Aus aktuellem Anlass: Sehenswerte Pandemiefilme

Tja… wollen wir so etwas überhaupt gerade sehen? Gute Frage. Ich denke durchaus. Wenn man schon zu Hause eingeschlossen ist, sei es eine echte Quarantäne wegen einer tatsächlichen Corona-Infektion, sei es wegen der derzeit völlig angebrachten Reduzierung sämtlicher sozialen Kontakte, dann kann man die Zeit auch nutzen, ein wenig in der Filmgeschichte zu stöbern, um aus dieser etwas für die eigene aktuelle Situation zu extrahieren. Denn auch wenn Covid-19 in vielfacher Hinsicht ein absolutes Novum in der Geschichte der viralen Pandemien darstellt, so gibt es Seuchen und den Kampf gegen diese doch so lange es die Menschheit gibt. Und folgerichtig haben sich schon zahllose Kunstschaffende mit dem Thema auseinandergesetzt. Hier also eine kleine, ziemlich subjektive, ziemlich unvollständige Liste an Filmen, die dabei helfen die Zeit ohne Kino zu überbrücken. Beileibe nicht die besten Pandemiefilme aller Zeiten, aber doch eine Kollektion sehenswerter Filme. Eine Kollektion, die taugt, um Panik zu schüren, Panik abzubauen oder einfach ein bisschen tiefer in das Thema „Die Menschen und das Virus“ einzutauchen.

Outbreak – Lautlose Killer [Wolfgang Petersen]

(USA 1995)

Und damit gleich zu einem echten Pandemiefilmklassiker, zumindest für alle, die wie ich in den späten 80ern und 90ern filmsozialisert wurden. Für uns dürfte Outbreak von Wolfgang Petersen die erste Konfrontation mit Filmen über Pandemien gewesen sein. In diesem Fall handelt es sich um das rein fiktive Motaba-Virus, das allerdings eine Variation des äußerst realen, äußerst tödlichen Ebola-Virus ist. Dieses erreicht über Afrika die kalifornische Kleinstadt Cedar Creek und löst dort innerhalb kurzer Zeit eine Epidemie aus, der zahllose Erkrankte zum Opfer fallen. Der Film begleitet den Soldaten Sam Daniels (Dustin Hoffman), der gemeinsam mit seiner Ex-Frau, der Virologin Robby Keough (Rene Russo) gegen die Ausbreitung kämpft und gleichzeitig verzweifelt nach einem Heilmittel sucht. Outbreak ist ein spannender Big Budget Hollywoodthriller, wie er im Buche steht. Wolfgang Petersen nutzt das Setup, um geschickt zwischen Drama und Politthriller zu changieren und zwischenzeitlich sogar zum etwas zu launigen Abenteuerfilm zu wechseln. Dass das dem ernsten Thema mitunter nicht ganz gerecht wird? Geschenkt. Outbreak ist ein packender und edler Genrehybrid mit einem ausgezeichneten Cast und spannendem Flow. Ein Film für alle, die sich lieber durch den Hollywoodfilter unterhalten lassen, als zu sehr über die aktuelle Realität nachdenken zu müssen.

Die Stadt der Blinden [Fernando Meirelles]

(Brasilien 2008)

Fehlerlos ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans Die Stadt der Blinden aus dem Jahr 1995 beileibe nicht. Und doch ist sie ein wichtiger Beitrag zum Genre des Pandemiefilms. Im Gegensatz zu Outbreak wird hier gar nicht erst versucht ein realistisches Viren- und Krankheitsszenario zu entwerfen, stattdessen bewegt sich Blindness, so der Originaltitel, in den Fahrwassern einer Parabel. Die titelgebende Seuche ist Blindheit (im wahrsten Sinne des Wortes), an der ohne ersichtlichen Grund zahllose Menschen erkranken. Eine der wenigen Nicht-Infizierten, sogar immun erscheinenden ist die namenlose Protagonistin – wie immer herausragend Julianne Moore -, die gemeinsam mit ihrem Ehemann in einer Zwangsquarantäneeinrichtung landet. Diese wird bevölkert von zahllosen Erkrankten, die im verzweifelten Kampf ums Überleben jegliche zivilisatorischen Errungenschaften verlieren. Das Erblinden ist dabei ebenso realer Alptraum wie sozialkritische Parabel wie ästhetisches Stilmittel. Blindness taucht sein Szenario in überbelichtete, schmerzhaft weiße Bilder, hangelt sich von menschlichem Melodram zu nüchternem Gesellschaftsporträt und kommt dabei mehr als einmal ins Stolpern. Was er wie bereits die Vorlage ausgesprochen richtig macht: Erzählen wie der Mensch zu des Menschen Wolf wird, zeigen, wie die Vernunft angesichts des Kampfes ums nackte Überleben verliert, ausgesprochen stark verdeutlichen, wie wirklich jeder zum Barbaren werden kann. Und doch bleibt bei all der Misanthropie immer ein Stück Hoffnung bestehen. Ein Film für alle, die verstehen wollen, warum sich die Deutschen derzeit blöd und egoistisch mit Klopapier und Nudeln einbunkern.

Die Hamburger Krankheit [Peter Fleischmann]

(Deutschland 1979)

Was ist das? Ganz ehrlich… was ist das? Neuer Deutscher Film? Definitiv in vielen Momenten, auch wenn er dazu etwas zu spät gekommen ist. Der Versuch aus Bizarrem Mainstream zu machen? Ja, auch. Immerhin gibt es hier so manche emotionale, publikumswirksame Szene, bis hin zum Tatort-Kitsch. Ein wüster filmischer Befreiungsschlag? Ja auch das, inklusive Sex und Gewalt und wilder Metaphorik. Einigen wir uns drauf, dass die Hamburger Krankheit von Peter Fleischmann ein wirklich außergewöhnlicher, eigensinniger Pandemiethriller ist. Allein schon die titelgebende Seuche ist ein absurdes Gleichnis auf Rückbesinnung, Regression und die Gefahr, die von dieser ausgeht. Wirklich grotesk wird es aber dann in der Ausführung: Menschliche Ignoranz trifft auf hedonistische Weltuntergangsstimmung, trifft auf detektivischen Eifer, tierischen Ernst und lakonischen Humor. Die Welt geht unter und es wird gefeiert, gesoffen, gevögelt und gemordet. Die Menschheit ist am Arsch, braucht aber Bratwürste, Sex und Wohnwagen. Was das alles soll? Vor allem zeigen, wie irrational die Menschheit sich im Angesicht einer Bedrohung benehmen kann… und diese Irrationalität sogar ein bisschen nachvollziehbar machen. Denn am Schluss wandern wir doch alle dahin zurück, wo wir hergekommen sind. Ein Film für alle, die gerne wüssten, warum die Menschheit im Angesicht der Coronokrise so verrückt geworden ist, und die trotzdem noch an deren guten Seiten glauben wollen.

28 Days Later [Danny Boyle]

(Vereinigtes Königreich 2002)

Die besten Pandemiefilme sind Zombiefilme. Punkt. Mehr braucht man dazu eigentlich nicht zu sagen. Und einer der besten Zombiefilme – wenn nicht sogar der beste Zombiefilm überhaupt, auch wenn mich dafür alle George R. Romero Jünger hassen werden – ist 28 Days Later, dem es zu Beginn des 21. Jahrhunderts gelang, das gesamte Genre zu revitalisieren. Traurige Ironie dabei, dass ihm von einigen Puristen die Kategorie Zombiefilm schlichtweg aberkannt wurde, weil es sich nunmal bei den hier Infizierten nicht um Zombies handeln würde. Ja, Boyles Wut-infizierte Antagonisten sind keine Untote im klassischen Sinne. Umso mehr eignen sie sich als Sinnbild für sich rasch ausbreitende Pandemien. Genau jener Topos wird in 28 Days Later exzellent erzählt: Eine tote Welt, deren Ruhe aber immer wieder durch brutale Attacken aufgebrochen wird; nicht einfach nur Angst, sondern eine omnipräsente Panik. Eine Bedrohung, deren Viralität sich den Protagonisten und Zuschauern brutal aufzwingt, und nebenbei – wie es sich für einen Zombiefilm gehört – eine perfekte Kadrage, um vom Niedergang des Menschheit zu erzählen. Denn auch wenn die Zombies/Wütenden hier die größte Bedrohung sind, bieten auch scheinbar im gleichen Boot sitzende Menschen alles andere als zuverlässigen Schutz und Hilfe, können sogar temporär zur eigentlichen Bedrohung werden. Ein Film für alle, die sich selbst darauf einschwören wollen, den Umgang mit allen anderen Menschen in der nächsten Zeit so weit es geht zu meiden.

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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Carriers [Àlex Pastor,David Pastor]

(USA 2009)

Wenn wir schon beim Zombiekino sind, wie wäre es mit einem Zombiefilm ohne Zombies? Der Endzeitthriller Carriers erzählt vom Ende der Welt, induziert durch einen klassischen Virus, dessen Übertragungswege erschreckend denen von Covid-19 gleichen. Dies macht er allerdings mit den Mitteln des Zombiefilms, ja verbeugt sich geradezu vor dem Horrorgenre, ohne selbst zum Horrorschocker werden zu wollen. Dazu gehört auch ein wenig albernes Schaulaufen, inklusive Augenzwinkern und Apokalypse-Entschärfung. Das mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, sorgt aber für eine außergewöhnliche Atmosphäre und ausgesprochen überraschende Momente. Carriers sitzt zwischen den Stühlen, ist nicht so richtig Pandemiedrama, nicht so richtig Horror, nicht so richtig Zombiefilm, nicht so richtig Endzeitthriller und doch von allem ein bisschen was. Nebenbei lernt man als Zuschauer verdammt viel über vernünftige Hygienevorschriften, den richtigen Umgang mit den Mitmenschen und dass man bei aller Wachsamkeit nie die Durst nach Leben verlieren sollte. Ein Film für alle, die immer noch nicht verstanden haben, dass es jetzt verdammt wichtig ist, große Menschensammlungen zu meiden und dass man sich verdammt nochmal die Hände ordentlich waschen sollte, wenn man draußen war.

The Walking Dead, Staffel 4, Episode 3: Quarantäne [Robert Kirkman]

(USA 2013)

Das Zombiethema ist mit 28 Days Later eigentlich durch. Und für The Walking Dead eine allgemeine Empfehlung auszusprechen haut auch nicht mehr hin, seitdem die Serie schon lange von Staffel zu Staffel an Qualität eingebüßt hat. Die dritte Episode der vierten Staffel stellt aber eine Ausnahmeerscheinung in dieser sonst doch sehr prototypischen, prototypisch gewordenen Zombieserie dar. Hier bricht nämlich unter den Überlebenden eine ganz klassische und daher auch potentiell tödliche Grippe auf, und diese ist in der Zombieapokalypse noch einmal ein gutes Stück bedrohlicher. Was folgt, ist eine großartige Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen: Wie geht man mit den Erkrankten um? Wie isoliert man am besten? Und wen oder was opfert man für das Wohl der Gruppe. Im Mikrokosmos eines – sowohl im wahrsten Sinne des Wortes als auch metaphorischen – Gefängnisses wird all das verhandelt, was wir heute im großen gesamtgesellschaftlichen Maßstab beobachten und gleichzeitig spiegelt die profane virale Erkrankung großartig die globale Zombiepandemie der Serie. Dadurch gehört diese Episode nicht nur zum besten, was diese Serie zu bieten hat, sondern ist darüber hinaus eine der besten seriellen Auseinandersetzungen mit dem Pandemie-Thema. Selbst wenn man mit der Serie sonst nichts anfangen kann, ist die Episode Quarantäne allemal einen Blick wert. 45 Minuten für alle, die vollkommen zurecht mit den Augen rollen über Leute, die sich dieser Tage zu Corona-Parties treffen oder bedenkenlos mit anderen gemeinsam Sport im Park machen.

…oder vielleicht am besten einfach was vollkommen anderes schauen.

Denn seien wir mal ehrlich. Es passiert da draußen gerade wirklich genug Mist. Und Dank omnipräsenter Nachrichten werden wir davor auch nicht verschont. Wenn man also schon verantwortungsbewusst in Quarantäne verharrt, warum nicht einfach mit ein wenig positiver Stimmung, ein wenig Eskapismus, ein wenig guter Laune. Es muss ja nicht gleich Disney sein, aber ein wenig positive Vibes können in diesen Tagen auch verdammt wichtig sein. In diesem Sinne: Amazon Prime, Netflix und Co. sind Gott sei Dank nicht so schnell durchgespielt.

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