TENET von Christopher Nolan – Wie schlägt sich der Retter des Kinos 2020 im Home Cinema?

Es gibt wohl zwei Dinge, auf die sich alle Blockbuster-Cineasten diese Tage einigen können: Erstens, einen Film von Christopher Nolan muss man auf der großen Leinwand sehen. Zweitens, wenn es einen Film gab, der die dieses Jahr von Covid-19 geplagten Lichtspielhäuser hätte retten können, dann war es Nolans jüngster Streich Tenet (2020). Angekündigt mit vagen, mysteriösen Trailern und ausgestattet mit einer Menge Hype im Vorfeld, mit großem Tamtam veröffentlicht im Kinosommer zwischen Lockdown Eins und Lockdown Zwei, lastete auf den Schultern dieses Action/SciFi-Krachers die Hoffnung der gesamten Blockbuster-Branche. Ein Film für Publikum und Kritik gleichermaßen, bombastisches Kino für den gehobenen cineastischen Eskapismus und zugleich intelligentes Vexierspiel. Ein Lichtblick in einem dünnen Filmjahr, in dem sich selbst Popcorn-Riese Disney dazu entschied, seinen großen Filmhit Mulan Streaming only zu veröffentlichen. Tenet hat geliefert. Zumindest wenn man eine internationale Box Office Auswertung von über 350 Millionen Dollar (bei einem Produktionsbudget von 200 Millionen Dollar) als monetären Erfolg ansieht. Mit Werbebudget dürfte es zwar insgesamt maximal eine schwarze Null gewesen sein, – wenn nicht sogar ein „kleiner“ zweistelliger Millionenverlust -, aber in diesem Jahr gelten einfach andere Maßstäbe. Und mit knapp über 70% bei Rotten Tomatoes war auch die Kritikerschar zufriedengestellt. Aber wir schreiben nunmal das Jahr 2020, und so kommt es, dass ich – wie viele andere – auf DEN Kinofilm des Jahres im Kino verzichtet habe und sowohl er als auch ich nun mit Home Cinema in läppischem HD Vorlieb nehmen müssen. Und dann stellt sich eben doch die Frage: Bei einem Film, der wie wenige derart auf die große Leinwand zugeschnitten ist, kann sich dessen Zauber auch auf dem heimischen OLED-Screen entfalten?

Der namenlose Protagonist (John David Washington) ist ein CIA-Agent und wird bei einem Antiterroreinsatz in einem Opernhaus in Kiew von russischen Söldnern gefangen genommen. Zuvor muss er jedoch das Auftauchen einer mysteriösen dritten Partei erleben, die mit merkwürdigen Waffen kämpft, die ihre Geschosse nicht schießen, sondern scheinbar bereits verschossene Patronen wieder blitzschnell aufnehmen und dabei verheerenden Schaden anrichten. Die Geheimorganisation Tenet, die mit diversen Geheimdiensten zusammenarbeitet, rettet den Protagonisten aus der Gefangenschaft und versorgt ihn mit einem neuen Auftrag, der direkt mit den obskuren Geschossen zusammenhängt: Diese tauchen überall in der Welt auf und widersprechen allen Gesetzen der physikalischen Ordnung. Bei ihnen steht die Wirkung vor der Ursache, sie sind invertiert, was damit zusammenhängt, dass sie aus der Zukunft stammen und in der Zeit zurückreisen. Tenet vermutet, dass jemand die zeitreisenden Objekte nutzen will, um in der Zukunft einen gigantischen Krieg zu entfachen. Der Protagonist soll dies verhindern. Zusammen mit dem jungen Agenten Neil (Robert Pattinson) stürzt er sich in die Ermittlungen. Die Spur führt schnell zu dem russischen Waffenhändler Sator (Kenneth Branagh), der mit allerlei invertierten Objekten handelt und anscheinend direkt mit der Zukunft kommuniziert. Während ihres Versuches Sator aufzuhalten, kommen der Protagonist und Neil immer öfter in Kontakt mit invertierten, zeitreisenden Objekten: Von Kugeln über Autos bis hin zu invertierten, sich rückwärts bewegenden Söldnern. Zur Bewältigung ihres Auftrages und zur Rettung der Welt müssen sie selbst auch lernen, das Prinzip der zeitlichen Inversion für sich zu nutzen.

„Don’t Try To Understand It. Feel It.“. „Versuchen Sie es nicht zu verstehen. Fühlen Sie es“, rät die Wissenschaftlerin Laura (Clémence Poesy) dem Protagonisten, als dieser zum ersten Mal mit der Theorie hinter den invertierten Objekten konfrontiert wird. Diese Aufforderung schwebt wie ein Mantra über der komplizierten Prämisse von Tenet. Und das sollte sich auch das Publikum zu Herzen nehmen, wenn es nicht mit vielen Kopfschmerzen und Ärger über so manche Logiklücke aufwachen will. Die Zeitreiseformel von Tenet ist – wenn auch inspiriert von anderen Science Fiction Filmen – in der Tat außergewöhnlich und macht es sowohl dem Publikum als auch ihrer eigenen Handlung alles andere als leicht. Auf den Punkt gebracht lautet sie ungefähr so: Zeitreisen rückwärts sind möglich. Allerdings kann man nicht zu einem beliebigen Punkt in der Vergangenheit zurückspringen, sondern muss, wenn man eine Zeitmaschine durchlaufen hat, in Echtzeit rückwärts gehen. Und so sehen die zeitreisenden Objekte und Menschen dann auch aus. Sie bewegen sich rückwärts, Ursache und Wirkung sind bei ihnen ebenso vertauscht wie alle anderen physikalischen Gegebenheiten. Ein invertiertes Objekt fällt nicht zu Boden, sondern springt in die Hand zurück, aus der es (noch) nicht fallen gelassen wurde, eine invertierte Patrone hängt bereits in der Wand und fliegt zurück in den Lauf der Pistole, die sie (noch) nicht verschossen hat. Und ein invertierter Gegner kommt auf einen zugeflogen, bevor man die Möglichkeit hatte ihn wegzustoßen.

Wie schon in Inception (2010) spielt Christopher Nolan hier mit dem Konzept der Zeit. War es in dem 2010er SciFi-Blockbuster das Spiel mit in unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufenden Traumsequenzen, die ineinander verschachtelt sind, so ist es nun das Spiel mit linearen Zeitabläufen, die, wenn eine Linie aus der Zukunft und eine aus der Gegenwart stammt, sich zwangsläufig in ihrem Lauf irgendwann kreuzen, miteinander kollidieren und interagieren. Und so abstrakt das Konzept klingt, Nolan weiß natürlich, wie er daraus beeindruckende Bilder zaubern kann. Es ist teilweise schlicht atemberaubend, wie dieses Konzept auf die Leinwand transferiert wurde. Zu den Highlights gehören unter anderem eine beeindruckende Autoverfolgungsjagd, bei der invertierte und nichtinvertierte Autos aufeinanderprallen, ein Zweikampf Mann gegen Mann, bei dem sich der Protagonist vorwärts in der Zeit bewegt, während sein Gegner aus der Zukunft „rückwärts“ agiert, und ein gewaltiges kriegerisches Schauspiel mit explodierenden, sich wieder zusammensetzenden und wieder explodierenden Gebäuden sowie diversen Soldaten, die sich teilweise vorwärts und teilweise rückwärts bewegen. In diesen Momenten fällt es nicht schwer, den wissenschaftlichen, antiwissenschaftlichen Rat zu Beginn zu beherzigen und sich ohne großes Nachdenken auf das opulente Geschehen einzulassen. In diesen Momenten ist Tenet purer Science Fiction und Action Eskapismus, dessen kuriose Prämisse vor allem als Berechtigung für fantastische Bilder dient, die man in der Form in der Tat noch nicht im Kino gesehen hat.

Aber Tenet unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von Inception, mit dem er sich den Vergleich nicht nur wegen des selben Regisseurs gefallen lassen muss. Wo bei Inception das Thema Traum omnipräsent war – von der Exposition bis zum Finale -, spielt das Zeitreisethema bei Tenet vor allem im ersten Drittel des Films eine fast untergeordnete Rolle. Auch wenn wir früh mit den Möglichkeiten der invertierten Phänomene konfrontiert werden, so setzt sie Nolan doch äußerst sparsam ein. Stattdessen erzählt er erst einmal einen im Grunde genommen ziemlich stringenten Agententhriller mit reichlich Action, der sich irgendwo zwischen James Bond und Ethan Hunt bewegt. Und selbst wenn er dann schließlich dazu kommt, seinen Protagonisten mit sich kreuzenden Zeitlinien, gedoppelten Personen, Inversion und Reversion zu konfrontieren, setzt er die ästhetischen Möglichkeiten seiner Prämisse doch deutlich spärlicher ein als erwartet und erhofft. Inception und auch Interstellar (2014) haben deutlich mehr geglotzt, was das Spiel mit Zeit und Raum betrifft und welche epischen Bilderwelten damit möglich sind. Ja, selbst Nolans realistischer Kriegsfilm Dunkirk (2017) hat mehr aus dem Zeitkreuzungskonzept herausgeholt. Warum auch immer, Tenet fällt hier ein wenig ab, schießt hier ein wenig zu kurz. Gerade weil die Bilder, die er aus seiner spannenden Prämisse hervorkitzelt, ein ums andere Mal so beeindruckend sind, ist es ein wenig ernüchternd, wie selten sie vorkommen. Offensichtlich dachte Nolan, dass Qualität diesbezüglich wichtiger als Quantität ist. Aber verdammt nochmal, Tenet ist – bei aller Intelligenz seiner Prämisse – eskapistisches Popcornkino, und dabei spielt Quantität eine nicht zu unterschätzende Rolle!

Aber es sind noch andere Faktoren, die Tenet zu einem der schwächsten Nolan-Filme werden lassen. Sein größtes Problem ist, dass er Kompliziertheit mit Komplexität verwechselt. Offensichtlich hat irgendjemand Nolan gesteckt, dass er es bei Interstellar und Inception mit der Erklärung der zentralen Phänomene übertrieben hat (dafür auf jeden Fall ein fettes Danke), und so hält sich Tenet deutlich zurück, was den Erklärbär-Modus betrifft. Mehr noch als bei den anderen beiden Filmen liegt dies aber auch daran, dass jede Erklärung, jede Analyse der Inversion- und Zeitreisephänomene wohl zwangsläufig deren Plotholes und Logiklöcher aufdecken würde. Bezüglich seines theoretischen Phänomens steht Tenet deutlich wackeliger dar als Nolans andere Mysterygeschichten. Aber egal, geschenkt. Die Wortkargheit ist in diesem Fall tatsächlich ganz angenehm und wahrt auch lange Zeit die spannenden Fragezeichen, die die Story am Laufen halten. Ärgerlicher ist es da schon, dass Nolan auch durch die restliche Handlung jagt wie von der Tarantel gestochen, und dem Publikum immer wieder die Chance zur Orientierung oder Neuorientierung nimmt. Personen werden eingeführt, ohne dass ihre Stellung in der Geschichte klar wäre, Personen verhalten sich teilweise kontraintuitiv, unlogisch, scheinen nur da zu sein, um den Protagonisten von Punkt A zu Punkt B zu kriegen. Das ist spätestens dann ärgerlich, wenn die Handlung sich schließlich auf die Zeitreisephänomene und deren Bedrohungspotential konzentriert und ziemlich deutlich wird, wie flach die eigentliche Geschichte ist. Denn am Ende geht es eben doch um die Rettung der Welt, es gibt klare Bösewichte mit selten dämlichen Motiven, ein Stückwerk von Agentenkomplott und viel überflüssiges Brimborium drumherum. Tenet ist Nolans kompliziertester Film, aber alles andere als sein komplexester. Und dann passiert eben das, was zwangsläufig passieren muss: Man fühlt sich ein wenig verarscht. Man wartet auf eine clevere Pointe, auf eine clevere Verbindung der losen Fäden, so wie es Prestige meisterhaft bewerkstelligt hat. Und diese Verknüpfung kommt einfach nicht. Schlimmer noch, Tenet wird vorhersehbar. Wer da wo was gemacht hat, einem aufmerksamen Zuschauer, einer aufmerksamen Zuschauerin wird es schwanen, wohin der Hase läuft, während der Film sich mit stolzgeschwellter Brust auf seine Twists zubewegt. Dann offenbart sich auch, dass er trotz intelligenten Konzepts zum Thema Zeitreise nicht mehr beizutragen hat als Filme wie Terminator oder 12 Monkees viele Jahre vor ihm.

Die Kompliziertheit, die – wenn man es böse sagen will – wohl auch ein Mehr an Komplexität vorgaukeln will, wird dabei nicht nur durch die gehetzte Narration sondern auch durch die klassischen Nolan-Trademarks erzeugt, die hier teilweise potenziert zu sein scheinen. Der Sound ist katastrophal abgemischt. Nolan liebt es ja, seine Filme mit einem bombastischen Klangteppich auszustatten. Für diesen war dieses Mal ausnahmsweise nicht Hans Zimmer verantwortlich sondern Ludwig Göransson (der bereits unter anderem Black Panther, die jünsten Rocky-Filme und den Mandalorian musikalisch begleitet hat). Nolan lässt diesen seinen wirklich beeindruckenden, enervierenden Score einfach über fast alles legen. Nicht nur Reise- und Actionszenen sondern auch Dialoge. Dabei ist die Musik derart aggressiv im Vordergrund, dass wichtige Informationen und auch Emotionen von ihr einfach erdrückt werden. Gleichzeitig zieht sich die dominante Musik über Szenen und Akte hinweg und verwischt dadurch jedes Gefühl von Raum und Zeit. Auch der Schnitt leistet diesbezüglich „gute“ Arbeit und man muss als Zuschauer schon ganz schön aufpassen, um nicht zu verpassen, dass mehrere Tage vergangen sind und man plötzlich an einem vollkommen anderen Ort ist als noch wenige Sekunden zuvor. Der zeitliche Fluss scheint hier Nolan über alles zu gehen. Und es passt ja auch zum Thema, zur Geschichte und deren temporaler Konfusion. Aber es nervt auch tierisch und macht das Folgen der Handlung zu einer echten Herausforderung. Wohlgemerkt – im Gegensatz zu wirklich komplexen Filmen – zu einer forcierten Herausforderung, so als würde jemand den Schwierigkeitsgrad eines Super Mario Bros erhöhen, indem er das Bild alle zehn Sekunden hell aufblitzen lässt, so als müsste man ein relativ simples Puzzle lösen, während man den Kopf in einer riesigen Tuba stecken hat, die immer mal wieder laut losdröhnt.

Nolans Filmen wird ja gerne – auch ein wenig zu Unrecht – vorgeworfen kalt und emotionslos zu sein. Oft versucht er dies mit emotionalen Subplots aufzufangen. In Tenet ist dies die Geschichte von Katherine (Elizabeth Debicki), der Geliebten des Superschurken Sator, mit der der Protagonist schließlich einen Pakt schließt. Ihre Geschichte, so stereotyp sie auch sein mag, gehört neben den Action-Eskapismen zu den stärksten Momenten des Films. Nicht nur weil Debicki die beste Performance des Casts abliefert, sondern auch weil das ganze Konzept um Zeit und Zeitverlust hier einen logischen Kern findet. Es wäre spannend gewesen, aus ihrem Subplot, aus der Frage „Was ist mit der eigenen Zeit möglich, wenn man glaubt, dass einem die Zeit aus den Händen gleitet“ mehr zu machen als einen bloßen emotionalen Lückenfüller. Vielleicht hätte Tenet sie sogar zur heimlichen Protagonistin machen oder zumindest ihre Handlung weiter beziehungsweise genauer erzählen können. Diese wird jedoch auch schließlich und letztendlich unter einem Berg von gigantischem Getöse begraben und steht damit sinnbildlich für das ganze Dilemma dieses Films. Es scheint so, als müsse sich allem dem Versuch der Verwirrung, der Konfusion unterordnen, als hätte kein Moment, keine Szene die Gelegenheit zu atmen, zu wachsen, ihr Potential zu entfalten. Tenet leidet darunter, dass Nolan einfach zu viel wollte und einfach zu sehr Nolan ist. Die Geschichte wird unnötig verkompliziert, um von ihrer fehlenden Komplexität abzulenken. Die Prämisse mit Potential für einen gewaltigen Bilderrausch wird viel zu selten auf einer ästhetischen und viel zu oft auf einer narrativen Ebene ausgespielt. Der Bombast drängt sich mit Kamera-Totalen, Musik-Totalen, Ton-Totalen derart in den Vordergrund, dass nichts neben ihm Bestand hat. Und durch die Vorhersehbarkeit der Handlung schlägt die abschließende Pointe ins Leere.

Tenet ist kein schwacher Film, kein Totalausfall. Dafür ist er in seinen beeindruckenden Momenten doch zu beeindruckend. Dafür versteht Nolan zu sehr sein Handwerk. Dafür ist er einfach auch zu abwechslungsreich. Aber er ist dann doch ein aufgeblasener Taschenspielertrick. Das Durchschreiten der chinesischen Mauer des Zauberkünstlers Nolan: Für ein gigantisches Spektakel quantitativ nicht stark genug, und für einen beeindruckenden Trick zu simpel und vorhersehbar. Neben Interstellar und Insomnia Nolans schwächster Film… … Und jetzt kommt das große „ABER“…. Aber, der erste Film von Nolan seit Memento, den ich nicht im Kino gesehen habe. Und vielleicht, nur vielleicht, könnte es dort ganz anders aussehen. Gerade wenn ich daran denke, wie seine großen Blockbuster – die ich alle liebe – für mich beim TV-Rewatch signifikant an Qualität eingebüßt haben. Tenet war dann vielleicht auch doch einfach der falsche Film zur falschen Zeit. Zu viel Verantwortung, zu viel Hype, zu viel Hoffnung für das Jahr 2020.

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