Die besten Zeichentrickfilme der 80er Jahre I

Zeichentrickfilme sind nicht nur für Kinder… das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Neben den 70ern mit ihren wilden, anarchischen Comicverfilmungen von Ralph Bakshi  gehören die 80er wohl zu dem Trickfilm-Jahrzehnt, das diese simple Tatsache am besten unter Beweis stellt. Nicht jedoch wie die Dekade zuvor mit lauten, rüpelhaften Hippiealpträumen, sondern mit nachdenklichen, düsteren und auch komplexen Stoffen, die in Pastell getaucht werden. So wie das Antikriegsdrama Wenn der Wind weht, dessen Zielpublikum sogar jenseits der 30 oder 40 liegen könnte, oder auch das symbolistische Mär Das letzte Einhorn, in dem der Fantasybackground für eine sehr komplexe, psychologisch feinfühlige Erzählung dient. Selbst Kinder- und Familienfilme wie Herrscher der Zeit, Feivel der Mauswanderer und In einem Land vor unserer Zeit dürfen – Don Bluth und Moebius sei Dank – in diesem Jahrzehnt ihre dunklen, tragischen und spannenden Momente, jenseits des Disney-Wohlfühlkinos besitzen und voll auskosten. Es gibt also eine Menge großartiger Trickfilme aufzuarbeiten. Viel Spaß mit Teil 1:

Das letzte Einhorn (Jules Bass, Arthur Rankin Jr.)

(USA, Großbritannien, Japan, Deutschland 1982)

Oh… was habe ich für eine ausgesprochene Hassliebe zu diesem Zeichentrickklassiker aus dem Jahr 1982: Ja, das Letzte Einhorn ist ein unglaublich rührseliger, geradezu kitschiger Film, irgendwo zwischen Esoterik und Ästhetizismus. Seine Zeichenkunst oszilliert zwischen biederer TV-Flachheit und überdimensioniertem Anime und oft verliert er sich narrativ in simplem Märchenparabolismus. Aber was für eine Dramaturgie, was für eine Intensität besitzt dieser Film in seinen stärksten Momenten!

Dann wird The Last Unicorn plötzlich zum gewaltigen, opulenten Märchen mit zauberhaften Bildern und tiefgründiger, symbolischer Strahlkraft; dann wird die einfache Geschichte eines Fabelwesens, das nach seinesgleichen sucht und sich emotional in dieser Suche verliert, zu einem poetischen, selbstverlorenen eskapistischen Trip, der weit entfernt ist von jeglicher Ironie, jeglichem Zynismus… und einfach nur schön sein will (und dabei oft genug verdammt erfolgreich ist).

Ja, den ein oder anderen Popmoment hätte sich das letzte Einhorn schenken können, auch so manchen symphonischen Bilderkitsch. Aber als das, was der Film ist – ein die Schönheit bedingungslos umarmendes, naives Fantasymusical, das sich ganz und gar seinem eigenen pittoresken Charme hingibt -, funktioniert er. Und mehr braucht der geneigte Zuschauer manchmal auch gar nicht, um einfach glücklich zu sein. Manchmal liebe ich es, diesen Film zu hassen… und manchmal hasse ich es, ihn zu lieben.

Wenn der Wind weht (Jimmy T. Murakami)

(Großbritannien 1986)

Ihr wollt einen wirklich düsteren und deprimierenden Zeichentrickfilm sehen? Dann ist When the Wind Blows genau das richtige für euch. Das Drama aus dem Jahr 1986 handelt von einem alten Ehepaar, das von der Ankündigung eines nahenden Nuklearschlags überrascht wird. Von den Erinnerungen an den letzten Krieg in ihrer eigenen Naivität gefangen, befolgen sie gewissenhaft alle Sicherheitsvorkehrungen, die zu treffen sind, und können der alles vernichtenden Kraft der Atombombe doch nicht entrinnen. In einer postnuklearen Zeit versuchen sie die Normalität ihres Alltags so gut es geht aufrecht zu erhalten, während sie langsam von den Folgen der verstrahlten Welt eingeholt werden.

Dies alles erzählt Murakamis Tragödie auf angenehm unspektakuläre, unsensationalistische Weise. Im Mittelpunkt steht vollends der Kontrast zwischen dem gewöhnlichen, von Naivität getragenen Handeln der Protagonisten und der verheerenden Wirkung eines eskalierten kalten Krieges. Heraus kommt ein leises, menschliches Drama, das gemächlich – und dabei unfassbar traurig – seinem bitteren Ende entgegen geht. Ein stiller, fast erstickter Aufschrei gegen die Gefahren des atomaren Wettrüstens und zugleich eine zutiefst humanistische Auseinandersetzung mit der Hoffnung auch im Untergang das zu bewahren, was uns Menschen ausmacht… und wenn es nur ein Restideal von Alltag und Alltäglichkeit ist.

In einem Land vor unserer Zeit (Don Bluth)

(USA 1988)

Auch wenn die Geschichte des jungen Dinosauriers Littlefoot auf der Suche nach dem gelobten Tal klassischere Familienunterhaltung ist als die ersten beiden Filme dieser Liste, kommt auch dieser Trickfilmjuwel von Don Bluth nicht ohne düstere und tragische Momente aus. Mit dem frühen Tod eines der warmherzigen Protagonisten dieses Films besitzt The Land Before Time wohl eine der traurigsten Trickszenen der 80er Jahre, wenn nicht gar eine der traurigsten Szenen der Zeichentrickfilmgeschichte überhaupt.

Auch darüber hinaus spart Bluth hier nicht mit tragischen, spannenden und intensiven Momenten, wodurch dieses Urzeitepos mitunter vielleicht nicht gerade für die Jüngsten geeignet ist, dafür aber selbst Jugendliche und Erwachsene locker bei der Stange halten kann.

Feivel der Mauswanderer (Don Bluth)

(USA 1988)

In den 80ern war Don Bluth mit seinen unabhängigen Eigenproduktionen – ja, wir werden ihm hier in einer späteren Liste noch mal begegnen – der einzige wirklich ernstzunehmende Disneykonkurrent. Wohl kaum ein Film stellt dies besser unter Beweis als an american tail „Feivel der Mauswanderer“. Die Geschichte eine Mäusefamilie auf der Reise ins gelobte Land Amerika besitzt zahllose Ingredienzen, die auch die Disneyfilme der damaligen Zeit ausmachen: Der Musicalcharme, die wundervollen Sentimentalitäten, der lebendige Zeichenstil, die fesselnde Geschichte… und geht darüber hinaus, indem er klassische Disney-Topoi bisweilen im Achterbahntempo, bisweilen in einer dunkelgefärbten, dramatischen Form erzählt. Dadurch ist Don Bluth sogar noch mehr Familienkino als die übergroß scheinende Konkurrenz, gelingt es ihm doch perfekt sowohl kindlich als auch erwachsen zu erzählen, nicht mit spannenden Momenten zu geizen und vor allem jederzeit sowohl sein älteres als auch jüngeres Publikum ernstzunehmen. Ein Meisterwerk, das in jede gute sortierte Familienvideothek gehört. Und nicht vergessen: „There are no cats in america…“

Herrscher der Zeit (René Laloux)

(Frankreich u.a. 1982)

Der von Jean „Moebius“ Giraud gezeichnete und René Laloux erzählte Science Fiction Film Les Maîtres du Temps stellt wohl mit eine der interessantesten Verbindungen von Arthaus und Kindererzählung der 80er Jahre da. Geschildert wird die Reise und der Überlebenskampf eines Kindes auf einem fremden Planeten und zugleich die Rettungsmission, die nur durch akustische Kommunikation mit dem Jungen verbunden ist. Dabei nutzt Herrscher der Zeit dieses klassische Fantasy/SciFi-Setup, um sehr schnell große Gedanken und Ideen aus der philosophischen Trickkiste eines Philip K. Dick hervorzuzaubern: Telepathie, Träume, Visionen… und ein genialer Plottwist, der sich ästhetisch und auch erzählerisch an erwachsene Filme wie 2001 – Odyssee im Weltraum anlehnt, um dennoch seine ganz eigene Utopie von Zeit, Vergänglichkeit und Beständigkeit zu erzählen.

Dass er dabei geschickt zwischen Niedlichkeit und Düsternis, Unterhaltung und Reflexion pendelt, lässt ihn zu einem der spannendsten, ambivalentesten Zeichentrickexporte aus Good Old Europe werden. Nicht für jedermann geeignet, aber für jeden, der bereit ist, sich auf einen eigenwilligen, faszinierenden, fantastischen Weltraumtrip einzulassen.

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Erstveröffentlichung: 2015