Kategorie: Filmrezensionen

I’m Thinking of Ending Things (2020) – Experimenteller Egotrip, bewegende Seelenschau, surreales Meisterwerk

Just tell your story. Pretty much all memory is fiction and heavily edited. So just keep going. Es gibt ja durchaus so manche Künstler, denen man gerne mal in den Kopf steigen würde, so wie es in Spike Jonzes Being John Malkovich (1999) möglich ist. Der Drehbuchautor und Regisseur Charlie Kaufman gehört nicht dazu. Das liegt nicht daran, dass sein Inneres uninteressant wäre, ganz im Gegenteil, der Grund dafür ist viel mehr, dass wir regelmäßig einen erstaunlich transparenten Blick in seinen komplexen wie merkwürdigen Verstand erhalten… jedes Mal wenn der gute Mann einen neuen Film veröffentlicht. In Adaption (2002) machte er das noch offensichtlich, indem er sich einfach selbst in den Film hineinschrieb, der eigentlich eine Verfilmung des Romans The Orchid Thief sein sollte. In seinem überragenden Regiedebüt Synecdoche New York (2008) ließ er dann alle Hüllen fallen und generierte ein ebenso episches wie introspektives Drama über Leben und Leid des Künstlers (sich selbst?), und in Anomalisa (2015) entwarf er schließlich die Pathologie einer (seiner?) schizoiden Persönlichkeitsstörung unter der Camouflage einer surrealen Liebesgeschichte. Und auch seinen jüngsten Film – I’m Thinking of Ending Things (2020) – lässt er je nach persönlichem Empfinden zum Egotrip beziehungsweise zur eigenen, eigenartigen Seelenreise mutieren… und dass obwohl dieser zumindest zu Beginn überhaupt nicht danach aussieht.

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I Don’t Feel at Home in This World Anymore (2017) – Coens in XX

Die Krankenpflegerin Ruth Kimke (Melanie Lynskey) fühlt sich in dieser Welt nicht mehr zu Hause. Zurecht. Ist sie doch alltäglich konfrontiert mit der Rücksichtslosigkeit, dem Egoismus und der Aggression ihrer Mitmenschen. Und dann wird auch noch bei ihr eingebrochen und ihr Laptop sowie das geliebte Silberbesteck ihrer Großmutter gestohlen. Die Polizei scheint sich wenig um Ruths Verlust zu kümmern und so begibt sie sich selbst auf die Spurensuche nach den Dieben. Unterstützt wird sie dabei von ihrem exzentrischen Nachbarn Tony (Elijah Wood) und schon schnell kommen die beiden den mutmaßlichen Einbrechern auf die Schliche. Sie ahnen jedoch nicht, mit welch brutalem Schlag Mensch sie sich damit anlegen.

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Vivarium (2019) und der Horror der Vorstadt

Wenn es nach dem US-amerikanischen Kino geht, sind die Suburbs der Ort, an dem Träume wie Menschen sterben. Ein ganzes Subgenre des Horrorkinos der 80er Jahre – der Slasher-Film – lebte davon, dass sich anonyme Serienkiller in den hübschen Vorgärten verstecken konnten, um nachts die ebenso hübschen wie gleichgeschalteten Häuser heimzusuchen. Regisseure wie Sam Mendes nutzten den Mief des vermeintlich glücklichen Ortes, um große menschliche Tragödien zu erzählen, von American Beauty bis Zeiten des Aufruhrs. Und Spike Jonze und Arcade Fire erklärten in ihrem Kurzfilm Scenes from the Suburbs (2011) die ganze Ortschaft gleich zum Bürgerkriegsgebiet. Die Leinwand hat nur selten ein gutes Haar an den amerikanischen residential areas gelassen. Allenfalls in Serien wie Wunderbare Jahre werden sie ein wenig verklärt, aber selbst da nicht ohne Problematisierung und Politisierung. Es liegt ja auch irgendwie auf der Hand, den Schrecken dieser Orte hervorzukehren, die sich im kulturellen Gedächtnis irgendwo zwischen Traum (für die, die es nie dorthin schaffen) und Alptraum (für die, die dort gefangen sind) eingebrannt haben. Der irische Filmemacher Lorcan Finnegan geht in seinem Mysterythriller Vivarium (2019) noch einen Schritt weiter. In seiner Vision verwandeln sich die suburbs vom symbolischen ins wortwörtliche Gefängnis, und der Schrecken verbirgt sich nicht hinter den Fassaden, sondern ist Teil des Konzepts.

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Es ist schwer ein Gott zu sein (2013) von Alexei German – Meisterwerk mit Überwältigungsstrategie

Acht Jahre Dreharbeiten, fünf Jahre Schnitt, der Wunsch etwas Episches zu erschaffen, permanent konfrontiert mit dem Unvollständigen. Es ist schwer vorstellbar, was im russischen Regisseur Alexei German vorgegangen sein muss, während er versuchte, Es ist schwer ein Gott zu sein (2013) als sehr freie Verfilmung des 60er Jahre Science Fiction Romans von Arkadi und Boris Strugazki zum Leben zu erwecken. Für German sollte es leider kein Happy End dieses schweren und langwierigen Schaffensprozess geben. Er starb vor der Vollendung des Werkes. Diese bittere Note dieses mühsamen Schaffensprozesses lässt sich nicht ignorieren, auch wenn das Kunstwerk – im Gegensatz zu seinem Künstler – doch noch ein Happy End erhalten sollte. Germans Sohn – ebenfalls Filmemacher – griff sich den Film, irgendwo im Zustand zwischen „eigentlich seit Jahren fertig“ und „überambitioniertes Fragment“, und machte einen finalen Schnitt. Fast drei Stunden ist das daraus entstandene Werk lang, und jeder einzelnen Sekunde, jedem Bild, jedem Geräusch sieht man den entbehrungsreichen Schaffensprozess an. Трудно быть богом ist ein Monstrum von einem Film. Der Titel wirkt dabei schon fast prophetisch: Denn in all seinem Größenwahn, in seiner schmutzigen Opulenz, in seinem Mäandern zwischen Experimentalfilm und Epos ist die filmische Dekonstruktion des literarischen Bastards aus Science Fiction und Mittelalterdokument vor allem eine große Demonstration eines zu Viels, eines Determinismus zum Scheitern, der gegen alle Erwartungen nur als Erfolg verbucht werden kann.

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1917 (2019) von Sam Mendes – Krieg als One Shot Poesie

Irgendwo an der Nordfront Frankreichs, irgendwann während des Ersten Weltkriegs. Zwei britische Soldaten liegen unter einem Baum und schlafen. Die kurze Verschnaufspause wird jedoch jäh gestört, als die beiden einen wichtigen Botenbefehl erhalten, der sie über die (vermeintlich vor kurzem geräumten) deutschen, feindlichen Linien führen soll. Wir folgen den beiden Soldaten, sind dicht bei ihnen, während sie sich durch den engen Schützengraben ihren Weg bahnen. Vorbei an anderen schlafenden, lesenden, rauchenden Soldaten, die auf ihren nächsten Befehl warten. Es ist eng und stickig. Schließlich gelangen die beiden zu einem der wenigen Durchgänge nach oben, klettern am Stacheldraht vorbei und schließlich auf das zuvor umkämpfte Schlachtfeld. Die Kamera fährt hinauf, und die eben erlebte Klaustrophobie macht einer erstaunlichen breiten Leere platz. Nie zuvor ist es einem Film gelungen, derart beeindruckend das Gefühl des Schützengrabens, des Stellungskrieges und der schieren Dimension eines Schlachtfeldes während des ersten Weltkriegs auf die Leinwand zu bringen. Die ersten fünfzehn Minuten von 1917 (2019) sind ein atemberaubendes, visuelles Erlebnis. Einer von jenen Filmmomenten, die einem glatt die Sprache verschlagen, eine erschlagende Demonstration der Ausmaße des Stellungskrieges und zugleich eine erschlagende Demonstration großen filmischen Handwerks. Und das ist erst der Anfang: Regisseur Sam Mendes (American Beauty) erzählt seine Vision des ersten Weltkrieges als Epos einfacher Soldaten und denkt dabei gar nicht daran von ihnen zu weichen, im wahrsten Sinne des Wortes.

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Ein Experimentalist als Actionregisseur – Free Fire (2016) von Ben Wheatley

Ben Wheatley ist ein Biest. Und er ist dafür bekannt, alles andere als mainstreamtauglich zu sein. Das liegt vor allem daran, dass er sich für gewöhnlich Genres und Sujets greift, die eigentlich viel zu groß für sein übliches Budget sind, und diese auf ganz eigensinnige Art und Weise erzählt. So zertrümmert er das Historienepos mit seinem klaustrophobischem Irrritt A Field in England (2013), verwebt einen Auftragskillerfilm mit Elementen des Post Horror in Kill List (2011) oder macht aus der Science Fiction Dystopie High-Rise (2015) ein bizarres Sittengemälde, in dem eine klinische Sterilität peu à peu apokalyptischem Wahnsinn weicht. Letzterer spielt wie die Romanvorlage in den 70ern und dieses Jahrzehnt scheint es dem Regisseur angetan zu haben. Denn auch sein jüngster Streich Free Fire (2016) spielt in der Dekade nach dem Sommer der Liebe. Dieses Mal hat sich Ben Wheatley ausgerechnet das Action- und Ganovenkino als Plateau für seine Spielereien ausgesucht, ein Genre, das nicht unbedingt dazu prädestiniert scheint, durch den experimentellen Wheatley-Fleischwolf gedreht zu werden. Aber für Überraschungen war das Biest Wheatley schon immer gut…

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Surrealismus lebt! – Reality (2014) von Quentin „Mr. Oizo“ Dupieux

Ein gelbes Kuscheltier namens Flat Eric sitzt in einem pittoresken Büro am Telefon und grunzt irgendwas in den Hörer. Schließlich legt er eine Platte auf und die Flat Beats legen los. Wir schreiben das Jahr 1999 und Flat Beat von Mr. Oizo ist der heißeste Scheiß. Selbst Leute, die mit Techno nichts anfangen können sympathisieren mit dieser Kunstfigur, die unter dumpfen elektronischen Klängen Verträge mit roten Kritzeleien signiert, Würstchen inhaliert als wären sie Zigarren, mit der Computertastatur im Rhythmus klackert und anscheinend in der ganzen Welt herumtelefoniert, um seine Musik zu promoten. Dass der erfolgreiche Videoclip Inspiration für zahllose nervige Musikvideos der frühen 2000er wie Crazy Frog sein würde, konnte damals ja noch niemand ahnen und ist dem Musiker und Regisseur Quentin Dupieux aka Mr. Oizo kaum vorzuwerfen. Aber dieser kurze und prägnante Videoclip verrät schon viel über den französischen Experimentalisten, der spätestens mit dem verqueren selbstreferenziellen Horrorstreifen Rubber (2010) einige Berühmtheit in der obskuren Filmecke erlangen sollte. Und was verrät es? Monsieur Dupieux will Spaß haben. Wenn unterwegs dabei noch Kunst herauskommt, umso besser. Und so viel Spaß wie bei seiner Bizarrerie Reality (2014) hatte der französische Multikünstler wahrscheinlich noch nie.

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Bohemian Rhapsody (2018) – Wie viel Fiktion verträgt die Realität?

Is this the real life? Is this just fantasy? Caught in a landslide, no escape from reality.

Es gibt nur wenige Bands oder Künstler*innen, auf die sich die Fans verschiedenster Genre einigen können, Bands denen anscheinend fast alle mit Wohlwollen begegnen. Queen ist eine dieser Bands: Egal ob Metal-Enthusiast, Popper, Prog- oder Classic-Rock-Guy, bei dieser Band findet jeder einen Song, zu dem er sich hingezogen fühlen kann. Und es dürfte wohl kaum jemanden geben, der der Band ihre Relevanz in der Musikgeschichte abspräche. Dass ist umso erstaunlicher, da Queen als Konsensband sich im Laufe ihrer Karriere nie als Konsensband verhalten hat. Dafür ist her royal majesty zu extravagant, zu schillernd, oft auch zu schräg und bombastisch. Und doch ist sie universal geliebt wie kaum eine Musikgruppe vor und nach ihr. Mit umso mehr Spannung und Vorfreude wurde daher die Verfilmung der musikalischen und persönlichen Laufbahn Queens und ihres Frontmanns Freddie Mercury, Bohemian Rhapsody (2018), von Publikums und Feuilleton erwartet. Nicht zuletzt auch wegen der Tatsache, dass es enorm viel zu der Band und ihren Mitgliedern zu erzählen gibt, und der damit verbundenen Frage, worauf der Film seinen Fokus setzen will, und ob er mit seiner Fokussierung dem Phänomen Queen gerecht wird.

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Lupa of Wall Street – Rezension zu Hustlers (2019)

Es gehört in den letzten Jahren zum guten Ton der amerikanischen Rechten, sich über Filme zu beschweren, die ihrer Meinung nach zu woke, zu feministisch, zu liberal oder zu progressiv sind. Nachdem es 2019 bereits Captain Marvel erwischt hat, ist die aktuelle Sau, die durchs altright-Dorf getrieben wird Parasite beziehungsweise dessen in patriotischen Augen ungerechtfertigte Oscar-Auszeichnung. Ein Grund dafür dürfte nicht zuletzt die Tatsache sein, dass der Right Wing Darling Joker zumindest in dieser Kategorie bei den Oscars 2020 leer ausging. Anyway, bei so viel Aufregung ist die Abneigung der Konservativen und Rechten gegenüber Lorene Scafarias Hustlers (2019) fast ein wenig untergegangen. Aber sie war da, mit allem was dazu gehört: Leider auch inklusive hysterischer Wutvideos zweitklassiger rechter Vlogger, massenhaftem Downvoting bei IMDB und viel Gift und Galle, die versprüht wurden. Und wie immer gilt, man sollte sich von denen fernhalten, die alles erdenkliche tun, um einen Film – den sie mitunter gar nicht selbst gesehen haben – schlecht zu reden und in der Öffentlichkeit schlecht dastehen zu lassen (zumal die ironischerweise meistens die ersten sind, die laut „Cancel Culture!!!11Elf“ schreien, wenn ein von ihnen geliebtes Werk aus moralischen Gründen kritisiert wird), aber man sollte sich von den Schreihälsen zugleich nicht davon abhalten lassen, einen Film unbeeinflusst und auch kritisch zu rezipieren. Here we go again. Same old game, same old game.

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Old French Extremity – Der 2018er Horrorfilm Ghostland von Pascal Laugier

Unternehmen wir eine kleine filmische Zeitreise: Nachdem das Horrorgenre in den 90ern ziemlich orientierungslos vor sich hin vegetierte, kam es in den frühen 2000ern umso beeindruckender zurück. Neben dem Revival des Zombiefilms waren dafür vor allem die Horrorfilme der New French Extremity verantwortlich, die mit düsteren, dystopischen Geschichten, einem Mehr an Gewalt und ihrer brutalen Unerbittlichkeit gegenüber dem Publikum dem Genre die damals so notwendige Vitalisierung verpassten. Einer der großen Filme dieser Gattung war Martyrs (2008), der nicht nur zu den besten Horrorfilmen des Jahrzehnts sondern zu den besten Horrorfilmen überhaupt gezählt werden kann. Regisseur Pascal Laugier profitierte jedoch wenig von der Anerkennung, die sein Meisterwerk von Publikum und Kritik erhielt. Seine Beauftragung für ein Hellraiser-Remake scheiterte daran, dass Laugier seine eigenes Ding durchziehen, sich nicht den amerikanischen Horrorkonventionen beugen wollte, und abgesehen von dem Direct-to-DVD-Produkt The Tall Man (2012) verschwand der damals so vielversprechende Regisseur in der Versenkung. Ganze zehn Jahre mussten nach Martyrs vergehen, bis Laugier wieder mit einem Horrorfilm von sich reden machen durfte: Ghostland (2018) wurde vor allem von den Genrefans wohlwollend aufgenommen und durfte sogar auf dem Festival international du film fantastique de Gérardmer ordentlich abräumen, bei dem ein Jahr zuvor das Genrebiest Raw (2016) für Aufmerksamkeit gesorgt hatte: Und das als kanadisch-französische Koproduktion, die allerdings viele Kompromisse für den amerikanischen Genremarkt eingeht. Weiß Laugier dennoch auch heute noch, in Zeiten von Post- und Slow Burning Horror zu begeistern?

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Kopfschmerzen auf Zelluloid: Uncut Gems / Der schwarze Diamant (2019)

Es gibt Filme, die sind großartig inszeniert, großartig geschnitten, sie haben Tempo und der Regisseur erreicht genau das, was er erreichen will. Man kann sie für ihre Qualität respektieren, ihre Waghalsigkeit, ihren dramaturgischen Mut… und dennoch konstatieren, dass es eine einzige Qual ist, sie durchzustehen. Für viele Menschen sind das langsam erzählte, künstlerisch wertvolle und subjektiv unfassbar zähe Arthausfilme. Ich hatte damit nie ein Problem. Im Gegenteil, einen ruhig erzählten Film, der Längen aushält, kann ich genießen, gerade in der Langsamkeit (manche würden sagen Langatmigkeit) sehr viel Freude finden. Aber ich kann jeden verstehen, der keine Lust auf diese Art von Kino hat. Ich kann jeden verstehen, für den ein langsamer, zu langsamer Stil einfach nur ermüdend und quälend ist. Ich habe an dieser Stelle so weit ausgeholt, weil Uncut Gems / Der schwarze Diamant (2019) für mich genau in die Kategorie fällt: Ein Film, dessen Qualitäten ich erkenne und der dennoch eine einzige Qual für mich war, und zwar keine der guten Sorte. Und das liegt wahrscheinlich wiederum daran, weil er genau das Gegenteil von dem macht, was ich am Kino schätze: Er ist alles andere als langsam, alles andere als subtil. Er ist eine einzige laute, chaotische und hektische Irrfahrt, ein Test für die Nerven seines Publikums, und ich bin an diesem Test krachend gescheitert. Aber wie gesagt, ein schlechter Film ist dieses Thrillerdrama nicht, nur eben ein unerträglicher Film… zumindest für mich.

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Die besten Filme 2019: Marriage Story von Noah Baumbach

Was macht man, wenn man Mitte der 2000er Jahre einen der besten Scheidungsfilme aller Zeiten gedreht hat? Zumindest Noah Baumbachs scheint die Antwort klar zu sein: Man wartet 15 Jahre, bis man Netflix‘ Budget und Unterstützung im Rücken hat, und dreht dann einen Film, der noch besser ist. Ja, das ist natürlich ein spekulativer Einstieg, scheint aber an der Stelle erst einmal die plausibelste Erklärung für dieses Meisterwerk von einem Film zu sein. Nach einigen Ausflügen ins Tragikomische, unter anderem in der Zusammenarbeit mit Greta Gerwig bei Frances Ha (2012) hat sich Noah Baumbach bei seinem neuesten Film Marriage Story (2019) voll und ganz dem Drama verschrieben. Ein irreführender Titel übrigens, denn wie bereits gesagt ist hier nicht viel von der Ehe zu sehen. Viel mehr müsste der Film konsequent Divorce Story heißen, steht doch die Scheidung zweier Menschen und das damit verbundene Drama ganz im Mittelpunkt der Geschichte. Noah Baumbach wäre aber nicht einer der besten Indie-Regisseure der beiden vergangenen Dekaden, wenn er nicht genau an diesem Punkt ansetzen und alles geben würde, gegen den Strich und jenseits von melodramatischen Klischees zu erzählen. Denn neben all dem Ballast einer Scheidung, der hier höchst realistisch durchexerziert wird, ist Marriage Story doch auf faszinierende Art und Weise auch eine Liebesgeschichte… und zwar womöglich eine der schönsten und traurigsten, die dieses Jahrzehnt vorzuweisen hat.

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Zwischen Thriller und Drama: Galveston – Die Hölle ist ein Paradies (2018)

Südöstlich von der texanischen Hauptstadt Austin, am Golf von Mexiko, liegt das Strand- und Naherholungsgebiet Galveston. Im 19. Jahrhundert war die auf einer Insel liegende Stadt noch einer der wichtigsten ökonomischen Knotenpunkte des Bundesstaates, zeitweise sogar die größte Stadt in Texas. Spätestens durch die Öffnung der Schifffahrtswege nach Houston zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlor Galveston jedoch seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung. Heutzutage sind sowohl Galveston County und Galveston City als auch Galveston Island primär als Naherholungsgebiete am Wasser für die Einwohner des südöstlichen Texas‘ von Bedeutung. Durch die Lage am Meer ist Galveston auch immer potentiell von Hurrikanen bedroht, der berüchtigtste schlug 1900 zu, der letzte große – Ike – 2008. Nicht nur deswegen liegen an diesem Ort Hölle und Paradies dicht beinander. Über ein Fünftel der Bevölkerung gilt als arm, bei den Kindern sind es sogar mehr als 30%. Galveston ist auch ein Ort der Gestrandeten, der Ausgestoßenen, manchmal auch der Geflohenen aus den großen Städten Houston, San Antonio und Austin. In ihrem Thrillerdrama Galveston – Die Hölle ist ein Paradies (2018) betrachtet Mélanie Laurent genau jene Geflohenen, die hoffen, in Galveston eine Art Paradies zu finden, die Hölle jedoch im Gepäck haben.

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Die besten Filme 2018: Capernaum – Stadt der Hoffnung

„Was aber das Leben des Einzelnen betrifft, so ist jede Lebensgeschichte eine Leidensgeschichte: denn jeder Lebenslauf ist, in der Regel, eine fortgesetzte Reihe großer und kleiner Unfälle, die zwar jeder möglichst verbirgt, weil er weiß, daß andere selten Teilnahme oder Mitleid, fast immer aber Befriedigung durch die Vorstellung der Plagen, von denen sie gerade jetzt verschont sind, dabei empfinden müssen; — aber vielleicht wird nie ein Mensch, am Ende seines Lebens, wenn er besonnen und zugleich aufrichtig ist, wünschen, es nochmals durchzumachen, sondern, eher als das, viel lieber gänzliches Nichtsein erwählen.“

Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung

Man kann dem philosophischem Pessimismus vieles Nachsagen: Dass er ein frühes Dekadenzphänomen der verwöhnten, westlichen Philosophie ist. Dass er einem romantischem Überdruss entspringt, dass er vor allem eine Philosophie der Larmoyanz ist, dass er mit kitschiger Koketterie einhergeht, die sich von Schopenhauer über Nietzsche und Spengler bis zum Emorock des 21. Jahrhunderts viel zu hartnäckig in Philosophie, Kunst und Kultur eingenistet hat. Wenn man aber den westlichen Blick auf diese (zugegeben sehr westliche) Philosophie beiseite schiebt, kommt man nicht umhin festzustellen, dass der Pessimismus einen Punkt hat. Und das nicht nur damals sondern auch heute: Das Leben als Leiden, das Leben als Jammertal, das Leben als Seinszustand, der besser nie stattgefunden hätte, mag aus dem Mund eines wohlständigen Europäers bizarr klingen, in anderen Regionen der Welt kann es jedoch ganz anders aussehen, so zum Beispiel im Libanon, der erst kürzlich wieder von einer verheerenden Katastrophe heimgesucht wurde.

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A Prayer Before Dawn (2017) – Gefängnisdrama, Post-Actioneer, Anti-Sportfilm

Der Gefängnisfilm hat viele Gesichter. Exploitation und Sexploitation mal beiseite gelassen (Ja, ich schaue auf euch 70er) ist in dem Genre – wenn es denn überhaupt ein genuines Genre ist – so einiges möglich: Heist-Thriller, Survival-Action, pathetisches Drama, Realistisches und Dokumentarisches, ja sogar spitzbübische Comedy lässt sich hinter Gittern inszenieren. Die Schnittmengen zwischen den einzelnen Genre-Interpretationen halten sich dabei meistens in Grenzen. Wenn ein Film hinter Gittern den rauen Knastalltag realistisch darstellen soll, kommt es meistens einfach nicht gut, wenn er plumpe Actionsequenzen dazwischen wirft. Wenn ein Film mit großem Pathos das menschliche Drama in der Gefangenschaft sezieren will, wirkt es einfach unangemessen, wenn dieser plötzlich mit Humor aufgebrochen wird. Von einigen wenigen Genre-Querhüpfern wie der Serie Orange Is The New Black abgesehen, sind Gefängnisfilme meistens straight forward, entweder in dem einen oder dem anderen Bereich zu Hause. A Prayer Before Dawn (2017) versucht sich wie so viele seiner Kollegen ebenfalls nicht an einem Genrespagat, und dennoch ist er in seiner Gesamtheit deutlich holistischer als viele andere Filme seiner Art, und das obwohl sein Hintergrund, die realen Erlebnisse des Briten Billy Moore in einem thailändischen Gefängnis, dies keineswegs zwingend hergibt.

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Zwei Seelen – Rezension zum SciFi-Drama Jonathan (2018)

Es gibt wenige Tropes, die im Mystery-Kino des frühen 21. Jahrhunderts derart überholt und übernutzt wirken wie das der gespaltenen Persönlichkeit. Fernab der Realität der tatsächlichen Erkrankung der dissoziativen Identitätsstörung haben sich zahllose Filmemacher seit Ende der 90er bei diesem Sujet bedient und es viel zu oft für plumpe Plottwists oder an den Haaren herbeigezogene Narrative benutzt. Was bereits in Fight Club leidlich originell war – bei diesem Film aber Dank der Abstraktheit in der Umsetzung noch als Gesellschaftskritik gut funktioniert -, ist bei all den geheimen Fenstern, Identitäten, High Tensions und Maschinisten da draußen einfach nur noch lahm. Vor allem als Plottwist mag man diesen Schmuh heutzutage nicht mehr sehen, einfach weil man ihn schon viel zu oft gesehen hat. Da kommt es doch sehr erfrischend, wenn sich ein Film nicht daran versucht, die breitgetretenen Mysterypfade dieses Topois erneut zu durchqueren und sich sowohl von dessen Funktionalisierung als bloßes Plottwist-Vehikel als auch dem Versuch, in der realen Psychiatrie und Psychologie dieser Erkrankung zu wildern, distanziert. So geschehen im Science Fiction Drama Jonathan (2018), in dessen Zentrum zwar eine gespaltene Persönlichkeit steht, der diese aber nicht für plumpen Mystery-Hokuspokus missbraucht, und auch gar nicht erst versucht an die tatsächliche Krankheit Dissociative Identity Disorder anzuknüpfen.

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Smallfoot (2018) – Ein eisigartiges Abenteuer (…und ein kleiner Rohdiamant)

Die Demokratisierung des Animationsfilms hat wenig damit zu tun, dass die Konkurrenz zu den jahrelangen Monopolisten – Pixar und Dreamworks – im Laufe der 2010er Jahre besser geworden wäre. Eher das Gegenteil ist der Fall: Die großen Studios sind immer belangloser geworden, während sie gleichzeitig mit einer Masse an durchschnittlichen Konkurrenzprodukten überschwemmt wurden. Erinnern wir uns kurz an die Frühzeit des CGI-Animationsfilms zurück. In den glorreichen Tagen Ende der 90er und Anfang bis Mitte der 2000er Jahre war jeder neue Animationsfilm für die ganze Familie noch ein richtiges Ereignis. Und das auch zurecht: Filme wie Toy Story (1995), Die Monster AG (2001) oder Findet Nemo (2003) auf der Pixar-Seite und Filme wie Antz (1998) oder Shrek (2001) auf der Dreamworks-Seite waren Hit-Garanten und Publikumslieblinge. Man freute sich auf sie, fieberte ihnen entgegen und durfte sich sicher sein, in den meisten Fällen nicht enttäuscht zu werden. In einer Zeit, in der die großen Sommerblockbuster schwächelten (und meistens nicht mehr als langweilige Desasterflicks waren) hielt der animierte Familienfilm das Popcornkino am Leben.

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Die Eiskönigin II (2019) – Warum die Fortsetzung von Frozen scheitert und dennoch sehenswert ist

Niemand wird bestreiten, dass Die Eiskönigin – Völlig unverfroren (2013) einer der größten Disney- und Animationsüberraschungshits der 2010er Jahre war. Hinter einem scheinbar einfach nur weiteren Fantasyschinken der Disney Animation Studios verbarg sich zum einen ein Musical, das traditionell wie nie auf die klassischen Disney-Prinzessinnen-Geschichten rekurrierte, und zum zweiten ein Fantasyepos, das an genau den richtigen Stellen den Traditionalismus aufbrach und fast so was wie Disneys Version eines feministischen Märchens darstellte. Ein Sequel war im Grunde genommen eine ausgemachte Sache, nachdem in den Folgejahren „Let it go!“ durch allerlei Kindermünder wanderte. Und doch hat es über fünf Jahre gedauert, bis Die Eiskönigin II (2019) das Licht der Leinwand erblickte. Ja, Leinwand. Gott sei Dank kein dahingeschnoddertes Direct to DVD Sequel (was vor 20 Jahren noch selbst bei den absoluten Blockbustern wie Lion King oder Die Schöne und Das Biest Standard war). Nein, eine würdige Fortsetzung, von den gleichen Machern mit den gleichen Stimmen und sogar exakt dem gleichen Budget. Und doch haftet Frozen II ein wenig der Geruch des Hinterhergeschobenen an. Denn obwohl der erste Teil so manche losen Enden bereithält, die eine Fortsetzung fast schon zwingend erscheinen lassen, so gelingt es der Fortsetzung doch nicht so richtig, diese zu einer harmonischen Gesamtnarration zusammenzuführen.

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Die besten Filme 2017: I, Tonya und das Vexierspiel der Perspektiven

Im Jahr 1994 war ich 12 Jahre alt und habe mich – ich bin versucht „selbstverständlich“ zu sagen – nicht im geringsten für Eiskunstlauf interessiert. Aber ich erinnere mich dennoch an die Bilder der weinenden Nancy Kerrigan, nachdem dieser mit einer Eisenstange die Knie zerschlagen worden waren. Ebenso erinnere ich mich an das kollektive Aufatmen der medialen Sportöffentlichkeit, nachdem diese trotz des Anschlags bei den olympischen Spielen in Lilehammer die Silbermedaille gewann. Ich erinnere mich auch vage an den damaligen Gossip rund um ihre Rivalität mit Tonya Harding; und ohne irgendwas zu den Hintergründen zu wissen, wusste ich damals doch sehr wohl, wer die Gute – Kerrigan – und wer die Böse – Harding – in diesem Spiel war. Es war ein bisschen so wie die fast zeitgleich stattfindende Rivalität zwischen Henry Maske und Graciano Rocchigiani oder Bret Hart und Jerry Lawler. Wir waren jung und verstanden wenig von medialen Sportevents, aber die Sportfilme der 80er Jahre hatten uns gelehrt, dass es bei Rivalitäten immer einen Helden und einen Bösewicht geben musste. Zweiteres war Tonya Harding im Eiskunstlauf: Die Eishexe, die gnadenlose Attentäterin, die Unsportliche, die Verlogene; und natürlich auch die, die drehbuchreif am Ende mit ihren Intrigen nicht durchkam und bei den olympischen Spielen 1994 nur den achten Rang belegte.

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Die besten Science Fiction Filme 2018: Das Indie-SciFi-Drama Prospect

Der Mond, auf dem Cee (Sophie Thatcher) und ihr Vater (Jay Duplass) landen, ist wunderschön. Aber er steckt auch voller Gefahren. Denn der beeindruckende Wald, der die gesamte Oberfläche bedeckt, ist durch und durch von giftigen Sporen durchzogen, die ein Atmen außerhalb von Schutzanzügen unmöglich machen. Zugleich ist der Mond der Hort eines unendlich großen Schatzes. Im organischen Gewebe unter der Erde befinden sich zahllose Perlen, deren Bergung einiges Geschick erfordert, die auf dem Schwarzmarkt allerdings Ruhm und Reichtum versprechen. Genau diesen Perlen jagt Cees Vater in der lebensfeindlichen Umgebung hinterher. Cee will eigentlich nur nach Hause, ist jedoch gezwungen, ihre einzige Bezugsperson bei der gefährlichen Mission zu begleiten. Gefährlich nicht nur wegen der Umgebung, sondern auch weil sie nicht die einzigen Schatzjäger in dem dichten Wald sind. Und manche, wie Ezra (Pedro Pascal) und sein verschwiegener Begleiter, gehen über Leichen, um den Reichtum aus dem Boden zu heben.

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Besser als sein Ruf: Rocky V

Ich habe hier schon ein paar Filme verteidigt, die im Auge von Kritik und Öffentlichkeit wertlose Werke sind: Masters of the Universe, Star Trek V, Sliver… Aber bei keinem anderen Film hat es sich so schwierig angefühlt wie beim fünften Teil der epischen Boxersaga: Rocky V (1990). 29% bei Rotten Tomatoes, mehrere Nominierungen für die Goldene Himbeere, viel Spott und Häme über Sylvester Stallones Entscheidung, seinem Sohn Sage Stallone und dem Boxer Tommy Morrison zentrale Rollen in dem Film zu geben. Aber ich bleibe dabei: Rocky V ist deutlich besser als sein Ruf. Mehr noch; ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte, Rocky V, dessen Veröffentlichung ihn gerade so aus den 80ern raus in die 90er hob, ist so etwas wie der Abschluss eines Actionjahrzehnts und zugleich der beste Rocky-Film seit Rocky II (1979) und bis Rocky Balboa (2006). Er hat weder den Hass noch den Spott verdient und es ist an der Zeit, seinen Ruf zu retten.

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Die besten Actionfilme der 2010er Jahre: Die John Wick Trilogy mit Keanu Reeves

Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich ein Filmgenre mal in der Krise befindet. Und auch im Kontext unserer Retrospektiven sind wir des öfteren auf solche gestoßen: Der Western in den 80er Jahren, das Fantasygenre in den 90ern, Science Fiction in den 2000ern… Trends kommen und gehen, manchmal gibt es kreative oder monetäre Flauten, manchmal ist das (fehlende) Publikumsinteresse Schuld, manchmal die Ideenlosigkeit der Studios, manchmal ist es einfach nur Pech. Meistens jedoch tut die Dürrezeit dem entsprechenden Genre gut und es kann sich danach umso beeindruckender zurückmelden. Erst die Orientierungslosigkeit der Fantasy-90er ermöglichte die überwältigende Renaissance des Genres mit Hits wie Herr der Ringe oder Harry Potter. Erst in der Westernflaute der 80er Jahre konnte die Vorstellung eines Neo und Post Western reifen, erst die epische Dürre der Fantasy-90er ließ den Raum für ein Wagnis wie Herr der Ringe und erst die Kargheit des 2000er SciFi weckte das Zuschauerbedürfnis nach neuen futuristischen Welten und Weltraumopern. Vielleicht verhält es sich mit dem Actiongenre in den 2010ern genauso, aber wirklich abzusehen ist das noch nicht.

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Die neue Star Wars Trilogy (2015 – 2019) – Ein abschließendes Urteil

Zwei große Serien haben das Blockbusterkino der 2010er Jahre geprägt. Dass beide Franchise-Neuinterpretationen aus dem Hause Disney kommen, ist kein Zufall. Mehr als je zuvor dominierte Disney in diesem Jahrzehnt das Blockbusterkino; allerdings nicht nur wie zuvor den Animations- und Familienfilmbereich – mit Werken wie dem in Kinderzimmern omnipräsenten Frozen (2013) – sondern auch mit bombastischem Popcornkino für die älteren Zuschauer. Die erste „erwachsene“ Blockbuster-Serie war das MCU, das mit Iron Man (2008) bereits im vorherigen Jahrzehnt seinen Grundstein gelegt bekam, aber erst in den Zehnerjahren zur vollen Blüte wuchs und mit dem Zweiteiler Avengers: Infinity War (2018) sowie Avengers: Endgame (2019) einen gigantomanischen Abschluss feiern durfte. Die zweite große Serie hatte ihren Beginn erst in der zweiten Hälfte der 2010er, schlug aber mindestens genau so große Wellen. Star Wars: Das Erwachen der Macht (2015), Star Wars: Die letzten Jedi (2017) und Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers (2019) waren der – je nach Standpunkt erfolgreiche / erfolglose – Versuch, fast 20 Jahre nach der Prequel-Trilogie den Krieg der Sterne Mythos nicht nur weiterzuerzählen, sondern darüber hinaus die so genannte Skywalker-Saga zu einem würdigen Abschluss zu bringen. Für eine Retrospektive auf diesen Versuch und sein Ge- beziehungsweise Misslingen ist es ohne Zweifel noch zu früh, zeigt doch die sich erst in letzter Zeit etablierende wohlwollendere Rezeption der Prequel-Trilogie deutlich, wie sehr sich die Wahrnehmung bestimmter Nerdfilme über Dekaden hinweg verändern kann. Wir wollen es dennoch versuchen, zumindest als vorläufig abschließendes Urteil; ohne Anspruch auf Endgültigkeit und wie immer ohne Anspruch auf Objektivität.

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Die besten Filme 2019 – Der Oscar-Abräumer Parasite von Bong Joon-ho

Endlich! Über fünf Jahre nach dem großen Erfolg beim westlichen Publikum mit der Dystopie Snowpiercer und zwei Jahre nach dem Netflix-Achtungserfolg Okja ist Bong Joon-ho endlich da angekommen, wo er schon immer hin gehörte. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens, ziemlich offensichtlich, bei der höchsten Mainstreamehrung, die sich ein Regisseur überhaupt vorstellen kann. Auch wenn es sich immer noch ein wenig surreal anfühlt, ist es doch Wirklichkeit: Bong Joon-hos neuester Streich, Parasite (2019) hat 2020 bei den Oscars abgeräumt. Aber so richtig: Nicht nur als bester fremdsprachiger Film, sondern als bester Film, als erster fremdsprachiger Film in der Geschichte der Oscars überhaupt. Darüber hinaus bestes Originaldrehbuch und beste Regie. Vier Academy Awards für eine rabenschwarze südkoreanische Komödie. Wie ich bereits an anderer Stelle schrieb: Die Oscars waren in den letzten Jahren doch für so manche positive Überraschung gut. Positiv ist die Überraschung nicht zuletzt auch deswegen, weil Parasite ein Film ist, der jedes Lob und jeden Hype um ihn im letzten Jahr mehr als verdient hat. Zweitens ist Bong Joon-ho nämlich nach diversen Genreabstechern auch endlich in dem Rahmen angekommen, der ihm am besten liegt: Der schelmische, makabere, parabolische und grotesk ironische Rahmen. Entfesselt von jeglichen Genrevorgaben erzählt er in diesem Rahmen eine bittersüße, urkomische Geschichte über Auf- und Abstieg, über starre Gesellschaftsstrukturen und darüber wie diese aus den Angeln gehoben werden.

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Corona-Soforthilfe? – Der Schacht von Galder Gaztelu-Urrutia

Menschen brauchen in Krisenzeiten Kunst, die ihnen dabei hilft, die Dinge einzuordnen. Sie brauchen Kunst, um zu verstehen, warum die Gesellschaft, warum der Mensch in der Krise funktioniert, wie er funktioniert. Zumindest scheint dies eine einleuchtende Erklärung dafür zu sein, dass ausgerechnet eine spanische Dystopie – El Hoyo (2019) – derzeit so sehr im deutschen/europäischen Netflix trendet. Ohne Corona und all seine Folgen wäre der Schacht womöglich auf dem Streamingservice untergegangen, oder wäre zumindest dazu verdammt gewesen, in der Nische des SciFi-Symbolismus für Freunde von Cube zu verharren. So hat er es aber einmal auf die große Bühne geschafft und es wird fleißig über ihn geredet. Um das gleich vorweg zu nehmen: Um die Gesellschaft in Zeiten von Covid-19 zu verstehen, taugt dieses kleine abstrakte Thrillerdrama nicht. Aber er wirft Fragen auf. Und das sollte jedem Zuschauer auch bewusst sein: Fragen, keine Antworten. Sein Setup ist viel zu abstrakt und zugleich viel zu holistisch um als soziologischer Leitfaden durch das herrschende Chaos, beziehungsweise die herrschende Ordnung zu leiten. Seine Prämisse stürzt sich viel zu dezidiert eben gerade nicht auf die Krise sondern den Normalzustand, um die gesellschaftlichen Folgen von Corona begreifbar zu machen. Und seine Machart ist viel zu offen, viel zu ungestüm, um mehr zu liefern als Gedankensprünge. Aber in dem, was er ist, gelingt es ihm zeitlose Thesen zu entwerfen und diese in einem apltraumhaften Setting auszuloten.

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Die besten Filme 2017: Okja vom Parasite-Regisseur Bong Joon-ho

Wie politisch didaktisch darf ein Film sein, um dennoch noch als Film zu funktionieren? Wie sehr darf ein Film seinem Publikum Werte vermitteln oder dieses gar erziehen wollen, ohne zum bloßen Manifest zu werden? Was selbst beim dezidiert politischen Kino eine Frage der Abwägung ist, wird im Bereich des Action- und Abenteuerkino zu einer riskanten Gratwanderung: Immerhin will der durchschnittliche Zuschauer oder die durchschnittliche Zuschauerin in diesem Genre unterhalten werden. Und das Gefühl zu haben, einem pädagogischen Aufbau beizuwohnen, trägt nicht unbedingt zur Unterhaltung bei. Dass sich das südkoreanische Regiewunderkind Bong Joon-ho grundsätzlich wenig um Konventionen schert, hat er bereits mit seinen Filmen The Host (2006) und Snowpiercer (2013) unter Beweis gestellt. In beiden Filmen war er ausgesprochen politisch unterwegs, in beiden Filmen nutzte er das jeweilige Genre – Horror in dem einen, Science Fiction in dem anderen Fall – als Tableau für gesellschaftskritische, satirische Spitzen und großes menschliches Melodram. Da ist es nur folgerichtig, dass er sich in der Netflix-Produktion Okja (2017) das Abenteuer- und Fantasygenre sowie das Familienkino auf die selbe Weise vorknöpft… und wie in den beiden Vorgängerwerken überraschend erfolgreich damit ist.

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Die besten Filme 2016: Hell or High Water von David Mackenzie

Zu den etwas unscheinbareren – mit wenig Erfolgsaussichten auf Gewinn – bedachten Oscarnominierungen 2017 gehörte ohne Zweifel David Mackenzie Neo-Western Hell or High Water (2016). Wie zu erwarten war, gewann er nicht; immerhin war dies das Jahr von La La Land, der in den Hauptkategorien so richtig abräumen durfte… Oh wait! 2017 war ein besonderes Jahr für die Acadamey Awards. Es war nämlich auch das Jahr, in dem durch ein Missgeschick, beim besten Film ein falscher Gewinner – eben jenes im Vorhinein von vielen favorisiertes Musical – aufgerufen wurde und in dem letzten Endes der Gewinner doch das ebenso unscheinbare wie grandiose Drama Moonlight (2016) von Barry Jenkins war. Tatsächlich ist der Sieg des vermeintlichen Außenseiters in diesem Jahr nicht nur beachtenswert, weil er zeigt, dass die Academy durchaus für positive Überraschungen gut sein kann, sondern auch, weil er als direkter Konkurrent Hell or High Water fast so etwas wie dessen Seelenbruder und zugleich Nemesis ist. Beide Filme sind Auseinandersetzungen mit den oft mit Missachtung oder Ignoranz gestraften Rändern Amerikas, und zugleich spiegeln beide Filme sehr unterschiedliche Ränder der USA wider. Moonlight, als großes emotionales Manifest des schwarzen Amerikas, als Auseinandersetzung mit der urbanen Gangkultur, den sozialen Widrigkeiten der Großstadt und als poetisches Coming of Age Drama über Homosexualität. Hell or High Water als raubeiniger Blick auf die ländlich geprägten weißen Außenseiter West Texas‘, die ihre emotionalen Befindlichkeiten unter einem großen Berg an Wut begraben haben. Das eine, ein introspektives Gedicht, das andere ein knallharter Gossenroman. Dass Moonlight einer der besten Filme des Jahrzehnts ist, habe ich unlängst geschrieben, aber auch sein dreckiger Bruder wie Gegenspieler im Geiste ist mehr als einen Blick wert.

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Die besten Filme 2017: Dave Made a Maze (Splatter/Horror/Fantasy/Comedy-Hybrid)

Es ist nicht das erste Mal, dass ich mir Gedanken über die Folgen des Videothekensterbens für die „Direct to DVD“ oder „Best Performance on DVD“- oder noch allgemeiner Indie-Filmkategorie mache. Und es wird mit Sicherheit nicht das letzte Mal sein. Ich glaube auch nach wie vor, dass die langfristigen Folgen dieses Prozesses noch nicht vollkommen zu überblicken sind, und dass ebenso noch nicht ausgemacht ist, ob es sich um positive oder negative Folgen (oder von beidem ein bisschen was) für diese Nische der Filmwelt handelt. Streaming ist die neue Realität, mit der sich alle „Direct to DVD“-Produzenten und darüber hinaus alle Filmproduzenten überhaupt auseinandersetzen müssen. Insbesondere, weil durch den Wegfall der Videotheken nicht einfach ein Verbreitungskanal wegfällt, sondern vor allem einer, der ganz bestimmten Gesetzen zu gehorchen schien, von denen viele Filme profitieren konnten. Manche, zum Beispiel die deren Hauptvermarktungsstrategie der „Fehlgriff“ im Videothekenregal zu sein schien (* Hust Asylum), etwas mehr, andere etwas weniger. Leid tun kann es einem vor allem um jene engagierten unabhängigen Werke, die – selbst wenn sie einen Kinorelease hatten – schon immer davon lebten, im Videothekenregal (wieder-)entdeckt zu werden und dort durch Mund-zu-Mund-Propaganda von der unbekannten Indie-Perle zum Kultfilm aufzusteigen: Filme wie Evil Dead oder Donnie Darko (wahrscheinlich einer der letzten dieser Art), die offene Videothekenbesucher brauchen, die auch mal neben die üblichen Verdächtigen greifen. Und genau ein solcher Film, dem ein Videothekenrelease mit Sicherheit extrem gut getan hätte, der nun aber in einer Streamingwelt um die Aufmerksamkeit des Publikums kämpfen muss, ist Dave made a maze (2017), der gut zwei Jahre brauchte, um überhaupt in Deutschland anzukommen.

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Die besten Filme 2017: The Disaster Artist von James Franco

Schlechte Filme kommen und gehen. Und manche bleiben für die Ewigkeit. Was in den 50er Jahren Ed Wood und was in den 90ern Troll 2 und Showgirls war, dürfte zu Beginn des neuen Jahrtausends ohne Zweifel Tommy Wiseaus The Room (2003) gewesen sein: Nicht einfach ein schlechter Film, sondern ein Film, der so schlecht ist, dass er – auf eine zweifellos bizarre Weise – als unterhaltsam, sehenswert und irgendwie auch gut wahrgenommen werden kann. In seinem Buch The Disaster Artist: My Life Inside The Room, the Greatest Bad Movie Ever Made (2013) verarbeitete der damals beste Freund von Wiseau – und Nebendarsteller in dem Film – Greg Sestero seine Beziehung zu dem Regisseur sowie die chaotischen Dreharbeiten, die schließlich in den monumentalen „So bad it’s good“-Film münden sollten. Eine solche Geschichte ist eigentlich praktisch eine Einladung zu Spott und Häme. Dass weder Buch noch die Verfilmung unter dem Titel The Disaster Artist (2017) in diesen Niedrigkeiten verloren gehen, liegt vor allem an zwei Dingen: Ihrer ehrlichen Faszination an dem in der Tat äußerst schräg agierenden Wiseau und an der Empathie, die sie für alle Protagonisten und Protagonistinnen des cineastischen Jahrhundertdesasters mitbringt.

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Aus aktuellem Anlass: Sehenswerte Pandemiefilme

Tja… wollen wir so etwas überhaupt gerade sehen? Gute Frage. Ich denke durchaus. Wenn man schon zu Hause eingeschlossen ist, sei es eine echte Quarantäne wegen einer tatsächlichen Corona-Infektion, sei es wegen der derzeit völlig angebrachten Reduzierung sämtlicher sozialen Kontakte, dann kann man die Zeit auch nutzen, ein wenig in der Filmgeschichte zu stöbern, um aus dieser etwas für die eigene aktuelle Situation zu extrahieren. Denn auch wenn Covid-19 in vielfacher Hinsicht ein absolutes Novum in der Geschichte der viralen Pandemien darstellt, so gibt es Seuchen und den Kampf gegen diese doch so lange es die Menschheit gibt. Und folgerichtig haben sich schon zahllose Kunstschaffende mit dem Thema auseinandergesetzt. Hier also eine kleine, ziemlich subjektive, ziemlich unvollständige Liste an Filmen, die dabei helfen die Zeit ohne Kino zu überbrücken. Beileibe nicht die besten Pandemiefilme aller Zeiten, aber doch eine Kollektion sehenswerter Filme. Eine Kollektion, die taugt, um Panik zu schüren, Panik abzubauen oder einfach ein bisschen tiefer in das Thema „Die Menschen und das Virus“ einzutauchen.

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Die besten Filme 2019 – Systemsprenger: Realismus und Expressivität

Benni ist neun. Benni ist unberechenbar. Benni hat einen langen Weg hinter sich, scheint aber nie irgendwo anzukommen. Und für Benni scheint es auch keine Hoffnung zu geben. Aber das sind bloß Sätze, Versuche der Charakterisierung, die ins Leere laufen. Um Bennis Verhalten zu verstehen oder wenigstens ein bisschen einordnen zu können, muss man es erlebt haben. Und nichts anderes macht Systemsprenger (2019) von Nora Fingscheidt: Er stellt nicht einfach dar, zeigt und charakterisiert nicht einfach Bennis Innenleben und Bennis Kampf mit sich selbst und der Außenwelt. Er macht dies zum Erlebnis. Nicht zu einem jener Erlebnisse, bei denen man genüsslich sein Popcorn in sich hineinstopft und nebenbei ein bisschen Sozialporno geliefert bekommt; nein, eines jener Erlebnisse, die ihre Zuschauer – oder besser gesagt ihre Erfahrenden – in den Kinosesseln drücken, sie durchschütteln, durchrütteln und auf sie einprügeln, so dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Benni – fantastisch gespielt von Helena Zengel – leidet an sich, an der Welt und entzieht sich zugleich allen Rettungsversuchen. Wen sie allerdings brutal in ihre Welt hineinzieht, sind die Zuschauerinnen: Sei es durch die Farben, sei es durch den hektischen Schnitt, sei es durch ihre bloße Präsenz. Bennis Innenleben ist nicht den ganzen Film über präsent, wenn es das ist, gibt es allerdings kein Entkommen.

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Die besten Horrorfilme 2019: Midsommar – Wie viel Horror steckt in Ari Asters neuestem Geniestreich?

Wir leben in goldenen Zeiten für Horrorfilmliebhaber. Seit schon längerer Zeit kommen praktisch jedes Jahr mindestens ein oder zwei Filme heraus, die das Genre nicht einfach nur bedienen, sondern erweitern, ergänzen und seine Grenzen sprengen. Post-Horror ist in diesem Fall das Zauberwort. Und egal, ob man diesen Begriff für einen großen Spuk der Kritikerschar hält oder für eine legitime neue Subgenre-Schublade, man muss zweifellos anerkennen, dass der Horror der ungewöhnlichen Art gerade blüht und gedeiht. Eine der größten Hoffnungen dürfte dabei Ari Aster sein, wurde sein letztjähriger Genrebeitrag Hereditary (2018) nicht einfach nur gefeiert, sondern vom Feuilleton gleich zum besten Horrorfilm der Dekade gekürt. Und irgendwie ist es ja auch nachvollziehbar: Hereditary war eine verflucht mitreißende, verflucht angsteinflößende Mischung aus Familiendrama, Tragödie und brutalem Okkulthorror: Schmerzhaft, kompromisslos und der Beweis, dass Horror auch im 21. Jahrhundert noch verdammt gut zu erschrecken weiß. Entsprechend neugierig war die Zuschauerschaft auf Asters Nachfolgewerk, Midsommar (2019), genau ein Jahr nach Hereditary, ebenfalls im Horrorgenre beheimatet und ebenfalls mit dem Potential, Genregrenzen neu zu definieren. In der Tat weiß der Sektenthriller ebenfalls – nicht nur aber auch Freunde seiner Vorgängerin – zu überraschen; nur eben wiederum auf ganz andere Weise.

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Die besten Filme der 80er Jahre: Die Reise ins Ich

Beim Wühlen durch mein Text-Archiv bin ich auf eine kleine Rezension gestoßen, die noch aus Popcultures-Zeiten stammt, die sich als Abschluss der 80er Action-Retrospektive aber auf jeden Fall gut eignet. Es geht um einen meiner liebsten 80er Jahre Filme, Die Reise ins Ich, den ich tatsächlich als Kind schon geliebt habe und der mir mit der Zeit erst peu à peu offenbart hat, wie viele Skurrilitäten und makabere Anspielungen in ihm stecken. Nur logisch, dass ich ihn vor einigen Jahren ordentlich textuell abgefeiert habe. Und auch wenn die folgende Rezension keine tiefgreifende Analyse, keinen besonderen Interpretationstwist und keine kritischen Gedanken bereithält, ist sie doch ein ganz schönes Dokument dafür, wie sehr ich die klassischen Blockbuster liebe, einfach, weil sie weitaus mehr Herz, Verstand und vor allem Mut besitzen als so mancher aktueller Hollywood-Schinken: Es folgt der Text von vor ungefähr fünf Jahren, nur leicht korrigiert, ich stehe aber nach wie vor 100% hinter jedem Begeisterungsschwall, der in ihm wohnt:

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Sequenz/Verknüpfung/Anarchie – Orphea von Alexander Kluge und Khavn

Wer Alexander Kluges Œuvre in den letzten Jahrzehnten verfolgt hat, weiß, dass er sich schon vor längerer Zeit vom traditionellen cineastischen Erzählen entfernt hat. Unzweifelhaft beeinflusst von seinen Fernseharbeiten mit der dctp ist sein Stil schon lange fragmentarisch, zwischen Fakten und Fiktionen pendelnd und angelehnt an Sehgewohnheiten, die sich im Fernsehen der 80er Jahre entwickelt haben: Kluge liebt den Schnitt zu etwas völlig anderem, er liebt die Verknüpfung von Dokumentation und Fiktion, er liebt die Reihung und das Offenlassen. Kluges segmentierte Filme lesen sich auch immer wie eine Reihung von Cliffhangern, die aufeinander aufbauen, aber nie zu einem Abschluss kommen. Prinzip Serie als Film. Das ist auch bei Orphea (2020) der Fall. Der größte Unterschied zu seinen letzten Werken: Mehr als jemals zuvor muss sich Kluge mit seinem Regiepartner – dem philippinischen Experimentalregisseur und Künstler Khavn – und seiner Hauptdarstellerin, der Schauspielerin und Sängerin Lilith Stangenberg, auseinandersetzen. Denn diese haben ähnliche und doch ganz andere Ziele als die Ikone des neuen deutschen Films.

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Die besten Filme 2018 – Das koreanische Mysterydrama Burning

Die Menschen in der Kalahari-Wüste kennen zwei Arten von Hunger, erklärt die ebenso mysteriöse wie verführerische Haemi dem Protagonisten Jongsu, während die beiden sich langsam näher kommen: Den kleinen Hunger, der einfach nur den klassischen, physischen Hunger repräsentiert. Und den großen Hunger, der so etwas ist wie der Hunger nach Leben und Überleben, der Hunger nach den großen Fragen des Seins und der Existenz. Und dann schweigen die beiden wieder. Es gibt viele solcher Momente in Lee Chang-dongs neuestem Meisterwerk Burning (2018). Stop and Go Dialoge, die scheinbar ins Nichts führen, zugleich aber essentiell sind, um die Handlung, oder viel mehr die Motive dieses Mysterydramas zu entfalten. Und auch diese Entfaltung kommt oft ins Stolpern, kommt oft zu einem abrupten Stillstand, so dass der Zuschauer sich nie ganz sicher sein kann, welches Genre er bei diesem Film eigentlich vor sich hat. Burning mäandert lange zwischen den Welten, zwischen den Bildern und zwischen den Motiven. Und als Zuschauer fragt man sich dabei immer: Was ist dieser Film denn nun? Welche Geschichte will er mir erzählen?

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Ad Astra (2019) – Science Fiction, Psychologie, Philosophie und Realismus

Das Ende einer Dekade lädt ja immer gern dazu ein, auf das Jahrzehnt als ganzes noch einmal zurückzublicken. Schauen wir uns doch mal das Science Fiction Genre der letzten zehn Jahre an. Die beiden größten Trends hier waren wahrscheinlich die durch The Hunger Games (2012) inspirierte große Welle an dystopischen Epen mit Teenager-Protagonisten und das große Superheldenrevival durch das MCU, das durch Avengers: Infinity War (2018) und Endgame (2019) einen ersten würdigen Abschluss erhielt. Der Weltraum als Sehnsuchtsort ist zwischen den beiden Schwergewichten Endzeit und Superheldenkosmos allerdings ein wenig untergegangen. Klar, es gab die große neue Star-Wars-Trilogie, Ridley Scott versuchte mit Prometheus (2012) die Alien-Saga wiederzubeleben und Kritikerdarling Christopher Nolan schickte mit Interstellar (2014) ebenfalls ein Weltraumepos ins Rennen. Trotzdem dürfte der erste Gedanke zu Science Fiction in den 2010er Jahren nicht in die Weiten des Alls zeigen, sondern viel mehr in die Weiten einer parabolischen (meist düsteren) Zukunft. Die dem Genre immanente Sehnsucht galt nicht fernen Sternen, sondern eher übermenschlichen Kräften und magischen Fähigkeiten.

Am Rande dieser Blockbustertrends, aber immer noch sicher in die Produktion der großen Filmstudios gebettet, haben sich in den 2010er Jahren zwei Genrevariationen mit klarem Weltraumfokus ziemlich tapfer geschlagen: Der realistische Science Fictioneer und der philosophische Science Fictioneer. Für den recht soliden Nachschub beim ersteren dürfte der überraschend gute und überraschend erfolgreiche Gravity (2013) verantwortlich sein. In seinem Rückenwind schafften es unter anderem der naturalistische Alien-Klon Life (2017) und Ridley Scotts Robinsonade Der Marsianer (2015) im Kino und bei der Kritik ordentlich abzuschneiden. Zweiteres wurde vor allem durch Arrival (2016) populär, war aber mit Filmen wie Another Earth (2011) und dem schon erwähnten Blockbusterepos Interstellar ebenfalls das gesamte Jahrzehnt über präsent.
James Grays Ad Astra (2019) ist vielleicht so etwas wie ein Schlusspunkt unter das Jahrzehnt dieser beiden Genreableger. Er verknüpft nämlich beide Trends miteinander: Die Suche nach dem Realismus und die Suche nach tiefer Wahrheit irgendwo in den Weiten der Galaxie.

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Die besten Teenager-Filme der 80er Jahre: Teenwolf? – Ach ja, Teenwolf!

Wenn es um Teenagerfilme der 80er Jahre geht, gibt es viele High-School-Komödien, an denen man praktisch nicht vorbei kommt. Rod Daniels Teenwolf (1985) gehört nicht dazu.Und trotzdem hat sich der platte Comedy-Flick in den letzten Jahrzehnten nicht nur eine treue Fanbase aufgebaut, sondern sich sogar regelrecht zum Kultfilm entwickelt, in einem derart starken Maße, das mittlerweile gar ein Quasi-Remake als Serie produziert wurde, die dem „Klassiker“ zumindest den Titel nacheifert. Die Frage, warum der Low Budget Streifen, der damals vor allem von der Popularität des Hauptdarstellers Michael J. Fox profitierte, so erfolgreich war und ist, lässt sich neben der Rolle Fox‘ vor allem auf das regelmäßige Airplay zurückführen, in Deutschland zumeist im RTL2-Nachmittagsprogramm. Wie gesagt, den besten Ruf genießt der Film dabei nicht, über ihn lässt sich einfach hervorragend lästern (wovon ich gleich auch ordentlich Gebrauch machen werde), und dennoch ist er weitaus besser als sein Image, kein Meisterwerk aber immerhin eine plumpe, launige Teenie-Komödie, die über 90 Minuten durchaus sehr viel Spaß machen kann… Ach was solls, Teenwolf gehört einfach zu meinen guilty pleasures, den peinlichen 80’s-Favoriten, und warum das so ist, werde ich im Folgenden mit euch teilen.

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Die besten Filme 2018/2019: Destroyer – Nicole Kidman als Badass-Cop

Nicole Kidman gehört nicht unbedingt zu den Schauspielerinnen, denen man eine abgefuckte Rolle zutrauen würde. Dass sie eine großartige Charakterdarstellerin ist, die auch ihre gesamte Physiognomie für eine Rolle radikal ändern kann, hat sie zwar als Virginia Woolf in The Hours (2002) bewiesen, und auch ihre düsteren Seiten durfte sie schon in Filmen wie Stoker (2013) oder The Killing of a secret deer (2017) demonstrieren, aber auch in ihren abgründigsten Rollen bewahrte sie doch immer eine elegante Präsenz, eine würdevolle Erscheinung, die sie es ihr nie erlaubten, komplett heruntergekommen zu wirken. Sie war nie eine Schauspielerin für die richtig dreckigen, kaputten Rollen, dafür war sie eben doch zu erhaben, zu majestätisch und schlicht zu schön. Ihre Darbietung im zum Jahreswechsel 2019 in den USA etwas untergegangenen Destroyer (2018) von Karyn Kusama gehört damit definitiv zu den größten Überraschungen des vergangenen Kinojahres. Nicht nur, dass Nicole Kidman hier gekonnt gegen ihr Image anspielt, ihr gelingt es mit der von ihr verkörperten Erin eine Frauenfigur auf der Leinwand lebendig werden zu lassen, wie sie auch zum Ende der Dekade alles andere als selbstverständlich ist.

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Die besten Filme 2019: The Lighthouse

Should pale death, with treble dread, make the ocean caves our bed, God who hears the surges roll, deign to save the suppliant soul. Mit diesem Trinkspruch versucht der alte Seebär Thomas (Willem Dafoe) seinen neuen jungen Gehilfen (Robert Pattinson) allabendlich zum gemeinsamen Anstoßen und Trinken zu animieren. Doch dieser lehnt immer aufs neue ab. Vier Wochen sollen die beiden gemeinsam auf einem abgelegenen Eiland an der Küste Nova Scotias verbringen. Als Leuchtturmwärter sollen der Alte Haudegen und der Jungspund gemeinsam den Turm intakt halten, dafür sorgen, dass das Licht jede Nacht leuchtet und so die nahenden Schiffe davor bewahrt, Opfer der Klippen und der stürmischen See zu werden. Robert Eggers‘ neuer Film Der Leuchtturm (2019) ist wie bereits sein Vorgänger The VVitch (2016) erst in zweiter Linie ein Horrorfilm. In erster Linie ist er ein düsteres Zeitstück, das Mythen und Legenden des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu einem betörenden wie verstörenden folkloristischen Muster verwebt. Eggers ist damit nicht weniger als einer der aufregendsten und besten Filme des Jahres geglückt.

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Die besten Filme 2018: Border von Ali Abbasi

Fast 100.000 Kontrollen von Menschen und Gütern führt die schwedische Zollbehörde Tullverket jährlich durch. Sie kassiert Zollabgaben und vereitelt den Schmuggel von Drogen und anderen illegalen Waren. Tina (Eva Melander) arbeitet als Zollbeamtin an einem Fährenübergang zwischen Dänemark und Schweden und gehört ohne Zweifel zu den besten ihres Berufes. Das liegt an ihrer außergewöhnlichen Gabe, Gefühle wie Scham, Schuld, Angst und Wut im wahrsten Sinne des Wortes riechen zu können. Tina indes würde ihre Gabe nie als solche betrachten, sondern viel mehr als Fluch: „Ich dachte als Kind, ich wäre etwas besonderes. Als ich erwachsen wurde, habe ich dann begriffen, dass ich nur ein hässlicher Mensch bin“, sagt sie, und bezieht sich damit auf ihr ungewöhnliches Äußeres: Mit ihrer hervorstehenden Nasen- und Augenpartie, mit ihrem markanten Kiefer und ihren aufgequollenen Lippen scheint ihre Physiognomie archaisch, fast urzeitlich. Ali Abbasis Film Border (2018) folgt dieser besonderen Frau auf ihrer Suche nach sich selbst und einem Platz im Leben. Er beobachtet sie nicht nur, er versteht sie auch, umgarnt sie. Aber er konfrontiert sie auch; mit all dem Schrecklichen, zu dem Menschen fähig sind, mit ihrer eigenen dunklen Vergangenheit und schließlich einer Parallelwelt, in der sie sich selbst findet und dazu gezwungen ist, sich zu entscheiden, wer sie sein will. Mit diesem über Genregrenzen hinausgehenden Porträt gelingt Ali Abbasi nicht nur einer der besten Filme des Jahres, sondern auch ein atemberaubender Hybrid aus Drama, Märchen, Mysterythriller und düsterem Horrorgemälde.

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