Die besten Horrorfilme der 70er Jahre IX

Bei einem groben Blick auf die besten Horrorfilme der 70er Jahre könnte einen der Verdacht erschleichen, dass in dieser Dekade alles Genrerevolution, Genreevolution und Genresubversion war. Das ist natürlich nicht der Fall: Auch wenn damals mit dem Slasherfilm, dem Terrorkino, den spirituellen übernatürlichen Gruslern und den Zombieendzeitfilmen viele neue Subgenres das Licht der Welt erblickten, auch wenn viele traditionelle Horrortropes so langsam Filmgeschichte wurden, so gab es in den 70er Jahren doch einige Traditionslinien die fortgeführt wurden. Viele der daraus entstandenen Horrorfilme sind einfach zu schnarchig, zu sehr Schema F, um einen Platz in den Bestenlisten zu finden, aber ein paar der alten Säcke sind doch überraschend stark ausgefallen. Diesen soll in der aktuellen Retrospektive ein kleines Denkmal gesetzt werden. Zu den filmischen Traditionalisten gehören natürlich ohne Frage die Hammerstudios, die mit Dr. Jekyll und Sister Hyde ein unerwartetes Highlight abliefern. Ebenfalls sehr klassisch fällt Das Schreckenskabinett des Dr. Phibes aus, der Gothic Horror und Killerfabel zu wunderbar altmodischem Murder Mystery Grusel verbindet. Geschichten aus der Gruft wiederum greift weit zurück auf die gleichnamigen EC Comics der 50er Jahre. Und Landhaus der toten Seelen schließlich erzählt mit einer Spukhausgeschichte einen Topos, der damals auch eher zum alten Eisen zu gehören schien. Alle zusammen beweisen, dass der Zeitgeist nicht immer überholt werden muss, um große Kunst zu schaffen…

Das Schreckenskabinett des Dr. Phibes [Robert Fuest]

(Großbritannien 1971)

Vincent Price! Muss eigentlich viel mehr gesagt werden? Allein seine Präsenz rettet jeden schwachen oder mittelmäßigen Film. Auch wenn er als The Abominable Dr. Phibes in der starren Gesichtsmaske wieder einmal glänzt, hat es dieser Film nicht nötig, von seinem herausragenden Bösewicht gerettet zu werden. Auch ohne Price hat diese fantastische Mördergeschichte eine Menge zu bieten: Kreative, im wahrsten Sinne des Wortes biblische Mordszenen, eine fantastische Atmosphäre zwischen Gothic Horror und modernem Ermittlungsthriller, hervorragendes Pacing inklusive kräftigem Augenzwinkern und im Finale sogar eine groteske Horror-Herausforderung, die mit jedem Foltersetup der Saw-Reihe den Boden aufwischt. Aber ja, natürlich, man kann nicht über diesen Film reden, ohne über Vincent Price zu reden: Als monströser Oberbösewicht mit starrer Gesichtsmaske gelingt es Price ohne die Lippen und Gesichtsmuskeln zu bewegen, eine unfassbar intensive Präsenz auszustrahlen. Er ist Wahnsinniger und Geplagter, verspielter Schurke und grausamer Mörder. In den wenigen Momenten, in denen er auftaucht, dominiert er die Szenerie und macht aus dem ohnehin schon gelungenen, klassischen Grusler mit Giallo-Vibes ein einmaliges Horrorerlebnis der alten Schule.

Geschichten aus der Gruft [Freddie Francis]

(Großbritannien 1971)

Sind Anthologiefilme nicht etwas Wunderbares? Selbst wenn eine Episode nicht so stark ist, gibt es noch genug andere Geschichten, die das herausreißen können. In Tales from the Crypt sind es insgesamt fünf an der Zahl, zusammengehalten durch eine Rahmenhandlung, die im Gegensatz zu anderen Anthologiefilmen aus dem Horrorbereich tatsächlich Sinn ergibt und zumindest ein bisschen mehr ist als bloß draufgestülpter Prolog und Epilog. In den einzelnen Episoden selbst gibt es Gott sei Dank auch keine richtige Achillesferse. Alle fünf Geschichten bieten eine herausragende Mischung aus gediegenem Grusel, pulpigem Shock Value und gehässigem, schwarzen Humor. Einige bestechen eher auf der emotionalen Ebene (Poetic Justice, Wish You Were Here), andere mit bösem Witz (Blind Alley, …And All Through the House) oder einfach nur purem Horror (Reflection of Death). Erstaunlich ist es, wie wirkungsvoll diese einzelnen Elemente auch heute noch sind: Die Jump Scares sind verdammt effektiv, die wohl dosierten Ekeleffekte können auch heute noch einen Schauer über den Rücken des Publikums jagen, und die satirischen Momente sind nicht nur zum Schreien komisch, sondern auch zum Schreien beängstigend. Ja, selbst das menschliche Drama kommt nicht zu kurz, und so skurril der Rahmen auch sein mag, man erwischt sich oft genug dabei, mit einzelnen Protagonisten und Protagonistinnen mitzufiebern und mitzuleiden. Die Verfilmung des gleichnamigen EC Comics war ein solcher Erfolg, dass schließlich in den 80ern eine ganze Serie mit dem Konzept produziert wurde.

Landhaus der toten Seelen [Dan Curtis]

(USA 1976)

Spukhäuser waren Mitte der 70er Jahre alles andere als ein angesagtes Gruselthema. Das übernatürliche Horrorkino schien mit seinen Rosmerary Babys, seinen Exorzisten und seinen trauernden Gondeln weitergezogen zu sein. Alte knarrende Dielen, quietschende Türen und Gespenster die über dem Bett schweben, schienen nicht mehr zeitgemäß zu sein, ein Relikt der 50er und 60er Jahre. Auch das Landhaus der toten Seelen, Burnt Offerings (so der Originaltitel), wird an diesem Eindruck nichts ändern. Aber gruseln kann er, und zwar verdammt gut. In der Tat gibt er sich auch sichtlich müde, neue Pfade in dem ausgespielten Genre zu betreten. Der Schrecken liegt hier weniger in geisterhaften, abstrakten Erscheinungen als viel mehr im Wahnsinn, den das Spukhaus auf seine neuen Bewohner loslässt. Dieser wird in eindringlichen, mal gesättigten, mal verwaschenen Bildern inszeniert und sorgt für ein permanentes Gefühl der Angst und Beklemmung. Dabei findet das Landhaus der toten Seelen genau die richtige Mischung aus traditioneller Gediegenheit und modernen Brüchen mit dem Thema. Insbesondere das Eigenleben des unheimlichen Hauses wird hervorragend eingefangen, ohne dass man das Gefühl hat, hier auf allzu bekanntes zu stoßen. Und gerade wegen dieser Gediegenheit hauen die lauten, hysterischen, kreischenden Momente umso stärker rein, brechen für einen kurzen Moment den eleganten Erzählfluss auf, um ein perplexes, geschocktes Publikum zurückzulassen. Die Dosis macht hier das Gift; in diesem Fall ein perfekt gewähltes, sorgsam abgewogenes Gift, von dem man sich nur allzu gern berauschen lässt.

Dr. Jekyll und Sister Hyde [Roy Ward Baker]

(Großbritannien 1971)

Ach, Hammer Studios! Ihr ward mal die Größten. Aber egal wie viel Gewalt, Blut und nackte Haut, eine traditionelle Horrorgeschichte lässt sich auch nicht unendlich oft erzählen, ohne langweilig zu werden. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet die drölftausendste Dr. Jekyll und Mister Hyde Verfilmung zu den besten Hammer-Werken der 70er Jahre gehört. Das liegt daran, dass Hammer (trotz des Gender Swaps) nicht versucht, sich an das US-Horrorkino der 70er Jahre anzubiedern: Keine modische Exploitation, keine Überziehung der Gewaltspirale, keine Anlehnung an Pulp und Trash. Stattdessen erleben wir hier eine sehr verspielte Umsetzung von Robert Louis Stevensons Gruselroman aus dem Jahr 1886, in der dessen Schauergeschichte mit den Morden Jack the Rippers sowie dem Thema Geschlechtlichkeit und Identität verknüpft wird. Es muss wohl nicht extra erwähnt werden, dass Dr. Jekyll und Sister Hyde kein feministisches Manifest geworden ist, aber auch von Misogynie und Sexismus ist Roy Ward Bakers Werk überraschend weit entfernt. Das liegt daran, dass es den männlichen Protagonisten durch den Gender Swap nicht freispricht und Sister Hyde nicht als eindimensionale Femme Fatale inszeniert. Stattdessen balanciert er geschickt zwischen Grusel, Thriller und handfestem Horror, eben genau jene Rezeptur, für die Hammer in den 60er Jahren so ikonisch und wegweisend war. Auch wenn das in den 70ern verloren gegangen ist, erleben wir es hier noch einmal in all dem wundervollen, charmanten Glanz, den die Produktionsschmiede auszeichnet.

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