenden Körpern, natürlich werden hier abstruse Moralvorstellungen mit übertriebenem Pathos gekreuzt… aber das augenzwinkernde Blut- und Tränen Trashspektakel ist einfach dermaßen unterhaltsam Over the Top, dass es einfach nur genossen und angebetet werden kann.

El Mariachi [Robert Rodriguez]

(Mexiko 1992)

Warum war Tarantino vom mexikanischen Kollegen gleich so begeistert? Genau! Deswegen. Der wohl dreckigste und roheste Film dieses Artikels. Low Budget, unter 10.000 Dollar Produktionskosten verwirklicht, simpel in seiner Geschichte, trashig in seiner Ausführung und dabei ungemein lässig, episch und mitreißend. Die Verwechslung eines umherziehenden Mariachis mit einem Profikiller und die sich daraus ergebenden Konsequenzen werden von Rodriguez für ein lächerlich kleines Budget perfekt inszeniert und arrangiert. El Mariachi ist ein kleiner, zäher Spät- und Spaghettiwestern aus der mexikanischen Einöde, eine pathetische Gangsterballade und ein ironisch überzeichneter, dreistderber Comic voller Gewalt, spitzbübigem Humor und großartigen – unvergesslichen – Szenen.

Desperado [Robert Rodriguez]

(Mexiko, USA 1995)

Und das Sequel/Remake/Neuverwurstung der Story gleich hinterher. Mit großem Budget, angepasst an amerikanische Marktgewohnheiten ließ Desperado Robert Rodriguez in Hollywood Fuß fassen. Dabei ist Desperado storytechnisch tatsächlich noch simpler als sein Vorgänger. Die Geschichte reduziert sich einzig und allein auf die Rachegeschichte des Mariachis aus Teil 1, verzichtet auf jeglichen Schnörkel, beginnt als Showdown, endet als Showdown und hat dazwischen – richtig – mehrere Showdowns zu bieten. Und doch macht dieser karikaturistische Over The Top Burrito-Western so verdammt viel Spaß, dass man ihm die dramaturgischen Defizite – Story, wo bist du? – überhaupt nicht übel nehmen kann. Er ist groß, erhaben, ein einziges „Fremder kommt in kleine Stadt und räumt dort auf“ Freudenfeuer: Augenzwinkernd, übertrieben, Revolverheldenromantik in jeder erdenklichen Form zelebrierend… und einfach nur ein wundervoller Filmspaß für kleine und große Jungs.

Pulp Fiction [Quentin Tarantino]

(USA 1994)

Zurück zu Quentin Tarantino himself und zu… na was wohl? Kann über diesen Film überhaupt noch etwas gesagt werden, was nicht schon gesagt wurde? Die episodisch und verschachtelt erzählte Reihung von Groschenheft-Geschichten ist längst zum filmhistorischen Kanon geworden: Dialoge über Fußmassagen, erinnerungswürdige Tanzperformances, die goldene Uhr mit ungewöhnlichem Aufenthaltsort und die legendären rabenschwarzen, düsteren und makaberen Gewealteskapaden im filmischen Zentrum… zusätzlich noch dieser kongeniale Pop/Soul/Rock-Soundtrack, unvergessene Bibelzitate, eine einfach mal sau coole Atmosphäre und fucking cool Harvey Keitel. Pulp Fiction ist ein buntes Sammelsurium aus Stereotypen, überstilisierter Gewalt, perfekt sitzender Coolness und noch perfekter sitzendem Timing. Einfach eine großartige Fusion von Pop, Midnight Movie, Exploitation und postmoderner Dekonstruktion…

The big Lebowski [Joel Coen, Ethan Coen]

(USA 1998)

Ja, ja, ja… Ich höre schon die erbosten Aufschreie. Es ist auch schon ein bisschen ungerecht, das geniale geschwisterliche Regieduo hier mit dem Label tarantinoesk zu versehen. Aber da die beiden Brüder bei weitem nicht so viele Epigonen fanden wie Mr. „Pulp Fiction“, werden wir uns an dieser Stelle das Wort Coenesk sparen… die Gerechtigkeit ist spätestens dann wieder hergestellt, wenn die beiden Coen Brüdern in so ziemlich jedem Genre der 90er einen kleinen Auftritt haben und vom Thriller bis zur Komödie gewürdigt werden. Anyway, wir sind hier beim Dude, und der passt nunmal einfach perfekt in die Riege erstklassigen Tarantinoesken Kinos. Eine wilde Mischung aus Krimi, Komödie, Drogentrip und Detektivhommage. Garniert mit unzähligen „Fucks“ und „Dudes“, mit einer ordentlichen Brise Outsiderromantik, viel White Russian, Bowling und einem großartigen mysteriösen Cowboy als Erzähler und Chor. Ein perfekter – abseitiger – Genrebastard, ein großes intellektuelles Vergnügen und selbstverständlich weitaus mehr als ein bloßer Tarantino-Epigon.

Dead or Alive [Takashi Miike]

(Japan 1999)

Und auch bei Takashi Miike kann wunderbar darüber gestritten werden, ob man dem Enfant Terrible des 90er Jahre Yakuza Films gerecht wird, wenn man ihn einfach in die Tarantino-Ecke stellt… Natürlich nicht. Aber zumindest sein Klassiker des japanischen Genrekinos „Dead or Alive“ hat alle Ingridenzien, die auch die herausragenden Filme Tarantinos auszeichnen: Die Kombination von Exploitation (direkt aus der Videoecke) und postmoderner Dekonstruktion. Die Bastardisierung von Comicflair, Clipästhetik, großem menschlichen Drama und B-Movie-Action, die Zitatfreude beim Verwenden anderer Genres und Filmreminiszenzen und nicht zuletzt der verspielte Umgang mit Pop, Mainstream und vollkommen abseitigen Ideen. Das Yakuza Thriller/Comedy/Drama „Dead or Alive“ ist ein wüster Mischling aus Überstilisierung, Naturalisierung und vollkommenem Over the Top Geschehen. Ein überbordernder Genrebastard und die perfekte Unterhaltung für den abseitigen Geschmack: Vom wilden Clipintro, über das ruhige menschliche Drama bis hin zum absolut grenzüberschreitenden Finale.

Bube Dame König grAs [Guy Ritchie]

(Großbritannien 1998)

In den niedrigen Fahrwassern eines bloßen Tarantino-Epigonen – und ständig in Gefahr als ein solcher ertappt zu werden – bewegt sich UK-Kultregisseur Guy Ritchie…. und beweist damit, dass nicht nur Amerikaner den Pop/Postmoderne/Gangster-Mashup Charme draufhaben. Denn auch wenn Ritchie vieles von seinen US-Vorbildern entleiht, so machen seine Filme als kleines Jungs Kino doch einfach nur verdammt viel Spaß. „Lock, Stock & two smoking Barrels“ erzählt in irrwitzigem Tempo eine ausufernde Episodengeschichte voller Kleinganoven, großer Gangster, Möchtegernkiller, echter Killer, Grasverticker, Waffenverticker und so weiter… und mixt diese Handlungsfäden zu einem einzigen riesigen Kneuel, in dem alles durcheinanderläuft und niemand (abgesehen von den Zuschauern) den Überblick behält. Eine herrlich groteske, überzeichnete Ganovenfarce, eine vorzügliche Thrillerkomödie mit britischem Charme und Verve.

Schnappt Shorty [Barry Sonnenfeld]

(USA 1995)

Back to the USA… und direkt nach Hollywood. Die Ganovenkomödie „Get Shorty“ gehört eher zu den ‚braven‘ Tarantino-Epigonen. Und trotzdem macht dieser Film einfach nur verdammt viel Spaß. Der dank Pulp Fiction rehabilitierte John Travolta darf hier seine coole Gangsterrolle (minus Aggressionspotential) gleich noch einmal spielen, Gene Hackman darf als herrlich komischer und bemitleidenswerter Produzent auftrumpfen, Rene Russo darf beweisen, dass auch sie erstaunlich cool sein kann, und Danny DeVito ist hier dermaßen uncool, dass er schon wieder cool ist. Die Gangsterkomödie wird durch dieses hervorragende Cast und die elegante ironische Brechung zu einer köstlichen Farce, einer effektiven Hollywoodsatire und nebenbei zur perfekten Familienversion des Tarantinoesken Kinos.

Jackie Brown [Quentin Tarantino]

(USA 1997)

Der letzte Tarantino-Streifen der 90er ist eingerahmt von Pulp Fiction und Kill Bill ja fast ein wenig untergegangen. Dabei vereint der – im Vergleich zu anderen Filmen des Regisseurs – recht gemächliche und entspannte Film alles, was einen guten Tarantino ausmacht: Eine ordentliche Hommage an Foxy Brown und das Blaxploitation-Kino der 70er Jahre, einen hervorragenden Soul- und Funkscore, viele Pop- und Belanglosigkeitsdialoge und ein hervorragend aufgestellter – sau cooler – Cast. Der Heist Movie um Schmuggelware, Geldtaschen und die berühmte „Wer verarscht hier wen?“-Frage ist ein großartiges Dauerfeuer an Nostalgie, postmoderner Ironisierung und bissigem, schwarzhumorigen Sarkasmus. Bitterböse, wunderschön anzuschauen, sexy und verführerisch und einfach großartige Crime & Comedy Unterhaltung.

Grosse Pointe Blank [George Armitage]

(USA 1997)

Ähnliches wie für Schnappt Shorty gilt auch für die schwarze Komödie „Grosse Pointe Blank“. Ein Auftragskiller, der zurück in sein Heimatnest fährt, unerledigte Geschäfte, eine alte Jugendliebe und die omnipräsente Frage: „Ist man als Killer ordentlich versichert?“ machen aus Grosse Pointe Blank eine herrausragende Pop-Farce in der US-Biederkeit mit cooler Gangsterromantik zusammenprallt. Heraus kommt ein munterer, relaxter Genrebastard aus Neurosenkomödie, Thriller und klassischem skurrilen Popcornkino, dessen Augenzwinkern und verschmitztes Lächeln derart charmant sind, dass man ihm die Epigonie zu (fast) keinem Zeitpunkt übel nimmt.

Out of sight [Steven Soderbergh]

(USA 1998)

Klar, Steven Soderbergh steht eigentlich für unglaublich gelacktes, cleanes und stylishes Kino. Dass er damit mitunter von der sauberen Exploitation- und Gewaltästhetik Tarantinos gar nicht so weit entfernt ist, durfte er 1998 mit der Krimikomödie „Out of Sight“ unter Beweis stellen. Die Romanze zwischen einem Vollzeit-Ganoven und einer toughen Polizistin bietet genau die richtige Mischung aus nostalgischem Retrocharme und ironischer Brechung und Genredestruktion, um ein ungemein freispielendes Vergnügen zu sein. Stylish und cool ist es ohnehin, wie George Clooney und Jennifer Lopez  hier um den jeweils anderen schleichen, sexy ebenso, und gegen Ende dann sogar überraschend brutal und kaltschnäuzig. Eine saubere, stilvolle Thrillerkomödie, hinter derem charismatischen Lächeln sich ein fieses Zähnefletschen verbirgt.

Ähnliche Artikel

Erstveröffentlichung: 2011