3D-Kino – Zukunft oder Eintagsfliege? – Ein Kommentar in zwei Teilen

Zu den Problemen des 3D-Effekts beim Blockbuster Avatar habe ich mich ja bereits in der Rezension zu dem Kassenmagneten geäußert. Ein Artikel von Oliver Lysiak bei Moviepilot unter dem Titel „3D nervt!“ hat mich nun dazu inspiriert, dem letzten cineastischen Schrei einen eigenen Kommentar zu widmen. Dabei versuche ich mich was Polemik betrifft – im Rahmen des Möglichen – weitestgehend zurückzuhalten. Ich selbst bin alles andere als ein Freund des derzeitigen Real-D und Fake-D Trends, will diesen Artikel aber dennoch so objektiv wie möglich halten. Es geht hier weder um eine Verfluchung noch eine enthusiastische Abfeierung der neuen Möglichkeiten. Der Blick soll sowohl Apologien als auch Kritiken zu Wort kommen lassen, gerade weil beide Fronten mitunter so verhärtet scheinen, dass eine sachliche Diskussion alles andere als einfach ist. Genau diesen Fronten werde ich mich im ersten Teil widmen. Wie sind ihre Argumente? Sind diese haltbar? Ist der Graben zwischen ihnen wirklich so tief? Von dieser Basis aus werde ich mich langsam durch das Thema schlängeln, vorbei an einer Beobachtung des Effekts als solchenbis hin zu einer utopischen, optimistischen Prognose darüber, was 3D in Zukunft alles leisten könnte.

Befürworter und Gegner:

3D als Möglichkeit das Kino von lang anhaltenden Fesseln zu befreien, oder 3D als albernes Gimmick, das nicht mehr als zwei Kinosommer überleben wird? Die Gräben scheinen tief zu sein, die Fronten verhärtet. Die einen loben das neue berauschende, visuelle Erlebnis, die anderen empören sich über den Mangel an Substanz, den der 3D-Effekt bietet. Der Disput dreht sich selbstverständlich um die essentielle Frage, ob 3D zum Mehrwert des cineastischen Erlebnisses beitragen kann. Die Befürworter werden von den Gegnern als technikverliebte Freaks verspottet, während diese wiederum den Konservatismus der 3D-Verächter anprangern. Der zweite Vorwurf macht im filmhistorischen Blick durchaus Sinn. Man erinnere sich nur an die vehemente Ablehnung des Tonfilms, wie er in diesem „putzigen“ Plakat aus den 20er Jahren überdeutlich zum Ausdruck kommt.

Ja, wenn neue filmische Ausdrucksmittel den Markt erreichen, gibt es sie tatsächlich: Die Bastion der konservativen Kinogänger, die in den neuen Möglichkeiten eine Gefährdung ihrer lange gepflegten Sehgewohnheiten sehen. Dann huscht einem 3D-Gegner gerne auch mal der larmoyante Verweis über die Lippen, dass früher ohnehin alles besser war, dass neue Hollywood-Filme herz- und seelenlos sind. Man erinnert sich mit Wohlwollen an frühere Blockbuster, man trauert der Zeit hinterher, als Special Effekts noch aufwendig produziert wurden, als CGI Zukunftsmusik war und als Schauspieler noch in reellen Sets und nicht vor irgendwelchen Bluescreens standen. Der Konservatismus ist in diesem Fall ein fast schon stereotypischer Abwehrmechanismus eines Bildungsbürgertums, das um die kulturelle Deutungshoheit bangt… übrigens nicht nur im Kinobereich zu beobachten sondern durchgängig in allen medialen Sparten – durch die gesamte Kulturgeschichte. Egal ob die Ablehnung des wagnerianischen Rezitativen, die Ablehnung der rhythmisierten Jazzmusik, die Ablehnung des irrationalen Blicks auf die Wirklichkeit, wie er von den Expressionisten getätigt wurde oder die Ablehnung des Aufbrechens der vierten Wand im Brechtschen Theater. Dem Kulturrezipienten macht das Neue immer Angst, es stellt den eigenen Kanon in Frage, ebenso wie grundsätzlich kulturell tradierte Güter. Es konfrontiert mit neuen Sichtweisen auf das Medium und in seinem Versprechen nach Verbesserung, Perfektionierung und Erweiterung scheint auch immer die Destruktion des kulturellen Erbes zu stecken.

Daher gelten den Kritikern die Befürworter der neuen Technik dann gerne auch als High-Tech-verliebte Nerds ohne Sinn für Filmgeschichte, ohne Ahnung von den narrativen Talenten eines Kurosawa, Godard oder Welles. Und auch in diesem Vorwurf steckt ein Funken Wahrheit: Die 3D-Enthusiasten stellen eine cineastische Generation dar, die im Zeitgeist lebt, die neue Techniken und visuelle Verfahren ausprobiert und sich dabei tatsächlich großteils wenig um die veralteten, langatmigen und kameratechnisch lahmen vorangegangenen Generationen kümmert. Techniken wie Jump Cuts, das Spiel mit den Achsen, mit der Schärfe werden als selbstverständlich hingenommen. Die filmischen Vorbilder taugen höchstens noch als historische Lehrstunde… aber Unterhaltung, filmischer Genuss und cineastische Kunst sähe heute nun mal anders aus. Dieser gegen den Konservatismus gerichtete – durchaus verständliche – Abwehrmechanismus gegenüber cineatsischem Traditionalismus hat auch seine Berechtigung. Nur durch die Infragestellung des Tradierten sind neue Wege möglich. Das verstanden die Autoren der Nouvelle Vague ebenso wie die Initiatoren des New Hollywood. Die Expressionisten ebenso wie die Surrealisten und die CGI-Etablierer, die grauenhafte unauthentische Stop-Motion-Techniken in die Geschichtsbücher des Kinos verbannten. Die cineastische Kultur braucht den Fortschritt, braucht die Revolution und braucht auch neue Wege. Bleibt natürlich die Frage: Ist 3D, Real-D, etc… solch ein potentieller neuer Weg? Eine mögliche cineastische Revolution? Eine Bewegung mit Nachhaltigkeit?

Die bisherigen Filme:

Um diese Frage zu beantworten, liegt ein Blick auf die derzeitige 3D-Filmlandschaft nahe. An erster Stelle steht natürlich Avatar, der den Hype erst richtig losbrechen ließ. Die Alice-Interpretation von Tim Burton profitierte auch gewaltig von dem Trend. Kampf der Titanen wurde als schwacher Mitschwimmer belächelt und harsch kritisiert. Dann gab es da noch Coraline, Final Destination 4, My bloody Valentine 3D… auffällig ist, dass das Verfahren vor allem entweder bei potentiellen Blockbustern, bei Big Budget Projekten zum Einsatz kommt, als Gimmick bei Horror-Filmen der Generation „Scream“ oder bei bildverliebten Computeranimationsfilmen. Unabhängig von der Qualität dieser Werke scheint 3D offensichtlich vollkommen auf den visuellen Mehrwert ohnehin primär visueller Filme abzuzielen. Die derzeitigen 3D-Vorreiter sind Filme, die auch ohne den Effekt mit ihrer Bildgewalt protzen und die Narration unter den Scheffel der visuellen Kraft stellen. Hierbei dürfte durchaus auf die Gefahr verwiesen werden, dass sich daraus ein fragwürdiger Trend entwickeln könnte: Ein sich sukzessive zuspitzender Verzicht auf Dramaturgie, narrative Logik und inhaltliche Substanz zu Gunsten der wunderschönen, atemberaubenden Bilder. Dürfte… wenn dies im Blockbusterkino nicht ohnehin schon lange Gang und Gebe wäre. Und das nicht erst seit 20 Jahren: Die zehn Gebote, Ben Hur, Star Wars, Indiana Jones, Jurassic Park, Titanic… große Traumfabrik-Blockbuster protzen seit jeher mit ihren visuellen Stärken und ignorieren dabei gerne mal die formale Logik, interessante Charakterentwicklungen und hintergründige Subtexte.

Als Pauschalurteil funktioniert eine derartige Feststellung selbstverständlich nicht: Es gibt mehr als genügend Big-Butget-High-Visual-Blockbuster, deren Substanz außerordentlich stark ist: Die religiösen Subtexte in Star Wars und Matrix, die historische Akribie eines Titanic, die politische Brisanz eines Wall Street…große Hollywoodproduktionen, bildgewaltige Werke können durchaus auch mit gehobenen narrativen, dramaturgischen und hermeneutischen Mitteln glänzen. Und das gilt für alle Jahrzehnte. In den 70ern gab es nicht mehr klügere Blockbuster als in den 80ern, 90ern und 00ern. Die Gefahr eines Überschusses an reinen Bildschauen war bei jeder neuen visuellen Technik, bei jeder neuen technischen Möglichkeit gegeben… und das ist bei 3D erst einmal nicht mehr der Fall als beim Tonfilm, bei der Stop-Motion- oder der CGI-Technik. Dabei lässt sich auch eine historische Analogie auf Produktionsseite feststellen, sich erst einmal an der neuen Technik auszuprobieren und entsprechend das Spiel mit dieser in den Vordergrund des Films zu stellen: Die animierten Dinosaurier bei Jurassic Park, die ausufernden epischen Bilder bei Ben Hur oder eben auch der 3D-verliebte Landschaftsoverkill in Avatar. Befindet sich eine neue Technik, ein neues filmtechnisches Spielzeug in seiner Etablierungsphase, versuchen die Macher damit alle Register zu ziehen, was zwangsläufig zu Lasten der Geschichte und der filmischen Handlung geht. Die Verfechter der neuen Systeme wissen selbst noch nicht so genau, wie sie diese einsetzen können, sehr wohl aber, dass sie dies exzessiv und im großen Stil machen möchten. Heraus kommen dann eben genau jene breitbeinigen Bilderwelten ohne Substanz, die von den Nerds und Apologeten der neuen Technik gefeiert und von alt eingesessenen Kritikern eher belächelt werden. Dann heißt es erst einmal Geduld wahren und darauf warten, bis die ersten kreativen Köpfe nach vorne brechen, die die neuen Möglichkeiten sinnvoll in den Dienst des Films stellen und nicht umgekehrt. So gesehen sind die derzeitigen den Markt überflutenden 3D-Produktionen technische Spielplätze, die das Medium zum Ausreizen des neuen Effektes – nunja – missbrauchen.

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