90er vs. 00er – Battle of the Kinojahrzehnts VI: Historienfilme, Epen, Western und Kriegsfilme

Das letzte Duell bevor wir mit der zweiten Hälfte der 90er Retrospektive durchstarten. Und dieses Mal wird es richtig episch: Historisches, Elegisches, Weites und Fernes. Wie schlagen sich die Jahrzehnte in der Aufarbeitung großer Stoffe? Welches Jahrzehnt ist akkurater, welches epischer?

Western

Auch wenn die 00er im Gegensatz zu den 90ern keinen eigenen Artikel spendiert bekommen haben, gab es einiges Erfreuliches für Genrefreunde in  diesem Jahrzehnt.  Hier taten sich vor allem die ruhigen, kargen Spätwestern hervor, die wie impressionistische Gemälde mit langen, ruhigen Landschaftsaufnahmen innere Seelenzustände zeichneten. Der epische „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“, das prämoderne große amerikanische Drama „There will be Blood“, der im postmodernen Amerika angesiedelte Anti-Western „No Country for old men“… Die 00er geizten nicht mit Genredekonstruktionen und Neuinterpretationen. Aber auch die 90er sind dies betreffend ganz weit vorne. Der eiskalte Spätwestern Erbarmungslos, der pathetische und zugleich realistische Kassenschlager „Der mit dem Wolf tanzt“ und die kryptische Todesparabel „Dead Man“ markieren außergewöhnliche Genreinterpretationen, die beweisen, dass der amerikanische Western keinesfalls zwischen John Wayne und Sergio Leone stagnieren muss. Daneben stehen die „klassischeren“ Western wie der raubeinige Todeszug nach Yuma der 00er und der brutale Tombstone für die 90er Jahre. Dank zahlreicher Ideen, Facetten und dramaturgischen Ausprägungen ist das Genre hier wie dort quicklebendig und daher gibt es auch verdientermaßen für jedes Jahrzehnt einen Punkt. Es bleibt bei der Zweipunkteführung für die 00er Jahre:

7 : 9

Die 90er Jahre: Die besten Western des Jahrzehnts

Epen und Historienfilme

Episches außerhalb historischer Dimensionen haben die 90er praktisch nicht zu bieten… Wenn Größe aufgefahren wurde, dann auch gleich im historischen Rahmen und die Filme, die sich außerhalb dieses Korsetts bewegten sind nicht weiter nennenswert. Anders die 00er Jahre: Dank der Renaissance des Wuxia-Films bietet das 21. Jahrhundert gleich eine ganze Hand voll epischer und elegischer Werke, die sich nicht um historische Exaktheit zu kümmern brauchen: Hero, Tiger & Dragon, House of the flying Daggers… Die Wiederbelebung des großen, fantastischen Martial Arts war ein wahrer Segen für bildverliebte Cineasten. Während die 00er Jahre was Bildgewalt betrifft ganz vorne liegen, punkten die 90er mit historisch genauen Werken und realistischen Bestandsaufnahmen. Die akuraten Monarchenporträts „Ihre Majestät Mrs. Brown“ und Elizabeth, der erschütternde Blutrausch und Kostümfilm „Die Bartholomäusnacht“ das Holywood-Melodram Amistad; die 90er verstanden es, der Geschichte eine Form, einen Inhalt und Sinn zu geben. Diesbezüglich bleiben die 00er eher blass, zumindest, was alles vor dem 20. Jahrhundert betrifft. Anstatt universelle Motiven aus weit zurückliegenden Epochen aufzufahren, arbeiteten sie sich lieber am 20. Jahrhundert ab, mal bemüht realistisch wie in den Eichingerproduktionen „Der Untergang“ oder „Der Baader Meinhof Komplex“, dann wieder bewusst abstrakt und parabolisch wie in dem herausragenden „Das weiße Band“ oder gleich comichaft überzeichnet wie in Quentin Tarantinos irrwitziger Popfarce „Inglourious Basterds“. Stark waren auch hier wiederum beide Jahrzehnte. Und auch wenn es ein wenig feige wirken mag, will ich mich an dieser Stelle ebenfalls für keines der beiden entscheiden. Wieder ein kleiner Punkteregen. Die 90er für ihre akribischen, kostümierten und bildverliebten – nichts destotrotz – realitsischen historischen Aufarbeitungen zwischen Hollywood und universeller Parabolisierung. Die 00er für ihre ungewöhnlichen historischen Parabeln und vor allem für ihre großen Epen durch die Renaissance des Wuxia-Kinos. Ein Punkt für jedes Jahrzehnt. Und es bleibt weiterhin bei der Zwei-Punkte-Führung des 21. Jahrhunderts.

8 : 10

Die 90er Jahre: Die besten Epen und Historienfilme des Jahrzehnts

Die 00er Jahre: Die besten Epen und Historienfilme des Jahrzehnts

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Kriegsfilme

Kommen wir zum letzten großen historischen Genre: Kriegsfilme. Hier erlebten die 90er eine wahrhafte Genreneuintrepretation. Während die Antikriegsfilme der 70er und 80er Jahre, die sich vornehmlich mit Vietnam auseinandersetzten, vor allem individuelle Schicksale angesichts verheerender Kriege thematisierten, fand in den 90ern eine Neustilisierung des namenlosen Sterbens statt: Am eindrucksvollsten und erschütterndsten wahrscheinlich tatsächlich in der Eröffnungssequenz von Saving Private Ryan, der darüber hinaus allerdings doch stereotypen Heldenmotiven verfiel. Auf gesamter Filmlänge gelang die Kontrastierung von Einzelschicksal und massenhaften Sterben anderen Werken besser: Sowohl Stalingrad als auch Der schmale Grat taugen hier als Referenzwerke, deren faszinierende Darstellung der Selbstauflösung des Individuums in Zeiten des Krieges Maßstäbe für das Genre setzte. Vor allem die Inszenierung der Gewalt ist in den 90er Kriegsfilmen mitunter beispiellos. Kein Wunder also, dass diese auch zahllose 00er Filmen – die vor allem dem Soldaten James Ryan nacheiferten – versuchten, neue, naturalistische Maßstäbe zu setzen und dabei direkt an den ästehtischen Mitteln 90ern ansetzten. Aber ähnlich wie Spielbergs Beitrag verfielen auch diese allzu sehr einem lahmen Schlachtenpathos, der trotz naturalistischer Kampfszenen nicht die Schrecken des Krieges einfangen konnte und in den schlimmsten Fällen gar eine eskapistische, voyeuristische Begeisterung an der Kriegsaction produzierte: Bigelows „The Hurt Locker“ als Actionfilm in Kriegskulisse, der unreflektierte Gewalttrip „Black Hawk Down“ von Ridley Scott, das Afrikaabenteuer „Blood Diamond“… allzu oft diente der Krieg nur als Hintergrund für reißerische Actioneers oder spannende Dramen, die sich zu dessen Sinnlosigkeit oberflächlich oder im schlimmsten Fall vollkommen unreflektiert verhielten. Ausnahmen bilden der dreckige Jarhead und die erschütternde Dokumentation „Cry Freetown“. Darüber hinaus konnte das letzte Jahrzehnt wengie Genreimpulse setzen und verharrte viel zu oft in 90er Jahre Epigonie. Der Punkt geht an die 90er Jahre, die somit verkürzen:

9 : 10

Die 90er Jahre: Die besten Kriegsfilme des Jahrzehnts

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Zwischenstand nach 17 Runden: Mit einem hauchdünnen Vorsprung geht es in die Halbzeitpause. Das Duell werden die kommenden Genres entscheiden müssen. Zuvor werden wir uns aber wieder nur den 90ern widmen. Bis dahin bleiben die 00er Herbstmeister:

10 – 9 für das Kino der 00er Jahre

Erstveröffentlichung 2011