Mortal Engines: Krieg der Städte (2018) – Was für ein Spektakel!
Jetzt komme ich ganz schön in die Bredouille. Vor knapp zwei Jahren habe ich ziemlich überzeugt verkündet, dass der Preis für das größte Spektakelkino 2018 ohne jeden Zweifel an Marvels Avengers Infinity War geht. Lag ja auch nahe. So viele große Blockbuster hatte das Filmjahr nun wirklich nicht zu bieten, und abgesehen von der Superheldenwundertüte kam keiner davon bei der Kritik gut weg. Oh, was habe ich mich geirrt! Mortal Engines: Krieg der Städte (2018) hatte ich nun so überhaupt nicht auf dem Schirm. Vernichtende 27% bei Rotten Tomatoes, eine Prämisse die geradezu SciFi-Schrott schreit und alle Zutaten für einen aufgeblähten Popcorn-Langweiler. Nur der Alternativlosigkeit und dem Gedanken „Heute könnte es mal wieder ein junger Spektakelfilm sein“ ist es überhaupt zu verdanken, dass Mortal Engines den Weg in meine Watchlist gefunden hat. Und das selbstverständlich mit radikaler Voreingenommenheit, mit der sicheren Annahme einen wirklich lahmen Streifen zu sehen zu bekommen. Ich kann mich nur wiederholen: Oh, was habe ich mich geirrt! Mortal Engines ist all das, was ihm von den Kritikern vorgeworfen wurde… und gleichzeitig der wohl unterhaltsamste Blockbuster seit langem. Gerade nachdem ich mich vor kurzem von Nolans jüngstem „intelligenten“ Blockbuster furchtbar genervt gefühlt habe, tut es einfach nur gut, endlich mal wieder reine geistlose Action im eklektischen, albernen Science Fiction Gewand zu sehen. Der Krieg der Städte liefert diesbezüglich ab… und wie!
Die Erde in einer fernen, sehr sehr fernen Zukunft. Nach der Verschwendung zahlloser Ressourcen und einem verheerenden Krieg ist die Menschheit in eine archaische Gesellschaftsordnung zurückgefallen. Die Menschen leben in fahrenden Dörfern und Städten, gewaltige mobile Festungen, mit denen sie auf der verwüsteten Erde nach Nahrung und anderen Ressourcen suchen. Dabei herrscht gnadenloser Darwinismus: Die größten Städte, wie zum Beispiel London, sind fahrende Raubtiere, die kleinere Handelsfahrzeuge einfangen und komplett plündern. Während die einfachen Leute täglich ums Überleben kämpfen müssen, leben die Einwohner Londons in Überfluss und Dekadenz. Zu ihnen gehört der junge Archäologe Tom (Robert Sheehan), für den jeder neue Städtefang Gelegenheit liefert, nach Artefakten des 21. Jahrhunderts zu wühlen. Als er nach dem jüngsten Raubzug wieder einmal antiken Gegenständen nachspürt, wird das Oberhaupt der Historiker und Archäologen, einer der wichtigsten Männer Londons, Thadeus (Hugo Weaving) von der mysteriösen Streunerin Hester (Hera Hilmar) angegriffen. Tom verhindert den Mordanschlag, verfolg Hester und fällt mit ihr zusammen von der monströsen, fahrenden Stadt herunter. Um in den Outlands zu überleben ist der verwöhnte Städter auf die Hilfe der vermeintlichen Terroristin angewiesen. Und schon bald stellt sich heraus, dass hinter ihrem Anschlag, der Arbeit Thadeus‘ und den Plänen Londons mehr steckt, als Tom ahnte.
Natürlich geht es um Verrat und Betrug, um gewaltige Waffen, einen bevorstehenden Krieg und blablabla… um ehrlich zu sein, die Geschichte ist hier wirklich zweitrangig. Der Mainplot ist derart durchschaubar, offen, leichtgewichtig und dazwischen ziemlich gaga, dass Mortal Engines gar nicht erst versucht, seine Simplizität zu verbergen. Ist auch besser so, gibt es doch sowohl in der Charakterzeichnung als auch -Inszenierung kaum etwas Originelles zu finden. Wer Held und wer Bösewicht ist, daran lässt der Film keinen Zweifel. Für alle etwas langsameren Zuschauer muss der schnöselige Verräter dann zur Not nochmal schnell mit arrogantem Blick seine Frisur im Spiegel richten, nachdem er den Sympathieträger heimlich belauscht hat, der Oberschurke mit Allmachtsfantasien selbstzufrieden die Jagd der Monsterstadt nach einem unschuldigen Händlerauto beobachten oder die tapfere Heldin ihr Leben riskieren, um ein anderes zu retten. Die Charaktere in Mortal Engines scheinen alle dem Reißbrett zu entstammen. Weder erhalten sie eine clevere Hintergrundgeschichte, noch eine intelligente oder gar ambivalente Motivation. Einzige Ausnahme bildet der Cyborgzombie Shrike (Stephen Lang), der auch den einzigen glaubwürdigen emotionalen Moment des Films erhält. Aber sonst besteht, was Storytelling und Charakterzeichnung betrifft, Ebbe. Also können wir das erst einmal abhaken und uns das anschauen, dem sich beides unterordnet, dem World Building.
So geistlos die Handlung ist, so albern die Prämisse auf den ersten Blick wirken mag, Mortal Engines kreiert daraus eine überraschend runde, in sich abgeschlossene und trotz allen pittoresken, naiven Kitsches eine äußerst stimmige und überzeugende Welt. Klar, es ist immer ein wenig cringeworthy, wenn die Figuren mit Begriffen wie Städtedarwinismus oder Anti-Traktionisten um sich werfen. Aber trotz aller Infantilität haben wir es hier mit einem ausgesprochen immersiven und mitreißenden Zukunftsentwurf zu tun. Das liegt vor allem an dessen opulenter, bombastischer Umsetzung. Wie man es auch dreht und wendet, Mortal Engines ist ein visuell verdammt beeindruckender Film. Wenn die gigantischen fahrenden Städtekonstruktionen durch das öde Land fahren, wenn sich die Kamera von den monströsen Kettenrädern im schwindeligen Taumel zu den schicken Häusern bewegt, die auf diesen Ungetümen thronen, wenn wir ebenso gigantomanische wie actionreiche Jagden riesiges Fahrzeug gegen riesigeres Fahrzeug sehen, dann haut Mortal Engines jedes Mal voll auf die Kacke. Visuell ist der Film Größenwahn par Excellence, und auch wenn nicht alle – zum Großteil am Computer entstandenen – Bilder perfekt funktionieren, so sind sie doch berauschend genug, um als dekadente Achterbahnfahrt, als actiongeladener Augenschmaus durchzugehen. Es gibt hier eben auch immer etwas zu entdecken: Im Maschineninneren zuckt und dampft es an allen Ecken und Enden und in den dekadenten Städten finden sich wohlfeil verteilt Reste unserer Zivilisation, von frivolen Parks über gediegene Museumsbauten bis hin zur über allem stehenden, zweckentfremdeten St Paul’s Kathedrale. Die Bilder in Mortal Engines sind immer ein Erlebnis, zwischen Steampunk, postapokalyptischen Actiontrip und fantastischem Heldenepos.
So beeindruckend die Bilder sind, so sind sie doch alles andere als einzigartig. Eklektizismus is King in Mortal Engines. Man könnte es wohlwollend „inspiriert“ nennen, oder eben ehrlich sagen, worum es sich wirklich handelt: Plagiarismus. Ich gehöre eigentlich zu den Menschen, die zurückhaltend mit diesem Begriff sind. Immerhin leben wir im Zeitalter der Postpostmoderne, Originalität ist kaum noch möglich, everything is a remix etc. pp… Aber Mortal Engines ist schon auffällig dreist, wenn es um den Rückgriff auf die großen Vorbilder geht. Visuell sind das neben den großen westlichen Steampunk-Legenden vor allem die Ghibli-Studios mit ihrem wandelnden Schloss oder Schloss im Himmel. Neben Hayao Miyazaki schauen auch immer mal wieder Mad Max und Waterworld vorbei, insbesondere in den rauchigen, dreckigen Jagdszenen der fahrenden Städte. Dazu kommt eine ordentliche Ladung Herr der Ringe Pathos und – sowohl auf der visuellen als auch narrativen Ebene Star Wars… Aber sowas von Star Wars! Zwischenzeitlich ist es geradezu erschreckend, wie dreist Mortal Engines von der großen Space Opera klaut. Storymomente, Plottwists, finale Actionsequenzen sind 1:1 von George Lucas‘ Science Fiction Epos entliehen. Es ist im Grunde genommen verwunderlich, dass niemand das fahrende London zwischendurch zufällig Todesstern nennt oder die Anti-Traktionisten als Rebellen bezeichnet werden. Der Krieg der Städte ist in zahllosen Momenten eine Steampunkisierung des Kriegs der Sterne, schamlos, dreist… und ziemlich effektiv.
Denn natürlich funktionieren die Storytropes und Bilderwelten des Klassikers auch heute noch. Und so gelingt es Mortal Engines eine äußerst runde und vor allem dynamische Helden- und Heldinnengeschichte in einer postapokalyptischen Fantasywelt zu erzählen. Bevor man sich zu viele Gedanken über Plagiate und zusammengestückelte Filmmosaike machen kann, wird man auch schon mitgerissen von dem bunten, lauten und epischen Geschehen dieser Welt. Der Krieg der Städte kennt kaum eine Verschnaufpause. Ständig passiert irgendwo etwas. Entweder es macht Bumm und Krach oder es gibt einen eskapistischen Bilderrausch, oder der Plot macht eine weitere alberne, merkwürdige Verrenkung. Alles, um bloß nicht müde zu werden, um bloß nicht zu viel Raum zur Reflexion zu geben. Richtig so! Denn natürlich ist das meiste, was hier passiert, genauer betrachtet, ziemlich dumm, albern, kitschig, unplausibel und natürlich viel viel zu viel. Geschenkt! Denn dieses Spektakel macht einfach Spaß. Auch wenn es sich zwischendurch zu ernst nimmt, fährt es doch so nahe am Edeltrash, dass sein Pathos nie so richtig wehtun kann. Auch wenn dreist an allen fantastischen Ecken und Enden geklaut wird, ist dieses Spektakel einfach bunt genug, um den dreisten Eklektizismus verzeihbar zu machen. Und auch wenn das Bemühen einen gigantischen Blockbuster zu schaffen hier manchmal zu gewollt wirkt, so tut es doch einfach gut, endlich mal wieder bombastisches Popcornkino zu sehen, das nicht Marvel oder Star Wars heißt.
Krieg der Städte ist ein überladenes, süßes und fettiges Steampunk-Epos mit deutlich mehr Action als Verstand. Er ist laut, kitschig, geschmacklos, mit all diesen Ingredienzen logischerweise das Gegenteil von einem Kritikerdarling… und tausendmal unterhaltsamer als 90% der Blockbuster, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Mortal Engines ist nicht nur deutlich besser als sein Ruf sondern auch der unterhaltsamste, wärmste und überambitionierteste Popcornkino-Mist seit langer, langer Zeit. Jeder, der in seinem Herz auch nur einen kleinen Platz für überladene, alberne, epische Fantasyabenteuer hat, sollte sich dieses reichhaltige, Sodbrennen verursachende Menü nicht entgehen lassen.