Schlagwort: Ben Wheatley

Ein Experimentalist als Actionregisseur – Free Fire (2016) von Ben Wheatley

Ben Wheatley ist ein Biest. Und er ist dafür bekannt, alles andere als mainstreamtauglich zu sein. Das liegt vor allem daran, dass er sich für gewöhnlich Genres und Sujets greift, die eigentlich viel zu groß für sein übliches Budget sind, und diese auf ganz eigensinnige Art und Weise erzählt. So zertrümmert er das Historienepos mit seinem klaustrophobischem Irrritt A Field in England (2013), verwebt einen Auftragskillerfilm mit Elementen des Post Horror in Kill List (2011) oder macht aus der Science Fiction Dystopie High-Rise (2015) ein bizarres Sittengemälde, in dem eine klinische Sterilität peu à peu apokalyptischem Wahnsinn weicht. Letzterer spielt wie die Romanvorlage in den 70ern und dieses Jahrzehnt scheint es dem Regisseur angetan zu haben. Denn auch sein jüngster Streich Free Fire (2016) spielt in der Dekade nach dem Sommer der Liebe. Dieses Mal hat sich Ben Wheatley ausgerechnet das Action- und Ganovenkino als Plateau für seine Spielereien ausgesucht, ein Genre, das nicht unbedingt dazu prädestiniert scheint, durch den experimentellen Wheatley-Fleischwolf gedreht zu werden. Aber für Überraschungen war das Biest Wheatley schon immer gut…

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Die besten Filme 2015: Das bizarre Sittengemälde High-Rise von Ben Wheatley

Das Konzept der Wohnmaschine reicht fast 100 Jahre zurück. Bereits in den 1920er Jahren arbeitete der französische Architekt und Künstler Le Corbusier an den Plänen für einen Gebäudetypus, in dem vielen Menschen ein komfortables Wohnen ermöglicht werden sollte. Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts waren schließlich die Zeit, in der das Konzept erprobt und massenhaft umgesetzt wurde. So genannte Unités d’Habitation sind Wohngebäude, in denen nicht nur viele Menschen auf engstem Raum zusammenwohnen, sie sollen als große Einheiten zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit Kleinstädte in Häuserform sein: Neben Wohnungen befinden sich in ihnen Supermärkte, Cafés, Schwimmbäder… der Gestaltung sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Das in Deutschland berühmteste nach diesem Konzept entstandene Gebäude dürfte das Corbusierhaus im Westen Berlins sein, das 1957 als bundesrepublikanische Antwort auf die DDR-Plattenbauten errichtet wurde und bis zum heutigen Tag bewohnt ist. Gut zwanzig Jahre nach dem größten Hype um Le Corbusiers Gebäude, verarbeitete der experimentelle Science Fiction Autor James Graham Ballard diese utopischen Wohnvorstellungen in dem dystopischen Roman Der Block (1975). Und wenn wir noch einmal 40 Jahre draufpacken, sind wir im 21. Jahrhundert angekommen und bei der Verfilmung von Ballards Roman High-Rise (2015) durch Ben Wheatley (Kill List, A Field in England). Es ist unbestreitbar, dass Le Corbusier, der 1965 gestorben ist, Zeit seines Lebens viel Kritik einstecken musste. Und seine Architektur zwischen freier Gestaltung, Brutalismus und holistischem Größenwahn gilt schon lange als überholt. Also bleibt die Frage ob die Verfilmung eines 1975 geschriebenen Buches über ein 50er Jahre Bauphänomen uns überhaupt etwas neues über unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben erzählen kann. Wie zeitgemäß kann eine solche Geschichte überhaupt sein? Und wenn sie es nicht ist, besitzt sie einen davon unabhängigen Wert?

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A Field in England (2013) – Oder, die bizarre Poesie der Desertation

Ist es möglich ein Epos im kleinen Rahmen erzählen? Es ist möglich und es birgt gerade in der Verknappung gar die Möglichkeit, die Grenzen des Epos durch den Bruch zu erweitern. Ben Wheatleys im historischen Setting angesiedeltes Mysterydrama A Field in England (2013) ist der Versuch eines solchen Anti-Epos. Durch seine Skalierung ins Kleinste entzieht er sich den Konventionen seiner Genreverhaftung. Es ist ein Historical Period Drama, ein Kostümfilm, dessen Wesenskern allerdings in der Reduktion der Kostümierung liegt. Es ist darüber hinaus eine merkwürdige Art von Antikriegsfilm, weniger im herkömmlichen cineastischen Sinne, dass er den Krieg anklagt, sondern viel mehr in dem er den Krieg an die Peripherie seines engen Rahmens verbannt. Die Schlacht – in diesem Fall irgendeine Schlacht zum Zeitpunkt des englischen Bürgerkrieges im 17. Jahrhundert – findet nur als Geräusch statt, und auch nur als Kadrage der eigentlichen Filmhandlung. Der Krieg ist zu Beginn und am Ende zu hören, sobald die Protagonisten in die Handlung einsteigen, verlassen sie bereits das Schlachtfeld. Und als ihre Reise zu Ende ist, betreten sie es wieder, ohne dass das Publikum sie auf dem Weg aus der und zurück in die Realität begleiten darf. Denn in seinem Wesen ist A Field in England vor allem ein Film der Desertation und der Deserteure. Alle vier Protagonisten zu Beginn desertieren vor dem Kriegsgeschehen, im Laufe ihres Trips über das Feld desertieren sie vor der Wirklichkeit, der schließlich hinzukommende Fünfte im Bunde hat scheinbar vor langer Zeit vor der Vernunft desertiert und manch einer, wie der kauzige Friend desertiert gar vor dem Tod. Und während all dessen desertiert der Film selbst vor der Geschichte; sowohl vor dem historischen Rahmen, als auch vor seiner eigenen Narration.

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