Besser als sein Ruf: Rocky V

Ich habe hier schon ein paar Filme verteidigt, die im Auge von Kritik und Öffentlichkeit wertlose Werke sind: Masters of the Universe, Star Trek V, Sliver… Aber bei keinem anderen Film hat es sich so schwierig angefühlt wie beim fünften Teil der epischen Boxersaga: Rocky V (1990). 29% bei Rotten Tomatoes, mehrere Nominierungen für die Goldene Himbeere, viel Spott und Häme über Sylvester Stallones Entscheidung, seinem Sohn Sage Stallone und dem Boxer Tommy Morrison zentrale Rollen in dem Film zu geben. Aber ich bleibe dabei: Rocky V ist deutlich besser als sein Ruf. Mehr noch; ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte, Rocky V, dessen Veröffentlichung ihn gerade so aus den 80ern raus in die 90er hob, ist so etwas wie der Abschluss eines Actionjahrzehnts und zugleich der beste Rocky-Film seit Rocky II (1979) und bis Rocky Balboa (2006). Er hat weder den Hass noch den Spott verdient und es ist an der Zeit, seinen Ruf zu retten.

Um das gleich klarzustellen, Rocky V ist kein Meisterwerk, er ist wahrscheinlich nicht einmal ein richtig guter Film, aber er ist überdurchschnittlich, und er macht vieles richtig, was seine Vorläufer falsch gemacht haben. Erinnern wir uns kurz: Die Rocky-Franchise war in eine ziemliche Sackgasse gelaufen. Bereits Rocky III – Das Auge des Tigers (1982) hatte mit dem Sieg Rocky Balboas am Ende des zweiten Teils im wahrsten Sinne des Wortes zu kämpfen: Das charmante an den beiden ersten Rocky-Filmen war ja gerade, dass es sich bei dem Protagonisten um einen Niemand, einen Außenseiter handelte. Jemand aus der Gosse, vielleicht nicht mit großer Intelligenz und großem Talent gesegnet, aber mit dem Herzen am rechten Fleck und dem unbedingten Willen gegen alle Widrigkeiten anzukämpfen. Rocky III zeichnete Rocky als erfolgsverwöhnten Boxstar, der sein Mojo verloren hatte. Das funktionierte partiell und dennoch schien in diesem Film nie etwas wirklich auf dem Spiel zu stehen. Rockys Leben war abgesichert, er hatte seine Schäfchen ins Trockene gebracht und kämpfte nur noch für die persönliche Ehre. Noch schlimmer traf es Rocky IV – Der Kampf des Jahrhunderts (1985). Hier musste für eine Verstärkung der Dramatik eine künstliche Bedrohung geschaffen werden. Und diese musste – natürlich – größer sein, als alles bisher gesehene. Folgerichtig ging es im Kampf des Jahrhunderts um nichts weniger als Balboas Leben: Sein Gegner, eine gnadenlose sowjetische Kampfmaschine, bereit zu töten, wenn es sein muss. Diese darwinistische Forcierung des Dramas schien zwingend notwendig, war Rocky doch mittlerweile reich, erfolgreich, angesehen und natürlich – trotz seines Alters – der größte Boxer überhaupt. Alles, was zuvor Drama erzeugt hatte – Armut, Außenseitertum, Erfolglosigkeit – war durchgespielt. Und dementsprechend war Rocky IV auch mehr Actionfarce denn Boxerdrama, mehr Kriegs- als Sportfilm. Und an dieser Stelle schien dann auch erst einmal Schluss zu sein: Rocky rettete sein Leben, besiegte den Unbesiegbaren und war wieder dort angekommen, wo er schon die ganze Zeit gestanden hatte. Nur, dass er jetzt zusätzlich noch Liberal Sports Jesus für die Sowjetunion war und sogar Gorbatschow dies mit einem dramatischen Applaus würdigte. Ende Gelände.

An dieser Stelle beginnt Rocky V, und er macht das einzig richtige: Back to the roots; zurück zu den Wurzeln, auf die Straße, in die Gosse. Wie dies geschieht ist tollpatschig, arg konstruiert, unglaubwürdig und unfreiwillig komisch; ja. Aber im Gegensatz zum künstlichen hochgeschraubten Drama von Rocky IV nimmt es gerade mal die ersten fünf Minuten des Filmes ein, dann ist die forcierte Tragik überstanden. Und die Familie Balboa hat alles verloren, was ihr Leben zuvor so langweilig machte. Man muss diese Plotentscheidung nicht einmal besonders gut finden, aber man muss doch anerkennen, dass sie an diesem Punkt irgendwie alternativlos ist. Rocky muss wieder dahin wo er hingehört, muss Prekariat, muss Philadelphia, muss Außenseiter, muss schwach sein. Und das ist er auch in diesem Film: Gezeichnet von dem Kampf gegen Ivan Drago, ohne Geld, ohne Karriere treibt er sich wieder in den Straßen Philadelphias herum, muss seine Familie zusammenhalten und etwas finden, was sein Leben wieder mit Sinn füllt. Diese Momente, wenn eine Millionärsfamilie in eine völlig unbekannte prekäre Existenz zurückgeworfen wird, gehören zu den stärksten Momenten des fünften Rockys. Vor allem die Spannungen zwischen Rocky und seinem Sohn Robert, der bisher nur das Leben in der Oberschicht kannte, eröffnen einen großen Raum der dramaturgischen Möglichkeiten. Und an dieser Stelle sei auch noch einmal Sage Stallone verteidigt. Er mag nicht der beste Jungschauspieler der damaligen Zeit sein, aber er schafft es seiner Rolle genug Glaubwürdigkeit zu geben, um ihre Genese durch den ganzen Film zu tragen.

Denn tief in seinem Herzen ist Rocky vor allem ein Drama über einen Vater-Sohn-Konflikt, der nie ausgetragen wurde und zum ungünstigsten Zeitpunkt zu Tage tritt. Robert fühlt sich in der Welt nicht wohl, mit der sein Vater so viele nostalgische Erinnerung verbindet. Für ihn sind die Straßen Philadelphias nicht einfach nur ein schweres Pflaster, sie sind ein Ort ständiger Niederlagen. Von seinen Mitschülern wird er gemieden oder verprügelt, es gelingt ihm nicht Anschluss an die Welt des einfachen Mannes von der Straße zu finden und er sieht sich damit konfrontiert, den (unausgesprochenen) Anforderungen seines Vaters nicht genügen zu können. Rocky V hat nicht zuletzt auch deshalb so viel Ablehnung erfahren, weil er weitaus mehr Familiendrama denn Sportfilm ist. Es gibt wenige Kampfszenen, wenige Montagen, dafür aber viele Dialoge, viele ruhige oder dramatische Momente. Die fünfte Iteration des Balboa-Mythos kommt aber ausgerechnet damit dem Klassiker Rocky (1976) näher als jeder andere Film der Reihe zu diesem Zeitpunkt. Das bleibt auch in dem zweiten großen Konflikt des Filmes so: Rocky versucht seinem Leben wieder Sinn zu geben und wird Trainer in seiner alten Boxschule. Dort trifft er auf das ungestüme Nachwuchstalent Tommy „The Machine“ Gunn (Profiboxer Tommy Morrison mit einer …nunja… eher bescheidenen Leistung). Rocky sieht in diesem wilden Rohdiamanten etwas, was ihn an sich selbst in jungen Jahren erinnert. Und nach einigem Zögern willigt er ein, dessen Trainer zu werden. Tommy wird erfolgreich und steht zugleich doch immer im Schatten seines Meisters. Gleich zwei Konfliktlinien tuen sich hier auf, und diese sind in der Tat das Komplexeste, was es in einem Rockyfilm je an Plot-Dramaturgie zu sehen gab.

Zum einen ist da der Vater-Sohn-Konflikt, der sich intensiviert. Robert ist eifersüchtig auf das Nachwuchstalent, dem sein Vater so viel Aufmerksamkeit widmet. Die Distanz von Vater und Sohn wird an dieser Stelle radikalisiert: In Tommy findet Rocky eine Art Ersatzsohn, der vermeintlich all das Feuer, all die Wut, all die Straßenhärte besitzt, die sein tatsächlicher Sohn nie entwickeln konnte. Im Kern dieses Konfliktes steht eine durch und durch traurige Entfremdung zwischen Vater und Sohn. Das Kind braucht die Liebe und Zuneigung, den Zuspruch und auch die Förderung durch den Vater, muss aber erleben, wie diese an eine andere Person verschenkt wird. Der Vater, blind vor Eifer, ist nicht in der Lage diesen Konflikt oder das Leid seines Sohnes zu sehen. Balboa wurde von Teil 1 an als emotionales Leichtgewicht, als Tölpel auf dem zwischenmenschlichen Parkett inszeniert, und es ist durchaus mutig, wie weit Rocky V diese emotionale Tölpelhaftigkeit treibt. Die Unfähigkeit zur Empathie wird hier zum ebenso plausiblen wie mitreißenden Auslöser absoluter, ohnmächtiger jugendlicher Verzweiflung. Nie waren Rockys emotionalen Defizite derart unsympathisch, brutal und verheerend.
Hinzu kommt Konflikt Nummer zwei, der ebenso wie der erste spannenderweise nicht die Befindlichkeiten des Protagonisten sondern die des sich entwickelnden Gegenspielers in den Mittelpunkt rückt. Denn auch Tommy Gunn leidet. Er leidet unter dem Schatten seines Trainers, unter dessen Phlegma und unter dessen – von Trainerlegende Mickey entliehenen – Schrulligkeiten. Auch diesen Konflikt kann Rocky nicht sehen, und läuft direkt in sein Verderben.

Hand aufs Herz, von da an baut der Film sukzessive ab: Richard Gant als Boxpromoter und überzeichnete Don King Parodie gehört noch am ehesten zu den albernen Highlights des Schlussdrittels. Daneben stehen aber jede Menge merkwürdiger Charakterentwicklungen – sowohl die Entfremdung von Rocky und Tommy als auch die übers Knie gebrochene Versöhnung von Vater und Sohn -, wirklich unbeholfene, langatmige Kampfszenen und einige sehr fragwürdige Inszenierungsentscheidungen. Das beste an Rocky V sind seine dramatischen Konflikte, umso ärgerlicher, dass diese derart albern aufgelöst werden. Immerhin ein Pluspunkt, dass es nicht zurück in den Ring geht. Ebenfalls ein Pluspunkt, dass Rocky auch in seinem finalen Kampf als schwach und verletzbar dargestellt wird. Aber warum mit so viel Kitsch, warum mit so viel Klebrigkeit und solcher alberner Bösewichtgestaltung? Warum mit so simpler Auflösung und so stupidem Happy End? Gegen Schluss geht Rocky V nicht nur die Puste aus, ihm fehlt auch der Mut, die eröffneten Konflikte auszuhalten. Ihm fehlt der Mut, den Rocky I hatte, als er seinen Protagonisten am Ende verlieren ließ, ihm fehlt der Mut, von Rocky Balboa (2006), der am Ende eine unsentimentale Versöhnung von Held und Nemesis zelebrierte, ihm fehlt der Mut von Creed – Rocky’s Legacy (2015), der Balboa mit seiner Sterblichkeit auf ganz und gar unprätentiöse Weise konfrontierte. Und, das sei nochmal dazu gesagt, ihm fehlt die inszenatorische, visuelle und auditive Klasse, um diese Defizite auszugleichen.

Und doch hat Rocky V im Gegensatz zu Teil 3 und Teil 4 das Herz am rechten Fleck. Er ist kein Actionfilm, kein Superheldenfilm, keine gelangweilte Cash Cow, sondern ein durch und durch selbständiger Rockyfilm, dem man auch anmerkt, dass er als einziger Teil der Reihe vom selben Regisseur wie Teil 1 inszeniert wurde. Nein, Rocky V ist kein Meisterwerk, aber er ist überdurchschnittlich, hat im Gegensatz zu allen vorherigen Teilen wirklich interessante Konflikte außerhalb des Boxrings gefunden, hat wirklich etwas zu erzählen und steht so mutig im Ring, ohne die Blockbuster-Ingredienzen der Vorgänger zu benötigen. Eins ist er damit ganz sicher: Deutlich besser als sein Ruf!

Ähnliche Artikel