Die besten Filme der 90er Jahre: Gedanken zu David Finchers „Fight Club“

Normalerweise werden an dieser Stelle ja Filme ausgelagert, die ich eher nicht so prall fand. Filme, die meiner Meinung nach eben gerade nicht zu den besten Filmen der 90er gehören, für deren Abwesenheit ich aber vermeintlich irgendeine Form der Rechtfertigung abgeben muss. Das ist in diesem Fall anders. Fight Club gehört nicht nur zu den besten Filmen der 90er Jahre sondern steht auch in meiner Alltime-Best-Of-List ziemlich weit oben. Dass ich mit dieser Meinung nicht alleine stehe, beweisen verschiedenste Umfragen zu den besten Filmen aller Zeiten, bei denen Fight Club regelmäßig weit vorne rangiert… vollkommen zurecht. Der Grund für diesen „Sonderartikel“ ist ähnlich wie bei der Analyse von American Beauty ein anderer: Es gibt anscheinend ein Rezeptionsgefälle, das Fight Club nicht nur zu einem der besten sondern vor allem auch missverstandensten Filme aller Zeiten macht. Und eben genau jenes Missverständnis sorgt ironischerweise erst dafür, dass er so viele Anhänger für sich vereinen kann.

Fight Club ist eine merkwürdige Form von Konsensfilm, ein Film, der Anhänger beim Arthauspublikum ebenso findet (dort aber auch die meisten Kritiker), wie beim durchschnittlichen Michael Bay Kinogänger. das führt dazu, dass er trotz seiner potentiellen Anlage dafür, niemals bei den extremen und kontroversen Filmen der 90er Jahre auftauchen könnte. Fight Club ist Konsens, und das liegt schlicht und ergreifend daran, dass er sich wunderbar sowohl mit als auch ohne Subtext konsumieren lässt, affirmativ und ironisch bis zynisch gebrochen. Genau dieses Rezeptionsgefälle, dieses fatale Missverständnis von David Finchers postmodernem Psycho/Action/Thrillerbastard möchte ich im folgenden genauer analysieren. Diese Analyse richtet sich folgerichtig an Zuschauer, die den Film gesehen haben. Wer dies nicht hat – gibt es die überhaupt? – und nicht gespoilert werden will, sollte an dieser Stelle also nicht weiterlesen.

Kommen wir zuerst zu der vordergründigen und offensichtlichsten Interpretationsebene, die einen Großteil dazu beigetragen hat, diesen Film zu einem Konsensfilm zu machen, der in bestimmten Alltime-Best-Of-Listen auch zwischen Transformers, Terminator 2 und Starship Troopers auftauchen kann. Und, um das gleich klarzustellen, der Film besitzt auch diese Ebene. Sie ihm abzusprechen – was bei ‚intellektuellen‘ Verteidigungen des Films gerne geschieht – wäre in etwa so, wie Starship Troopers wegen seiner satirischen Spitzen die Freude am Martialischen, Militaristischen und ja auch Faschistoiden abzusprechen; oder zu leugnen, dass sich Romeros Dead-Filme auch in der Rolle als bloße, sinnfreie Gorefilme ganz gut gefallen. Diese vordergründige – und trotz Subtext vorhandene – Ebene von Fight Club ist die pure Faszination am Archaischen, Gewalttätigen und Anarchistischen in jedem Menschen, personifiziert durch das universelle Alter Ego Tyler Durden. Ja, es ist auch schlicht und einfach die Faszination an Durden selbst: Diesem zynischen und zugleich idealistischen Anarchisten, der große Redner, Revolutionär, Destrukteur und Prototyp verdrängter postmoderner Bedürfnisse..

With your feet in the air and your head on the ground
Try this trick and spin it, yeah

Tyler Durden ist der perfekte, zynische, postmoderne Verführer. In seiner eklektischen, anarchischen Weltanschauung mischen sich Konsumkritik, libertäre und hedonistische Gedanken sowie ein all umfassender, radikaler Individualanarchismus in der Tradition Benjamin Tuckers, der weniger von kommunistischen und syndikalanarchistischen Theorieansätzen als viel mehr von einem universell liberalen Weltbild geprägt ist. Tyler Durden ist in dieser Funktion kein Theoretiker, kein Akademiker – auch wenn seine geschliffene Rhetorik sich einer breiten (weniger tiefen) Bildung bedient. Viel eher ist Durden ein Mann der Tat: Ein Hausbesetzer, ein Punk, noch stärker ein Skinhead – insbesondere durch die martialische und maskuline Ausprägung seiner anarchistischen Ideale. Durden entspricht dem Prototypen des antiidealistischen Idealisten – oder idealistischen Antiidealisten. Er kolportiert ein offenes, wenig stringentes Theoriegebäude, das sich vordergründig von den metaphysischen und romantischen Sinnstiftungen der Moderne abgrenzt. In seinem Handeln, das destruktiv konstruktiv ist, in seinem puren Vitalismus ist er nicht nur ein Kind seiner Zeit sondern auch sein Widerpart. Ein postmoderner, postideologischer Demagoge, ein Mensch der nach dem Leben hungert und dieses auch einfordert und sich nimmt.

Die gerade in den 90ern beliebte Kombination von linker, libertärer politischer Theorie und hedonistischem Eifer kommt hier voll zum Tragen. Und natürlich ist das enorm verführerisch in einer Zeit der Neuorientierung: Der Kommunismus ist vermeintlich gescheitert, der Kapitalismus scheint unbesiegbar, die westliche Gesellschaft gefestigt. Bis zur neuerlichen Erschütterung (9/11) ist es noch ein wenig Zeit und bis dahin gibt es eine gewisse Altersmüdigkeit und Trägheit der westlichen Gesellschaften, gegen die Durden mit seinen radikalen Konzepten ankämpft. Er ist dadurch Spiegelbild und Sprachrohr einer Generation, die ihrer selbstverschuldeten Bequemlichkeit entfliehen will. Er ist Ausdruck eines Kampfes gegen eine gewisse systemimmanente Ohnmacht, die der Wohlkstandsgesellschaft der 90er immanent ist.

Und ab diesem Punkt beginnt der feine – und ziemlich bösartige – Subtext, der sich in Fight Club wie ein Laubfeuer ausbreitet. David Fincher lässt Tyler Durden nämlich nicht an dem Punkt des anarchischen Individualkonzeptualisten stehen. Er lässt ihn zur Tat schreiten und seine Post-Romantik zu einem terroristischen Aktionismus mutieren. Hier etabliert Fight Club einen narrativen Topos, der idealistische, gesellschaftskritische Modelle seit der Moderne begleitet: Die Revolution frisst nicht nur ihre Kinder sondern verdirbt sie auch. Alle Menschen sind frei, aber manche sind freier als andere. Fight Club rekuriert auf eine klassische – in der Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts viel zu oft erprobte – Entwicklung des Idealismus hin zur Ideologie. Und diese Gefahr steckt laut Fight Club ebenso in postmodernen, vermeintlich ideologiefreien Weltbildern. So anarchistisch das Grundkonzept des Fight Clubs auch sein mag, so faschistisch gebärdet es sich in seiner Ausführung. Eben noch sah man Männer, die um jeden Preis ihre Freiheit erkämpfen wollten, im nächsten Moment sieht man eine „Armee von Weltraumaffen“. Die Weiterführung des Fight Clubs spottet jeder zuvor etablierten individualistischen, liberalen Legitimation. Tyler Durden züchtet sich eine Armee, eine gleichgeschaltete Armee. Nicht nur die einheitlich rasierten Köpfe und der mantrische Singsang auf einen Verstorbenen, sondern auch die gesamte Konzipierung des des Project Mayhem ist der Auswuchs eines in sich geschlossenen, kollektivistischen und totalitären Systems. So wie in „Animal Farm“ die revolutionären Schweine selbst zum Establishment werden, entwickelt sich die Gruppe um Tyler Durden vom anarchistischen zum faschistoiden System.

Way out in the water
See it swimmin‘

Die in diesem Zug etablierte Kritik an der Postmoderne ist darüber hinaus keineswegs eine einzig politische, sozialkritische Bewegung sondern ein allgemeines Statement zur Entwicklung der Epoche schlechthin. Fight Club ist nicht weniger als ein Abgesang auf die Postmoderne an und für sich. Im Eklektizismus und in der Diffundierung der Weltbilder und Lebenskonzepte steckt nach diesem Modell keineswegs das Ende der Ideologie sondern viel mehr der potentielle Anfang. Das Ende der holistischen Welterklärungen generiert nach dem Fight Club Prinzip eine Welt des Konsumterrors, der Zufriedenheit, der passiv-aggressiven Ohnmacht. Die folgerichtige Reaktion ist die Rückkehr des Sakralen, die Rückkehr des Totalitären und Universalistischen; ironischerweise im Schafspelz des postmodernen Zynismus. All dies kolportiert Fight Club keineswegs affirmativ, sondern mit einem grimmigen, bissigen Humor und einer radikalen Anti-Konsequenz, durch die der Zuschauer im Zweifelsfall bis zum bitteren Ende dem Demagogen Tyler Durden auf den Leim gehen darf… Nur um sich dann am Schluss die Frage zu stellen „Where is my mind?“.

Auch wenn dies der womöglich am meisten unterschätzte Subtext von Fight Club ist (zumindest lässt sich nur so die Begeisterung für die Ikone Tyler Durdens erklären), ist Finchers Meisterwerk auch darüber hinaus vollgepfropft mit ironischen Brechungen und versteckten Motiven: Die Sublimierung von Sex durch körperliche Gewalt, damit verbunden das scheinbar homoerotische, tatsächlich autoaggresive – und folgerichtig auch autolibidinöse – Moment des Protagonisten; quasi eine Persiflage  auf übersteigerte Maskulinität als Reaktion auf den Feminismus. Ohnehin ist die Rolle der Frau in Fight Club mehr als einen Blick wert. Fincher spielt hier geschickt mit postmodernen, männlichen Selbstfindungsstrategien zwischen Misogynie, Kompensation und Resignation. Auch die besondere Ästhetisierung des Körpers, der Narzismus der Narben sowie die Stilisierung des Zerfallenden und Pathologischen begleiten den gesamten Film. Dann natürlich die Metatextualität, die nicht nur durch den Bruch der vierten Wand sondern ebenso durch die eingestreute Selbstreferenzialität, die Ästhetisierung der eigenen Totalität von einem steten Sarkasmus begleiten lässt. Fight Club ist in seiner Diversivität, seiner Ambivalenz und seinem Schlingern zwischen offensiver, totalitärer Demagogik und ironischem Bruch eine Art Krankheitsdiagnose der Postmoderne, deren zwischenzeitliche Überwindung im Totalitären und gegen Ende dann die blanke Selbstaufgabe. Am Schluss stürzen Häuser ein, der postmoderne Dämon ist gerichtet und irgendwie schreit alles nach Neuanfang oder Ende der Welt:

Your head will collapse
But there’s nothing in it
And you’ll ask yourself
Where is my mind

Fight Club ist so etwas wie die persönliche Apokalypse innerhalb des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Ein Abgesang auf die Ausweglosigkeit der Postmoderne und ein Rekurs auf das Versagen von klassischen Kompensationsstrategien gegen die transzendentale Obdachlosigkeit. Und gerade dadurch ein ungeheuer gehässiges, den Zuschauer an der Nase herumführendes, bösartiges Meisterwerk.

 

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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Erstveröffentlichung: 2011