Sechs Bücher, die unbedingt noch verfilmt werden sollten…

Sherlock Holmes, Das Bildnis des Dorian Gray, In meinem Himmel… das Kinojahr 2010 beginnt wie schon viele Jahre zuvor mit einer ganzen Reihe an Bestseller- und Klassikerverfilmungen. Das Filmgeschäft liebt seine literarischen Vorlagen, pflegt sie und verwertet sie in regelmäßigen Abständen neu. So ist Robert Downey Jr. auch nur einer von unzähligen Darstellern, die bereits in die Rolle von Sir Conan Arthur Doyles Meisterdetektiv schlüpfen durften (Peter O’Toole, Rupert Everett, Michael Caine, Basil Rathboone… um nur die bekanntesten zu nennen) . Auch Dorian Gray ist in seiner Emogothic-Version nicht die erste Adaption von Oscar Wildes Klassiker. Umso erstaunlicher scheint es, das einige Romane, Erzählungen, Dramen und sonstige Schriftstücke noch keinen Weg auf die Leinwand gefunden haben. Die Literaturlandschaft gibt doch so viel mehr her als Thomas Mann, Edgar Allen Poe und Stephen King, so viel mehr, was es wert ist, seinen Weg in die Filmpaläste zu finden. Daher an dieser Stelle eine kleine Wunschliste, eine Vorhersage von möglichen Verfilmungen diverser Schriftstücke, wie sie demnächst auf uns zukommen könnten… gelungen, misslungen, kurios oder einfach nur folgerichtig… Wie werden sie wohl aussehen?

Axolotl Roadkill (Helene Hegemann u.a.)

Die Vorlage:

Der 2010 erschienene Roman Axolotl Roadkill von Helene Hegemann wirbelte den deutschen Literaturbetrieb endlich mal wieder richtig durcheinander. Gefeiert, verlacht, belächelt und schließlich sogar für einen Skandal gut. In der Auseinandersetzung um Intertextualität, Plagiatismus und Originalität wurde nur allzu ersichtlich, dass die Geschichte hinter einem Werk manchmal interessanter ist als das Werk selbst.

Die Verfilmung:

Nachdem die Geschichte um eine verzweifelte, hedonistische, zynische Jugendliche ins Englische übersetzt wurde, wird Quentin Tarantino auf den Roman aufmerksam. Zuerst findet er die Geschichte ziemlich dröge, zu gewollt trendy und zu metaphernüberladen. Der Skandal und die Debatte um den Roman hier in Deutschland überzeugen ihn schließlich dennoch das Werk zu verfilmen. Um der Vorlage gerecht zu werden, dreht er nichts selbst, sondern schneidet den Film aus diversen Schnipseln und Ausschnitten zusammen und wühlt sich dabei quer durch die gesamte Filmgeschichte. Der mittlerweile semiberühmt gewordene Blogger Airen wiederum verfilmt seinen Roman Strobo (Die Vorlage für Hegemanns Roman) und bedient sich für diese Verfilmung einzig und allein bei Szenen aus Tarantinos Film, indem er sie neu arrangiert und zusammenschneidet. Helene Hegemann sieht beide Filme und lässt sich von ihnen zu ihrem neuen Buch „inspirieren„. Während sie dieses schreibt, meldet Tarantino bereits Interesse für die Verfilmung an…

Wenn ein Reisender in einer Winternacht (Italo Calvino)

Die Vorlage:

Italo Calvinos Roman gehört zu den bekanntesten selbstreferenziellen Werken der Postmoderne. „Du schickst dich an, den neuen Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht von Italo Calvino zu lesen. Entspanne dich. Sammle dich. Schieb jeden anderen Gedanken beiseite.“, heißt es zu Beginn des Buches. Und diese ersten Sätze sind Programm. Konsequent spricht der Erzähler den Leser selbst an. Das Buch ist durchgängig in der Du-Form geschrieben und beschreibt die Suche des Lesers nach dem Sinn des Romans und nach dem Roman selbst. Dabei stößt dieser auf zahlreiche Erzählfragmente, Romananfänge und schließlich auf eine regelrecht narrative Verschwörung. Italo Calvinos Erzählung ist die Erzählung der Erzählung selbst. Sie erzählt Erzähltes und bindet dadurch den Leser direkt in das Geschehen ein.

Die Verfilmung:

Natürlich gibt es nur eine Möglichkeit ein derart postmodernes, selbstreflexives Monstrum adäquat auf die Leinwand zu bringen. Charlie Kaufman muss her und das Thema „Roman im Roman“ zum Thema „Film im Film“ adaptieren. Als Regisseur steht ihm Spike Jonze zur Seite, der den selbstreflexiven Reigen in wunderschöne Bilder taucht. Spike Jonze spielt sich selbst und begrüßt den Zuschauer mit den Worten: „Du schickst dich an die Verfilmung von Italo Calvinos Wenn ein Reisender in einer Winternacht zu sehen.“ Die Film selbst findet durchgängig in der Ego-Perspektive statt, so dass der Zuschauer sich quasi selbst dabei beobachtet, wie er durch verschiedene Kinos auf der Suche nach dem richtigen Film irrt. Einen kurzen Gastauftritt gibt es von Nicolas Cage als Italo Calvino, der in einem improvisierten  20minütigen Monolog darüber herzieht, dass die Verfilmung seiner Vorlage nicht gerecht wird. Erwartungsgemäß floppt das dreistündige Experiment in den USA und gelangt nur als direct-to-DVD-Version nach Deutschland. Aber die Kritiker finden in ihm einen neuen Lieblingsfilm für das aktuelle Kinojahrzehnt.

Illuminatus (Robert A. Wilson / Robert Shea)

Die Vorlage:

Robert Sheas und Robert Anton Wilsons Trilogie Illuminatus ist eine Tour de Force, ein Höllenritt durch fünftausendjahre Kulturgeschichte, Politik, Pop und Verschwörungen. Eine handvoll skurriler Personen, allen voran der anarchistische U-Boot-Kapitän Hagbar Celine decken die größte Verschwörungs der Menschheitsgeschichte auf. Der Leser erfährt die Wahrheit über Atlantis, ebenso wie die über die getürkte Mondlandung und den Mord an John F. Kennedy. Es gibt unzählige Drogen, surreale Trips, Sex mit Äpfeln, Nazi-Zombies, Revolutionen, anarchistische Theorien und einen höchst gefährlichen Geheimbund, der die Erde und die Menschheit vernichten will. Illuminatus ist eine anarchische, unberechenbare Mischung aus Politthriller, Satire, Science Fiction und popkultureller Referenzflut.

Die Verfilmung…

… kommt leider nicht zu Stande. Terry Gilliam bekommt 2011 überraschend den Auftrag, das Kultbuch als Trilogie für die Leinwand umzusetzen. Fünf Drehjahre und ein aberwitziges Budget (das selbst Avatar übertrifft) später, hat der eigensinnige Regisseur immer noch nur fragmentarische Szenen zu bieten: Eine komplette einstündige Umsetzung der Atlantis-Episode, einige epische Massenszenen und viele viele unsortierte Einstellungen, in denen die Hauptdarsteller (Philip Seymour Hoffman, Al Pacino und Paris Hilton) beim Kiffen und ungestellten Korpulieren zu sehen sind. Das Filmstudio bricht das Projekt frustriert ab, Gilliam schneidet das vorhandene Material zu einer  fünfstündigen Dokumentation („Lost in Illuminatus“) zusammen. Im Internet kursieren Gerüchte, ob der Film einer Verschwörung der Illuminaten zum Opfer gefallen sei, die die Wahrheit nicht auf der großen Leinwand sehen wollten.

Tief unten (Joris-Karl Huysmans)

Die Vorlage:

Die Werke Huysmans zählen mittlerweile zur Speerspitze der Decadence und des Fin de Siecles am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Im 1890 geschriebenen „Tief unten“ erzählt der französische Romancier die Geschichte des Autoren Durtal, der durch Nachforschungen über Gilles de Rais an eine satanistische Sekte gerät und fortan deren Treiben beiwohnt. „Tief unten“ ist ein düsteres, apokalyptisches Werk über unheimliche Subkulturen und die Macht der Verführung, der Triebe und des Glaubens.

Die Verfilmung:

Nachdem eine Drehbuchversion abgelehnt wird, die den Roman als französischen Splatterfilm im Stile Insides verfilmen will, nimmt sich Michael Haneke dem Thema an. Um der Vorlage gerecht zu werden, recherchiert er akribisch zum Thema Satanismus im ausgehenden 19. Jahrhundert und inszeniert seine Version von „Tief unten“ schließlich als düsteres Sittengemälde der damaligen Zeit und Gesellschaft. In grobkörnigen Schwarzweißaufnahmen, die an die Anfänge des Kinos erinnern, handelt der Stummfilm den Zwiespalt zwischen moderner Politik, moderner Kunst und traditionellem Glauben aus. Der Film gewinnt im Jahr 2015 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film, den sowohl die Schweiz als auch Frankreich als auch Deutschland jeweils für sich beanspruchen.

Der Verlust (Siegfried Lenz)

Die Vorlage:

In seiner einfühlsamen, zurückhaltenden Novelle „Der Verlust“ erzählt Siegfried Lenz von einem Schlaganfall und der folgenden Aphasie, der der Protagonist ausgesetzt ist. Auf einfühlsame Weise zeigt er, wie der Verlust der Sprache einen Menschen ins gesellschaftliche Abseits bringt, lässt aber zugleich einen breiten Raum für Optimismus, indem er die Liebe und das Mitgefühl über die körperliche Beeinträchtigung triumphieren lässt

Die Verfilmung:

Tom Tykwer bringt den schwierigen Stoff höchst sensibel auf die Leinwand. Ähnlich wie bei dem französischen Film „Schmetterling und Taucherglocke“ wird der Zuschauer permanent mit der Hilflosigkeit des Protagonisten konfrontiert, ohne dass diese theatralisch ausgeschlachtet wird. Dabei gelingen Kameramann Frank Griebe bedrückende und beeindruckende Bilder, die das Drama authentisch und empathisch werden lassen. Die Hauptrolle spielt Moritz Bleibtreu, der beweisen darf, dass er ein hervorragender (und viel zu oft unterschätzter) Schauspieler ist. Die Kritiker sind sich jedenfalls einig, dass es sich bei „Der Verlust“ um einen der besten deutschen Filme, der jüngsten Zeit handelt. Leider bleibt es nur bei einer Oscarnominierung für den besten fremdsprachigen Film, da Hanekes „Tief Unten“ im selben Jahr die Nase vorn hat. Dafür räumt Tykwers Meisterwerk bei den tatsächlich relevanten Wettbewerben in Berlin und Cannes kräftig ab.

Der Koran (Überlieferung)

Die Vorlage:

Die heilige Schrift des Islam gehört zu den großen Klassikern nicht nur der Literatur- sondern auch der Religions- und Kulturgeschichte. Das Wort Gottes in arabischer Sprache besteht aus zahllosen Suren, Gebeten, Geboten und Verboten und Geschichten, die von der Offenbarung und vom Glauben handeln. Mit seinem biblischen Alter von fast 1400 Jahren ist es nicht nur das einflussreichste sondern auch älteste Werk in dieser Liste.

Die Verfilmung:

Nachdem drei potentielle Mohammed-Darsteller einem Selbstmordattentat zum Opfer gefallen sind, entschließt sich das Filmstudio zu einem radikalen Schritt. Der Prophet wird von niemandem dargestellt, stattdessen ist er nur als Stimme neben oder hinter der Kamera zu hören. Regisseur James Cameron kommt dies entgegen, muss er sich so doch um einen Schauspieler weniger Gedanken machen. Gedreht wird der Big-Budget-Streifen in der Wüste Afghanistans sowie in einem Studio in Beverly Hills, in dem der Bluescreen für alle Massen- und Kampfszenen überstrapaziert wird. Camerons Vorschlag Gott durch ein Motion-Capture-Verfahren von Mel Gibson verkörpern zu lassen, scheitert an den Protesten fundamentaler Christen in den USA. Schließlich einigt man sich darauf den Schöpfer als brennenden Dornenbusch im Stile des Klassikers „Die zehn Gebote“ zu zeigen. Gesprochen wird er in diesen Szenen von Charlton Heston. Der Film wird dank eines cleveren Marketingkonzeptes ein Hit an den US-Kinokassen. Auch in der islamischen Welt wird er wohlwollend aufgenommen.  Ekmeleddin İhsanoğlu, Generalsekretär der islamischen Konferenz, bezeichnet ihn gar als großes Handreichen des Westens in Richtung des Islam. Im Iran dreht das dortige Regime eine Gegenproduktion für hunderttausend Rial, die in den Teheraner Kinos jedoch durch das US-Pendant ausgestochen wird. Für einen Eklat sorgt James Cameron bei der Oscarverleihung als er bei der Entgegennahme des Awards im euphorischen Überschwang ruft: „I am the founder of a new islam!“.

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