Rezension zu The Hole in the Ground (2019)

Das Kind (James Quinn Markey) sitzt da und schaufelt einfach nur Spaghetti in sich hinein. Schlürfend, gierig aufziehend, so wie ein Achtjähriger eben Spaghetti isst. Aber seine Mutter (Seàna Kerslake) beobachtet ihn misstrauisch. Ist das überhaupt noch ihr Sohn? Hat sich ihr Sohn jemals so verhalten? Warum kann er sich nicht an Geschehnisse aus ihrer Vergangenheit erinnern? Und wenn es nicht ihr Sohn ist, wer oder was ist er dann? Wechselbälger sind seit jeher ein Alptraum für Eltern. Die Angst, dass das Kind plötzlich nicht mehr das eigene ist: Ausgetauscht, untergeschoben von bösartigen Waldgeistern, um die Eltern in den Wahnsinn zu treiben. Dahinter stehen nicht nur Sagen und Legenden sondern auch ein durch und durch reales Krankheitsbild, das Capgras-Syndrom, das bei Betroffenen dazu führt, dass sie ihnen nahestehende Personen plötzlich für Doppelgänger halten. Gerne auch ihre eigenen Kinder oder eigenen Eltern. Und damit wären wir auch schon bei der Crux des irischen Horrorfilms The Hole in the Ground (2019):

Dieser steht selbstverständlich nicht isoliert im Raum. Nicht wenige Mystery- und Horrorfilme haben sich bereits diesem Thema angenommen. Sei es die unheimliche, wie ausgetauscht wirkende Mutter im österreichischen Post-Horror-Flick Ich seh Ich seh (2015), das Thriller-Vexierspiel um ein ausgetauschtes Kind in Clint Eastwoods Der fremde Sohn (2008), oder der vermeintlich von Aliens besessene Ehemann in The Astronaut’s Wife (1999). All diesen Filmen ist gemein, dass sie letzten Endes auf ein binäres Erklärungsmuster hinauslaufen: Entweder der oder die Angehörige wurde tatsächlich ausgetauscht, beziehungsweise von einer fremden Macht besessen, oder der Protagonist oder die Protagonistin, die die Veränderung wahrnimmt, leidet an einer Form der psychischen Störung. Dieses Entweder/Oder raubt natürlich jedem potentiellen Plottwist seine Wirkung, denn selbst, wenn sich herausstellt, dass die Realität doch ganz anders ist als gedacht, so bewegt sich diese Andersartigkeit in einem erwartbaren Rahmen. Wir können nicht davon überrascht sein, dass der Protagonist halluziniert, weil es sich einfach im Erwartungshorizont bewegt hat, selbst wenn wir zuvor davon ausgegangen sind, dass es tatsächlich ein Doppelgänger ist, der hier sein Unwesen treibt. Vice Versa gilt genau das selbe.

Filme mit diesem Grundkonzept müssen also durch andere Dinge glänzen, und hier verrichtet The Hole in the ground einen durchaus soliden Job. Getragen wird die Düstermär von einer unheimlich vagen Stimmung, die gerne auch mal weiße Flecken auslässt, den Schrecken andeutet oder – wie in der besten Szene des Films – nur durch Reaktionen widerspiegelt. Allerdings bewegt sich Lee Cronins Film nicht im Umfeld der derzeit vor allem im Indiehorrorbereich so beliebten Slow Burner der Marke The Witch (2016). Anstatt sich mit einem langen Prolog aufzuhalten kommt The Hole in the Ground schnell zur Sache. Der mysteriöse Abgrund im Wald ist früh gefunden, ebenso früh scheint das im Zentrum stehende Kind Christopher wie ausgewechselt. Und das ist es dann auch, was der Film im Rest seiner Laufzeit straight forward erzählt: Die Geschichte eines vermeintlich ausgewechselten Kindes und die Suche einer Mutter nach Beweisen für ihre Theorie und dem Gefängnis ihres echten Kindes. Im Gegensatz zu Babadook (2015) und Konsorten wird hier kein komplexes psychologisches Szenario entworfen, kein kompliziertes Tableau der Beziehungen wie in Hereditary (2018) errichtet, kein surreales Geflecht der Mythen aufgesponnen. Auch wenn sich Regisseur Lee Cronin in einigen Punkten vom Post Horror beeinflussen lässt, so ist dieses Antimärchen in seinem Grundkern doch ein Gruselfilm der alten Schule. Erzählt wird in vagen, nebelverhangenen Bildern, manchmal etwas gedämpfter, oft aber auch mit deutlich spürbaren Daumenschrauben, inklusive gehobener Jump Scares und düsteren Schreckmomenten.

Vielleicht sind wir in den letzten Jahren als Horrorfans auch etwas verwöhnt worden mit Filmen, die das Genre in Form klassischer Tragödien erzählten, dekonstruierten oder gleich komplett sprengten. Aber es lässt sich einfach nicht leugnen, dass Hole in the Ground trotz seiner spannenden Prämisse etwas bieder und brav daherkommt. Vieles was er zeigt, war so oder in ähnlicher Form schon anders zu sehen; parabolisch oder irreal ist hier wenig, satirisch erst recht nichts. The Hole in the ground nimmt sein Sujet wie sein Genre verflucht ernst und liefert auch ab, um das derart traditionell zu dürfen. Die Kameraarbeit ist exzellent, nicht nur in den dunklen Spukmomenten, sondern insbesondere auch dann wenn sich der übernatürliche Schrecken im Alltag abspielt. Seána Kerslake spielt die unsichere, im Laufe der Handlung immer entschlossener werdende Mutter mit viel Energie und überzeugend ambivalent. James Cosmo oszilliert auf beängstigende Weise zwischen unschuldigem Kind und vermeintlichem Dämonen. Und auch der restliche Cast kann sich sehen lassen, obwohl der Film sein drumherum größtenteils verschwimmen lässt, um sich voll und ganz auf die Dynamik zwischen Mutter und Kind konzentrieren zu können. Alles in allem ist The Hole in the ground ein überzeugender Genrebeitrag, dem etwas mehr Mut gut getan hätte, der aber in seiner traditionellen, unsperrigen Weise sehr zu überzeugen weiß. Das Genre muss ja auch nicht immer gleich komplett neu gedacht werden.

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