Die Eiskönigin II (2019) – Warum die Fortsetzung von Frozen scheitert und dennoch sehenswert ist
Niemand wird bestreiten, dass Die Eiskönigin – Völlig unverfroren (2013) einer der größten Disney- und Animationsüberraschungshits der 2010er Jahre war. Hinter einem scheinbar einfach nur weiteren Fantasyschinken der Disney Animation Studios verbarg sich zum einen ein Musical, das traditionell wie nie auf die klassischen Disney-Prinzessinnen-Geschichten rekurrierte, und zum zweiten ein Fantasyepos, das an genau den richtigen Stellen den Traditionalismus aufbrach und fast so was wie Disneys Version eines feministischen Märchens darstellte. Ein Sequel war im Grunde genommen eine ausgemachte Sache, nachdem in den Folgejahren „Let it go!“ durch allerlei Kindermünder wanderte. Und doch hat es über fünf Jahre gedauert, bis Die Eiskönigin II (2019) das Licht der Leinwand erblickte. Ja, Leinwand. Gott sei Dank kein dahingeschnoddertes Direct to DVD Sequel (was vor 20 Jahren noch selbst bei den absoluten Blockbustern wie Lion King oder Die Schöne und Das Biest Standard war). Nein, eine würdige Fortsetzung, von den gleichen Machern mit den gleichen Stimmen und sogar exakt dem gleichen Budget. Und doch haftet Frozen II ein wenig der Geruch des Hinterhergeschobenen an. Denn obwohl der erste Teil so manche losen Enden bereithält, die eine Fortsetzung fast schon zwingend erscheinen lassen, so gelingt es der Fortsetzung doch nicht so richtig, diese zu einer harmonischen Gesamtnarration zusammenzuführen.
Drei Jahre ist es her, dass Elsa zur Königin von Arendelle gekrönt wurde, die Beherrschung ihrer Eiskräfte verlor und von ihrer Schwester Anna vom eisigen Nordberg gerettet und zurück ins Königreich gebracht wurde. Seitdem sind nicht nur die beiden Schwestern ein Herz und eine Seele, auch das Volk Arendelles liebt seine besondere Eiskönigin. Schneemann Olaf hat sich perfekt in das milde Klima der Stadt integriert und der Eislieferant Kristoff ist glücklich mit Anna liiert, auch wenn es mit dem geplanten Heiratsantrag nicht so ganz klappen will. Das märchenhafte Happy End wird jedoch in jüngster Zeit von einem mysteriösen melodischen Ruf gestört, der wie es scheint, Elsa hinaus in den verwunschenen Wald vor den Toren der Stadt ziehen will. Eines Abends gibt Elsa dem Lockruf nach und entfacht dabei den Zorn elementarer Geister aus Arendelles Vergangenheit, die das ganze Königreich in Gefahr bringen. Wieder einmal müssen sich Elsa, Anna, Kristoff, Sven und Olaf auf den Weg machen, um ihr Land zu retten. Dabei stoßen sie auf ein dunkles Geheimnis, nicht nur was Arendelle betrifft sondern auch ganz konkret die Familie der beiden Schwestern.
Und dann geht es auch schon wieder los ins Abenteuer. Ganz ähnlich wie Teil Eins besteht dieses – weitaus mehr dem klassischen Disneytrickfilm als dem heutigen Animationsfilm ähnelnd – aus einer Menge Musik, zwischen opernhaften Arien und sentimentalem Powerpop, ein paar kleinen Überraschungen und viel female Power, die deutlich stärker ausgeprägt ist als bei ähnlich gelagerten Werken. Es ist jeder Sekunde anzumerken, dass die Macher ihr Sujet sowie den ersten Teil verflucht ernst nehmen, und mehr als bemüht sind, dessen Erbe gerecht zu werden: Die Animationen sind durchgehend auf hohem Niveau, stellenweise sogar lebendiger und stärker als bei Frozen. Die Kinematographie ist überragend: Geschickt oszilliert Frozen II in Schnitt und Kameraarbeit zwischen bombastischem Kino und freidrehendem Animationsfilm, liefert Bilder aus dem epischen Fantasyfilm ebenso solide ab wie traumwandlerische, bunte und übertriebene Tricksequenzen. Mehr noch als Teil 1 spielt er darüber hinaus mit den Möglichkeiten des Trickfilms, ist nicht nur CGI Effektshow sondern ebenso buntes, ästhetisiertes Schauspiel, das zwischendurch auch keine Scheu vorm Skizzenhaften oder Überstilisierten hat.
So gut die Annäherung an den Vorgänger auf der visuellen Ebene gelingt, so enttäuschend ist sie dagegen auf dem auditiven und narrativen Level. Da wären zum einen die Songs: Ja, es tut ein bisschen weh zu sehen, wie die Macher bemüht sind, die Kraft der Vorgängernummern zu erreichen, einfach weil es ihnen nie so ganz gelingt. Into the Unknown ist kein zweites Let it go, egal wie viele Kapriolen der Song schlägt. Etwas gediegener ist da schon Show Yourself, aber auch dieser Powerballade sieht man viel zu sehr das Bemühen an, noch einmal den Zauber des Originalhits zu wiederholen. Die anderen Songs pendeln zwischen banal (das warum auch immer recycelte Reindeer(s) Are Better Than People aus dem ersten Teil) und ärgerlich flach, sowie nicht richtig zur Handlung passend (Olafs When I Am Older besitzt Potential für die langweiligste Songdarbietung des Musicaljahrzehnts). Es fehlt einfach ein monumentales Stück wie For the First Time in Forever, ein bittersüß ironisches Love Is an Open Door und natürlich auch so ein Pophammer wie Let it go. So stark Frozen die Musicalvibes der klassischen Disney-Zeichentrickfilme reanimierte, so enttäuschend fällt die musikalische Seite seiner Fortsetzung aus.
Ebenfalls enttäuschend ist die Narration. So löblich es auch ist, die Geschichte von Elsas Familie und ihren Fähigkeiten in ein neues Licht zu packen, so mutig es scheint, dass die ganze Geschichte Arendelles auf den Prüfstand gestellt wird, so enttäuschend ist die Umsetzung dieser vielversprechenden Prämisse. Hatte Die Eiskönigin eine klare Mission und einen starken menschlichen Konflikt, so verliert sich die Fortsetzung in einer ziemlich banalen Suche nach dem entscheidenden MacGuffin, dessen Geheimnis zwar irgendwie okayish ist, aber bei weitem nicht die epische Größe des Elsa/Anna-Plots des ersten Teils erreicht. Um an dieser Stelle der Story von Frozen II zumindest eine Sache zu Gute zu halten: An einem entscheidenden Punkt wächst er über seinen Vorgänger hinaus, und zwar im kompletten Verzicht auf einen eindimensionalen Bösewichten. Frozen hatte diese Option ebenfalls in seiner Geschichte angelegt und opferte sie leider im entscheidenden Moment für seinen großen Plottwist. Auch dem zweiten Teil gelingt es, sein Publikum zu überraschen. Dies geschieht aber eben nicht durch einen dumpfen Last Minute Villain, sondern einfach durch die konsequente Zusammenführung seiner Handlungsfäden. Es kommt – nicht nur aber vor allem bei Disney – viel zu häufig vor, dass Kinder- und Familienfilme einen forcierten Schurken aus dem Hut zaubern, um künstlich Konfliktpotential bis zum Schluss aufrecht zu halten. Diesbezüglich ist der zweite Teil der Eiskönigin der Konkurrenz einen guten Schritt voraus. Der Konflikt zwischen den verschiedenen Parteien ist hier stets nachvollziehbar; niemand muss unlautere, eindimensionale Motive haben, um den Konflikt zu rechtfertigen, niemand muss eindimensional böse sein. Eine ambivalente Note die wirklich gut tut zwischen all den hintertriebenen Stiefmüttern, Schurken und Schuften, die es in der Trickfilmwelt gibt.
Und dann sind da natürlich noch die leuchtenden Kinderaugen. Und für diese ist auch Frozen II wie geschaffen: Humor, Action und Pathos wechseln sich geschickt ab, zwischendurch darf sogar ein wenig über Leben und Tod reflektiert werden, und alles kommt zusammen in einem großen Finale, das die Kraft der Liebe und Freundschaft beschwört: Kitschig und pathetisch, definitiv, aber eben auch wunderbar verzaubernd, fantastisch und mitreißend. Die ganze Welt der Eiskönigin ist einfach eine fabelhafte Welt, eine Welt wie geschaffen für Kinderträume und Kindersehnsüchte, und dieser Film macht alles richtig, die zuvor entworfene Welt mit noch mehr Leben, noch mehr Magie und noch mehr Freude zu füllen. Ja, Die Eiskönigin II scheitert an seiner Geschichte, scheitert in seinem Versuch, die Sogkraft der Musikalität seines Vorgängers zu toppen, scheitert daran, auf alles noch eine Schippe draufzusetzen. Aber er ist erfolgreich darin, die wunderbare Welt Annas und Elsas weiterzuerzählen, er ist erfolgreich darin, ambivalent und ohne einfachen Exit ein Konfliktszenario aufzubauen. Und, und das ist wohl das entscheidende, er ist erfolgreich darin, Kinder zu verzaubern und der ganzen Familie einen perfekten Filmnachmittag zu bieten. Kein Meisterwerk, aber für sein Zielpublikum genau das, wonach es dürstet, genau das, was es braucht, und daher für alle, die sich vom ersten Teil verzaubern ließen, ein sehenswertes Filmereignis.