Die besten Fantasyfilme und Märchen der 80er Jahre: Wo bleibt „Die unendliche Geschichte“?

Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Die Unendliche Geschichte (1984) wird hier nicht bei den besten Fantasyfilmen und Märchen der 80er Jahre auftauchen. Das bedeutet nicht, dass ich die Verfilmung von Michael Endes gleichnamigem Roman für einen miesen Film halte, keineswegs, aber es fehlt ihm doch ein gutes Stück, um in meinem cineastischen Kanon zu landen. Dabei standen die die Verfilmung dieses wundervollen Märchens im Jahr 1984 eigentlich unter einem guten Vorzeichen. Michael Endes Vorlage von 1979 gehört mit zu den besten fantastischen Romanen, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, Regisseur Wolfgang Petersen hatte drei Jahre zuvor mit Das Boot (1981) bewiesen, dass er sich perfekt darauf verstand Hollywood und europäisches Kino unter einen Hut zu bringen, mit Finanziers aus Deutschland und den USA gab es ein ordentliches Budget-Fundament für die Umsetzung der Märchenwelt Phantasiens und mit Limahl war für den Titelsong ein damals ziemlich populärer Musiker am Start. Also wie konnte es so weit kommen, dass selbst Michael Ende derart unglücklich war, dass er seinen Namen aus dem Film streichen ließ, dass zahllose Freunde der Vorlage unzufrieden, so wie ich mit dem Gefühl eines Stückes Kindheit beraubt zu sein, den Kinosaal verließen?

Der erste Grund ist der Offensichtlichste: Die Qualität der Vorlage. Allein für ihren Mut ein derart geliebtes literarisches Meisterwerk filmisch anzufassen, verdienen die Macher bereits einen gewissen Respekt. Die unendliche Geschichte (1979) mag nicht zu jenen omniösen, unverfilmbaren Werken gehören (sofern diese überhaupt existieren), aber sie ist als Vorlage mindestens ziemlich tough. Der Roman ist einfach vollgepfropft mit großartigen, fantastischen Ideen, mit abstrakten – sehr vergeistigten – Bildern, mit zahllosen Gedanken, die bei der Visualisierung Gefahr laufen, profan und platt zu werden. Dabei will ich Petersens Interpretation noch nicht einmal die zahllosen Änderungen vorwerfen, die bei Literaturverfilmungen der damaligen Zeit einfach derart Standard sind, dass ein Lästern über sie im Grunde nur langweilen würde: Aus dem dicklichen, leicht dumm-naiven Bastian der Vorlage wird ein intelligenter, schwächlicher Junge… geschenkt. Der Bastian der Umsetzung funktioniert und eignet sich bestens als Identifikationsfigur (wahrscheinlich sogar besser als der Bastian der Vorlage). Die poetisch surrealen Figuren der literarischen Märchenwelt werden zu großen Fantasywesen: Aus dem grünhäutigen Atreyu wird ein Indianerjunge, aus dem funkelnden Glücksdrachen Fuchur ein pelziger Knuddelbär…. ebenfalls geschenkt. Auch wenn diese Figuren eine Menge ihres literarischen Zaubers einbüßen, wissen sie auf der Leinwand dennoch zu gefallen.

Das Buch wird fürs Kino erheblich gestrafft…. Verschmerzbar. Natürlich eignet sich das quasi zweibändige Werk Endes nicht besonders gut für einen einzigen Film. Da ist es durchaus plausibel, dass die Kinoversion sich auf den ersten Band konzentriert. Und dass die Fortsetzung, die sich weitaus freier – man könnte auch sagen dreister – an Band zwei bedient, ein kompletter Reinfall ist, kann man Teil eins nur schwerlich vorhalten. Nein, das alles ist in Ordnung, gehört zum klassischen Transferverlust einer jeden Literaturverfilmung. Was dagegen wirklich schmerzt, ist, dass die Macher des Films die Vorlage in einigen Punkten ganz offensichtlich nicht im Geringsten verstanden haben:

Punkt 1: Phantasien. Im Roman ein unendlich großes, märchenhaft abstraktes Land voller Symbole und psychoanalytischer Abgründe wird auf eine klassische Fantasy-Kulisse reduziert. Das wäre nicht so tragisch, wenn dabei nicht das Metatextuelle Moment der Vorlage derart brutal hingerichtet werden würde. Die literarisch selbstreferenzielle Ebene geht nämlich nicht nur ästhetisch sondern auch inhaltlich verloren. Was zuvor eine Liebeserklärung an die unendliche Macht der Fantasie war, wird zusammengestaucht zu einer Liebeserklärung an die Macht des Produzentenbudgets. Phantasien ist kein wundersamer Ort mehr, an dem alles möglich ist, es ist ein ästhetisches Gruselkabinett, in dem der Protagonist von einem Abenteuer zum nächsten gejagt wird.

Punkt 2: „Doch das ist eine andere Geschichte und diese soll ein anderes Mal erzählt werden…“ Denkste! Während Michael Endes unendliche Geschichte jedem Protagonisten Aufmerksamkeit widmet, sobald dieser zum Akteur wird, werden die Figuren im Film zu Handlangern der Dramaturgie, zu Statisten und Stichwortgebern für den Protagonisten Atreyu. Was sie fühlen, was sie denken, wie sie leben, wie sie sterben, ist dem Film egal. Was zählt ist die aufgepeitschte Handlung, nicht die Offenheit für das Prinzip einer Erzählung an und für sich. Und so verschwindet der Zentaur ebenso gesichtslos wie die Kobolde, so werden die mysteriösen Sphynxen zu laserschießenden Monstern und der Glücksdrache zum freundlichen Helfer ohne eigene Gefühle, ohne eigene Gedanken, schlicht ohne eigenen Charakter.

Punkt 3: Das Nichts… was haben sie nur aus dem Nichts gemacht? In der Unendlichen Geschichte war das Nichts eine schleichende, stille und gerade deswegen so bedrohliche Kraft: Anziehend und zugleich abstoßend, langsam dafür aber umso unerbittlicher der Untergang der Welt heraufbeschwörend. Das mysteriöse, alles verschlingende und existenzielle Nichts wird im Film zum Effektgewitter, zum lauten krachenden Sturm. Während wir in der Vorlage einer unheimlichen Prozession zuschauen durften, als verschiedenste Wesen Phantasiens stumm in ihren eigenen Untergang zogen, so sehen wir hier Blitze, Winde, Schwärze… unzählige Erscheinungen, die ETWAS sind, aber auf keinen Fall NICHTS.  Das wird nicht nur dem Geist der Vorlage nicht gerecht, es boykottiert ihn geradezu. Genau dieses inhaltsleere Krachen und Toben, dieses narrative und stilistische Prinzip des Films ist, was die fantastische Welt bedroht, wovor die Phantasier Angst haben. Wollte man gehässig sein, könnte man sagen, der gesamte Film ist genau das, wovor das Buch warnt: Eine Ansammlung von Nichtigkeiten, die Zerstörung der Fantasie, die Leere, die sich einstellt, wenn die Menschen aufhören das Fantastische zu sehen.

Ganz so gehässig will ich an dieser Stelle nicht sein. Auch der Film hat seine guten Momente. Die Interaktion zwischen Bastian und Atreyu wird fast eins zu eins aus der Vorlage übernommen… und hält der filmischen Umsetzung größtenteils stand. Die Szene in den Sümpfen der Traurigkeit, der Tod Artax‘ und die Verzweiflung Atreyus im verbalen Duell mit der uralten Morla sind fast so ergreifend wie in Romanform. Die Bilder sind meistens stimmig, wenn auch all zu oft zu effektgeladen, zu kreischend, zu sehr Hollywood, zu wenig Poesie. Umso ärgerlicher ist es, wie der Film an manchen Stellen komplett scheitert. Und ja, diesbezüglich muss ich einfach mal den Literatur-Faschisten raushängen lassen. Die Unendliche Geschichte versagt als Verfilmung, indem sie ihrer Vorlage nicht den Respekt zollt, den diese verdient. Sie versagt als Verfilmung, indem sie sich selbst zum Kontrahenten des Romans macht, in ihrer Banalität eben jene Nichtigkeit heraufbeschwört, die im Buch als Gefahr angesehen wird. Sie versagt als Verfilmung, indem sie sich im lauten Effektgewitter als das bloßstellt, was sie ist: Banale, fantasielose Unterhaltung für zwischendurch. Aus dem Epos ist Fast Food geworden.

Für einen angenehmen Filmabend mag das ordentlich runtergehende Fantasyspektakel dementsprechend reichen. Und wer die Vorlage nicht kennt, der wird die Enttäuschung der zahllosen Leser wohl schwer nachvollziehen können. Für diesen gilt dann aber auch: Bitte, bitte, bitte, lies das großartige Buch von Michael Ende, so schnell wie möglich! Auf den Film indes kann gut und gerne verzichtet werden.

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Erstveröffentlichung: 2012