Die besten Thriller der 70er Jahre VIII

So ein paar Thriller habe ich noch. Und wenn ich mich zwischen all den Cops, Detektiven, Gangstern, Spionen und Psychos nicht verzählt habe, ist Retrospektive Nummer acht an der Reihe. Dieses Mal ohne Unterschublade aber dafür mit vielen Trademarks, denen wir bereits in anderen Thriller-Retrospektiven begegnet sind. Da wären zum Beispiel die klassischen Psychothriller-Tropes von gewalttätigen, in die Ecke gedrängten Menschen, wie wir ihnen bei Straw Dogs, Beim Sterben ist jeder der Erste und Badlands begegnen werden. Da wären mehrere Gangsterfilmmotive, ebenfalls erfüllt in Badlands, aber besonders präsent in The Getaway. Da wären Angst und Paranoia, sowohl im sehr persönlichen Das Mädchen am Ende der Straße, als auch im Politischen – mit dem Spionagethriller flirtenden – Marathon Mann. So oder so: Spannend sind all die genannten Filme, und dass sich keiner von ihnen eindeutig in eine Schublade stecken lässt, spricht eher für als gegen sie.

Straw Dogs [Sam Peckinpah]

(Großbritannien 1971)

Wie wird Gewalt geboren? Aus Angst, aus Wut aus Paranoia. Aus der Konfrontation mit dem Fremden und den eigenen Abgründen. All dem geht Thriller-Spezialist Sam Peckinpah in seinem düsteren Psychogramm und Gesellschaftsporträt Straw Dogs (mit der gelungenen deutschen Betitelung Wer Gewalt sät) auf den Grund. Ein amerikanisches Ehepaar wird im ländlichen England mit Ablehnung und Vorurteilen der einheimischen Bevölkerung konfrontiert. Sie erleben Gewalt und Demütigung, bis sie schließlich mit den selben Werkzeugen zurückschlagen, die zuvor ihre Peiniger eingesetzt haben. In Straw Dogs trifft nicht nur liberale Großstadt auf konservatives Land sondern auch Bildungsbürgertum auf Proletariat. Und so eindeutig die Sympathien am Anfang verteilt scheinen, entwickelt der Film im Laufe seiner Handlung doch einen unheimlich pessimistischen Sog, in dem er verdeutlicht, dass jeder Mensch zum animalischen, grausamen Handeln in der Lage ist. So entlarvt er auch Ignoranz und Egozentrik der vermeintlich aufgeklärten Intellektuellen und lässt in einem brutalen Finale zwischen Home Invasion und Revengethriller alle Grenzen von Gut und Böse verschwimmen. Ein schwerer, harter und erbarmungsloser Film, der Mechanismen von Gewalt perfekt erklärt und durchleuchtet.

Beim Sterben ist jeder der Erste [John Boorman]

(USA 1972)

Das etwas dreckigere, etwas derbere und etwas actiongetriebenere US-Pendant zu Straw Dogs ist der Actionthriller Deliverance (der mit Beim Sterben ist jeder der Erste ebenfalls einen gelungenen deutschen Titel erhielt). Auch hier werden bürgerliche Städter mit einfachen Landbewohnern konfrontiert. Wo Straw Dogs jedoch ein komplexes Gesellschaftsporträt zeichnet, inszeniert sich Beim Sterben ist jeder der Erste als knallharter Survivalthriller, in dem die menschlichen Abgründe in der ausweglos scheinenden Wildnis der amerikanischen Südstaaten gespiegelt werden. Mit Hilfe eines reißenden Flusses und erbarmungslosen Felsklüften ist für eine Menge Action gesorgt, und doch ist Boormans Film an den entscheidenden Stellen einfach nur ein abgefuckter, brutaler Terrorfilm, der so manche Topoi mit dem amerikanischen Hinterwäldler-Horror teilt (und das wohlgemerkt zwei Jahre vor dessen Klassiker The Texas Chain Saw Massacre). Daneben mixt er Abenteuergeschichte mit Freundschaftsdrama mit Gewaltstudie mit einem gnadenlosen Kampf ums Überleben. Sicherlich nicht der feinfühligste Film der Dekade, aber eine grandiose Auseinandersetzung mit den atavistischen Seiten des Menschen.

Das Mädchen am Ende der Straße [Nicolas Gessner]

(Kanada, USA, Frankreich 1976)

Ohne Zweifel handelt es sich bei den erst genannten Gewaltstudien um ziemlich testosterongeladene Filme. Auch wenn sie maskuline Stereotype und Verhaltensmuster hinterfragen, so ist ihnen doch ein Triumph des Männlichen inhärent. Die Verfilmung des Romans The Little Girl Who Lives Down the Lane ist vielleicht auch ein wenig so etwas wie das weibliche Pendant zu diesen beiden Thrillern. Auch hier geht es um Mechanismen der Gewalt, die aus Enge, Angst und Paranoia entwachsen kann. Die Perspektive ist jedoch eine komplett andere. Im Mittelpunkt steht ein gerade mal dreizehnjähriges Mädchen (herausragend gespielt von Jodie Foster, noch vor ihrer Berühmtheit durch Taxi Driver), und dementsprechend äußern sich Misstrauen, Hass und Gewalt auch anders als in den Genrebrüdern. Das Mädchen am Ende der Straße oszilliert zwischen Psychodrama, Psychothriller und beklemmenden Coming of Age Porträt der anderen Art. Er zeigt viel ohne zu erklären, schlägt aber seinem Publikum genau in den passenden Momenten brutal in die Magengrube. Themen wie Freiheit, Autonomie, Überwachung und Perversion kleidet er in einen merkwürdigen Alptraum, irgendwo zwischen Romantik und Horror, zwischen tragischer Verlorenheit und fataler Selbstermächtigung.

Badlands – Zerschossene Träume [Terrence Malick]

(USA 1973)

Gewalt… vielleicht ist wirklich Gewalt der Kitt dieser Thrillerliste. Um Gewalt geht es auch in Terrence Malicks Outsider-Geschichte Badlands, die wie kaum ein zweiter Film Liebesdrama mit Neo Western und brutalem Psychothriller kreuzt. Aus der Perspektive der jungen Holly (fantastisch: Sissy Spacek) erleben wir ihre Beziehung zum älteren Herumtreiber Kit (ebenso fantastisch: Martin Sheen). Aus der Ablehnung dieser Beziehung durch ihre Eltern wird Gewalt. Die Gewalt resultiert in einer Flucht, die immer und immer wieder mehr Gewalt nach sich zieht. Terrence Malick erzählt diese hoffnungslose Odyssee in poetischen, märchenhaften und verträumten Bildern, die immer wieder von Eruptionen sinnloser Gewalt heimgesucht werden. Ein Ziel kennen weder die Protagonisten noch die Geschichte. Nur dass sie kein gutes Ende nehmen wird, ist sehr früh absehbar. Umso beeindruckender, wie es Malick gelingt, dennoch einen fantastischen, romantischen Road Movie zu spinnen, das Publikum zu verführen und zu hypnotisieren und zwischendurch sogar in einer angespannten Sicherheit zu wiegen. Dadurch vollführt Badlands fast so etwas wie eine Transzendenz des Genres. Er wirkt wie ein ferner, elegischer Traum; zwischen Brutalität, Irrsinn und fabelhafter, selbstvergessener Schönheit.

Getaway [Sam Peckinpah]

(USA 1972)

Nicht ganz so nuanciert und psychologisch ausgefeilt wie seine Gewaltstudie Straw Dogs und auch nicht so räudig, dreckig und bizarr wie sein Gangsterthriller Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia ist Sam Peckinpahs wohl bekanntester Thriller The Getaway, der Action mit Gangsterthriller mit Heist Movie und Road Movie kreuzt. Dabei springt Getaway munter zwischen den Genres und hat doch vor allem eines im Fokus: Die Liebesgeschichte zwischen Doc und Carol, die nach einem misslungenen Banküberfall auf der Flucht vor ihren ehemaligen Komplizen und dem Gesetz sind. Diese Liebesgeschichte inszeniert Peckinpah als düsteres Gleichnis auf den Verlust des gegenseitigen Vertrauens, auf Pragmatismus und Opportunismus, und gibt ihr schließlich eine unheimliche Stärke, indem er ihr einen bizarren Subplot um eine offene Affäre in einer Art Stockholm Syndrom Setup gegenüberstellt. Getaway ist ein Film, der wohl jedem das gibt, was er darin sehen will: Heist- und Actionfans werden sich an den ausgefeilten Autoverfolgungsjagden und Schusswechseln erfreuen, Gangsterthrillerliebhaber finden hier ne Menge abgefuckter Typen, die sich gegenseitig ans Leder wollen, und Freunde des psychologisch genauen Blicks finden ihr einen ebenso grotesken wie blutigen Kommentar zu Beziehungen am Rande der Gesellschaft. Getaway ist so etwas wie die Edelvariante eines dreckigen Pulpstreifens, sehr gut austariert, ohne überflüssigen Ballast, moralisch mitunter mehr als fragwürdig, aber deutlich intelligenter und komplexer als die schmutzige Fassade vermuten lässt.

Der Marathon-Mann [John Schlesinger]

(USA 1976)

Weniger um Mechanismen von Gewalt als viel mehr um die Ohnmacht eines einfachen Bürgers, der mit dieser konfrontiert wird, geht es in dem Paranoiathriller Marathon Man von John Schlesinger. In diesem muss sich ein Student mit einer kriminellen Naziorganisation, einem Diamantschmuggelring und einem verrückten Zahnarzt und Folterer auseinandersetzen. Der Marathon-Mann gelingt vermengt Spionagethriller mit Terrorfilm und Hitchcock’schen Suspense Momenten. Er spannt mittels einer intensiven Geschichte ein dichtes Netz aus Spannung und Anspannung, entwickelt zwischendurch mit soliden Actionszenen ein atemberaubendes, schwindelerregendes Tempo und grätscht schließlich mit ziemlich brutalen Folterszenen in die spannende Unterhaltung. Dabei balanciert er stets zwischen Thrillerblockbuster und düsterem, die Nerven des Publikum arg strapazierendem Horrortrip. In manchen Momenten psychologisch exakt, in manchen Momenten gar gesellschaftskritisch und politisch ist dieser Thriller wohl die gelungenste, rundeste Spannungsmixtur der Dekade.

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